Schiffspanne:Der Welthandel steckt fest

Containerschiff blockiert Suezkanal

Die "Ever Given" hat 18 000 Container geladen. Wenn man die abladen muss, kann das dauern.

(Foto: Samuel Mohsen/dpa)

Die Blockade des Suezkanals durch ein Containerschiff demonstriert erneut die großen Risiken der Globalisierung. Deutschland wickelt zwei Drittel seiner Geschäfte mit China über den Seeweg ab.

Von Herbert Fromme, Alexander Hagelüken und Patrick Hagen

Vor einem Jahr legte die Corona-Pandemie die Risiken der Globalisierung schonungslos offen. Deutschland fehlte Schutzmaterial, der gesamten Industrie Vorprodukte aus Asien. Nun demonstriert ein Riesenschiff im Nahen Osten erneut, wie anfällig eine vernetzte Wirtschaft ist: "Deutschland wickelt zwei Drittel seines Handels mit China auf dem Seeweg ab", sagt Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) der Süddeutschen Zeitung.

Das 400 Meter lange Containerschiff Ever Given liegt seit Dienstag im Suez-Kanal quer und blockiert damit die Durchfahrt der knapp 200 Kilometer langen Wasserstraße zwischen Mittelmeer und Rotem Meer. Nun hat sich ein Stau von mehr als 350 Schiffen gebildet. Trotz Schleppern und Baggern gelang es bisher nicht, das Schiff flottzumachen. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi ordnete am Sonntag an, das Entladen von Containern vorzubereiten, von denen die Ever Given 18 000 an Bord hat. Fachleute hatten gehofft, das Schiff ohne diese zeitraubende Maßnahme vom Fleck zu bekommen.

Was die Blockade des 1869 eröffneten Kanals ökonomisch bedeutet, zeigen unveröffentlichte Daten des IfW-Instituts. Demnach gehen knapp zehn Prozent der gesamten deutschen Exporte durch den Suezkanal. Manche Reeder fangen inzwischen an, Schiffe über Südafrika und das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten. Das verlängert die Reise um gut eine Woche und erhöht die Transportkosten laut IfW um 30 Prozent. Diese Kosten müssen deutsche Firmen gegebenenfalls an ihre Kunden weitergeben, oder sie schmälern ihre Gewinne.

Konzerne wie VW, Daimler und andere exportieren für 80 Milliarden Euro auf dem Seeweg Fahrzeuge und Maschinen nach Asien. Gleichzeitig erhalten Sektoren wie Elektronik und elektrische Maschinen ein Zehntel ihrer Vorleistungen aus Asien. Dauert die Blockade länger, brechen Lieferketten zusammen und dann in Fabriken die Produktion. So laufen zum Beispiel zwischen 16 und 18 Prozent der deutschen Chemieimporte und -exporte durch den Kanal. Die gesamte Weltwirtschaft kostet die Blockade des Suezkanals zwischen sechs und zehn Milliarden Dollar am Tag, schätzt der Kreditversicherer Euler Hermes.

Die Lieferketten sind ohnehin angespannt

Die Schließung trifft die Weltwirtschaft in einer ohnehin höchst angespannten Situation der globalen Lieferketten, die in den vergangenen Monaten eskaliert ist. Ein Hauptproblem ist die Knappheit an Seecontainern, den Stahlkisten, mit denen Güter auf den Weltmeeren, auf Zügen und Lkws transportiert werden. Diese ist etwa durch Chinas schnelle wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie bedingt. Es ist jetzt fast fünf Mal so teuer, einen Container von Ostasien nach Europa zu transportieren, wie vor einem Jahr. Das verteuert Importe nach Deutschland. Allein die Verknappung der Container könnte den Welthandel um 230 Milliarden Dollar oder 1,4 Prozentpunkte reduzieren, rechnet die Allianz-Tochter Euler vor.

Dazu kommt die enge Versorgungslage mit Mikrochips. Die hohe Nachfrage nach elektronischen Geräten in der Pandemie sorgte schon 2020 für Lieferengpässe. Verschlimmert wurde die Situation durch ein Feuer in einer japanischen Chipfabrik am 19. März. Auch Chipfabriken im US-Bundesstaat Texas konnten im Februar nach einem Kälteeinbruch und Stromausfällen mehrere Wochen nicht produzieren. "Die Suezkanal-Schließung ist der Tropfen, der das Fass des Welthandels zum Überlaufen bringt," sagt Ludovic Subran, Chefvolkswirt bei Euler Hermes. Die Lieferzeiten von Zulieferern seien nun länger als auf dem Höhepunkt der Pandemie Anfang 2020. Betroffen seien Industriebetriebe aller Branchen, in den ersten Werken stehen Bänder bereits still. Autohersteller leiden besonders. Der Versicherungsschutz durch Betriebsunterbrechungspolicen dürfte kaum greifen, die Firmen bleiben auf dem Mehraufwand sitzen. Unklar ist, ob die Schäden unter sogenannten Lieferkettenpolicen versichert sind. Allerdings haben nur sehr wenige Unternehmen diese teuren Deckungen.

Richtig teuer werden könnten Haftpflichtansprüche gegen die Besitzer des Schiffs Ever Given, die Reederei Shoei Kisen Kaisha. Nach Branchenangaben ist das Schiff mit 3,1 Milliarden Dollar versichert. Wenn es berechtigte Haftungsansprüche der Eigentümer von Waren auf dem Schiff gegen den Besitzer gebe, werde die Deckung greifen. In der Regel ist jedoch Verspätung nicht versichert.

Die Frage ist, ob Ägypten die Blockade des Suezkanals hätte vermeiden können. 2015 hatte Präsident Abdel Fattah al-Sisi den erweiterten Kanal neu eröffnet, wodurch er höhere Einnahmen erhoffte. An manchen Stellen hat der Kanal zwei Spuren, so dass querliegende Schiffe umfahren werden können. An der Stelle, an der die Ever Given liegt, ist das aber nicht der Fall. IfW-Ökonom Vincent Stamer fordert Ägypten auf, an allen Stellen zwei Spuren zu bauen, auch wenn dies einiges koste. Jeden Tag, an dem der Kanal jetzt blockiert ist, verliert Ägypten nach Schätzungen 14 Millionen Dollar Einnahmen.

Und die Risiken der Globalisierung, wie sie sich nach der Pandemie nun erneut zeigen? Stamer betont, dass man aus den Problemen am Suezkanal nicht den Schluss ziehen sollte, dass man die Globalisierung besser zurückdreht. "Wenn Deutschland alles selbst produziert, machen auch andere Länder ihre Grenzen dicht und nehmen keine deutschen Exporte mehr ab. Das wäre ein großer Nachteil für uns. Deutschland hat große Vorteile durch die Globalisierung."

Ein ganz praktisches Problem ist die Blockade für 130 000 Schafe, die auf rumänischen Frachtern festsitzen. Laut Behörden gibt es an Bord zwar Nahrung und Wasser für die kommenden Tage. Sollte die Blockade anhalten, müsse man sich aber etwas überlegen. Tierschützer fürchten, dass die Schafe verenden. "Die Situation ist sehr bedrohlich", erklärte die Organisation Animals International.

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