Weltweite Finanzkrise:Narren im Schuldturm

Angesichts der weltweiten Schuldenkrise sollten sich Bürger, Politik und Finanzwelt endlich einer bitteren Realität stellen: Das Leben auf Pump muss ein Ende haben, gefährliche Defizite gehören verboten. Es ist ein Übergang, der schmerzhaft sein wird - und für den es trotzdem höchste Zeit ist.

Markus Zydra

Bei der Suche nach einer Lösung des Schuldenproblems in den westlichen Industriestaaten könnte ein Besuch in Nürnberg wertvolle Inspiration geben. Dort steht der nach dem Zweiten Weltkrieg originalgetreu wiederaufgebaute Schuldturm der Stadt. In diesem Gefängnis saßen bis ins späte Mittelalter Männer ein, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkamen. Diese Schuldhaft im "Narrenhäuslein", wie es genannt wurde, galt als große Schande.

Länder häufen weiter Schuldenberge an

Stapel mit 20-Euro-Scheinen, in der Deutschen Bundesbank: Wenn die westlichen Industirestaaten ihr Schuldenproblem lösen wollen, muss das Leben auf Pump ein Ende haben.

(Foto: dpa)

Viele ältere Bürger werden sich noch an eine Zeit erinnern, als man nur soviel einkaufen konnte, wie der Geldbeutel hergab. Leben auf Pump galt als verpönt. Zwar nahmen Häuslebauer auch damals Hypothekenkredite in Anspruch oder kauften ihr Auto auf Pump - doch die Schuldner wollten diese Kredite so schnell wie möglich tilgen. Selbst die Regierungen strebten in den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeglichene Haushalte an. Staatsverschuldung sollte die Ausnahme bleiben für den Fall, dass die nationale Wirtschaft in eine gefährliche Rezession gerät.

Der Rückblick macht deutlich, wie sehr sich die Schuldenmentalität in den vergangenen 40 Jahren verändert hat. Das Leben auf Pump ist zu einer zweifelhaften Tugend erhoben worden.

Der Wandel kam schleichend, und wer jemals Raucher war, der weiß, wie heimtückisch sich eine Sucht aufbaut. Zu Anfang sind es nur ein paar Zigaretten täglich. Dann werden es mehr. Doch das trügerische Selbstvertrauen, man könne jederzeit damit aufhören, vernebelt den klaren Blick.

Sorglos der Sucht hingegeben

Aber irgendwann dringt sie doch ins Bewusstsein, die Angst vor dem tödlichen Lungenkrebs. Das ist der Moment, in dem die Abhängigkeit zur Gewissheit wird. Die westlichen Industriestaaten sind mit ihrer Geldpolitik genau an diesem Punkt angelangt. Sie haben sich sorglos der Sucht hingegeben, alle miteinander: die Privathaushalte, die Unternehmen und die Staaten. Jetzt kommt das böse Erwachen.

Der Trend zum Leben auf Pump hat sich auch in vielen Familien verfestigt. Aus dem Gebrauch der Kreditkarten ist vielerorts Missbrauch geworden, wie die immer weiter ansteigende Zahl der Privatinsolvenzen zeigt. Auch in den Traum von den eigenen vier Wänden hat sich der Ungeist eingeschlichen. Immobilien gelten immer häufiger als Spekulationsobjekt. Man nimmt einen Kredit auf, kauft das Haus und wartet auf steigende Preise - um sich dann noch höher für ein noch teureres Haus zu verschulden.

Die Großbanken sind die treibende Kraft dieser Entwicklung. Sie gewähren Spekulanten, die an der Börse zocken, ohne große Bonitätsprüfung Kredit, während sie Unternehmern, die ihre Fabriken modernisieren wollen, viel höhere Sicherheiten abverlangen.

Verändertes Wertesystem

Das Wertesystem hat sich zum Schlechten verändert: Konzerne, die in kaufmännischer Tradition Bargeld für schlechte Zeiten zurücklegen, werden bis heute von den Aktionären bedrängt, die Kapitalreserven an die Eigentümer auszuschütten und Schulden aufzuhäufen. So ist eine aufgeblasene Finanzwirtschaft entstanden, in der Reichtum aus gepumptem Geld gezaubert werden soll, ohne den Umweg über eine reale Investition in die Güterproduktion zu nehmen. Es ist der anmaßende Versuch einer Finanz-Alchemie - bestraft durch die globale Krise.

Auch die Staaten haben sich übernommen. Erstmals in der Geschichte der USA hat am Samstag eine Ratingagentur die Bonität der Weltmacht herabgestuft. Ein Zahlungsausfall Amerikas scheint plötzlich denkbar. Ebenso wie in Japan und der Euro-Zone. Nach Griechenland, Irland und Portugal sind es Italien und Spanien, die Zinsen bezahlen müssen, die sie nicht mehr stemmen können.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Finanzmärkte stellen den Staaten noch immer so viel Kapital zur Verfügung, wie nötig ist. Sie fordern nur deutlich höhere Zinsen, und viele zweifelhafte Spekulanten sind da mit im Spiel, die an der Börse für Unruhe sorgen. Aber im Kern sind es die Bürger selbst, die ihre Staaten finanzieren, entweder direkt als Steuerzahler und durch den Kauf einer Anleihe. Oder indirekt über Kapitallebensversicherung und Pensionskasse. Unbezahlbare Staatsschulden verringern das Vermögen der Bürger.

Die Lage ist besonders ernst, weil die westlichen Regierungen ihre Banken retten mussten. Einerseits. Andererseits folgen die Regierungen schon über viele Jahrzehnte einer Defizitpolitik, flankiert mit der Beschwichtigung, man würde es schon schaffen, die Schulden abzubauen. Irgendwann. Die Wähler haben es geschluckt. Die Welt erlebte den Aufstieg von Umweltparteien - doch Anti-Schuldenparteien hat niemand gegründet. Wie lässt sich das Problem lösen?

Hohes Wirtschaftswachstum ist eine wichtige Voraussetzung. Doch tendenziell stagnieren die Wachstumsraten in den Industriestaaten. Es muss deshalb einen Schuldenverzicht geben, und zwar über Griechenland hinaus. Das wird zu Lasten der Bürger gehen. Notwendig ist ein neues Dogma, denn es raubt der Gesellschaft die Freiheit, wenn Schulden jedes Jahr aufs nächste Jahr umgewälzt werden.

Gefährliche Defizite gehören verboten. Dieser Übergang wird jedoch schmerzhaft sein, denn künftig gibt es im Schnitt weniger Wohlstand für alle. Es beginnt die wirtschaftliche Rückentwicklung, und es ist höchste Zeit, dass Bürger, Politik und Finanzwelt sich dieser bitteren Realität stellen.

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