Welthandel:Jeder denkt an sich

Welthandel: Ein Kik-Laden in Berlin-Neukölln: Der Discounter expandiert jetzt doch nicht wie geplant in die USA.

Ein Kik-Laden in Berlin-Neukölln: Der Discounter expandiert jetzt doch nicht wie geplant in die USA.

(Foto: imago stock&people)

Der Zollstreit stiftet Chaos, mit schwerwiegenden Folgen: Anleger sind nervös, die Wirtschaft wächst langsamer - und manche Firmen reagieren schon.

Von C. Busse, A. Hagelüken, A. Mühlauer, H. Roßbach und J. Willmroth, Brüssel/München/Frankfurt

Sogar Kik: Auch die deutsche Billigkette ist nun ein Opfer des globalen Handelsstreits geworden. Der zum Tengelmann-Konzern gehörende Discounter wollte eigentlich in die USA expandieren, doch dieser Plan wird nun aufgegeben. Zu großes Risiko, die Zölle würden Kik voll treffen und die Vorteile im Einkauf zunichtemachen, heißt es als Begründung. Nun will sich das Unternehmen auf Europa konzentrieren.

Kik ist damit nicht alleine. Die Nervosität an den Börsen und in den Unternehmen nimmt zu - angesichts der weiteren Eskalation der Zollauseinandersetzungen. "Wir verlieren 151 Milliarden Dollar im Handel mit der Europäischen Union", schimpfte US-Präsident Donald Trump, als er diese Woche nach Brüssel flog. Dort angekommen bekräftigte er seine Zolldrohung für europäische Autos. Falls die Europäische Union nicht redlich verhandele, werde es zu Maßnahmen im Autosektor kommen. Zuvor hatte Trump angekündigt, die Strafzölle auch auf Importe aus China auszudehnen.

Während der US-Präsident einen seit Dekaden beispiellosen Handelsstreit entfacht, suggeriert Trump gern, dieser sei "leicht zu gewinnen". Mit dieser Meinung steht er zunehmend allein da. Am Donnerstag senkte nach zahlreichen Forschungsinstituten auch die EU-Kommission ihre Wachstumsprognose. Weltweit wächst die Angst vor Verlusten. Ein Überblick.

Wachstum in Gefahr

Was der Trump-Effekt in Zahlen bedeutet, macht EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici deutlich. Er senkt die Wachstumsprognose für die Euro-Staaten für 2018 auf 2,1 Prozent. Vor Kurzem hatte er noch mit 2,3 Prozent gerechnet. In Deutschland dürfte es laut Kommission 2018 und 2019 nur noch um 1,9 Prozent nach oben gehen. Bisher war ein Plus von 2,3 und 2,1 Prozent veranschlagt worden. Diese Änderungen spiegelten die Auswirkungen des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten wider. Hinzu kämen politische Unsicherheiten, die das Vertrauen beeinflussten, und steigende Ölpreise.

Die Risiken für die Konjunktur sind enorm, rechnet Gabriel Felbermayr vom Münchener Ifo-Institut vor. Sollte Trump wirklich, wie angekündigt, die Zölle auf EU-Autoexporte verzehnfachen, verliere allein Deutschland jedes Jahr fünf Milliarden Euro Wirtschaftsleistung. Dabei sind die US-Strafzölle auf Stahl und Alu eingerechnet.

Dazu kommt der Handelskonflikt mit China, deren jährliche Exporte von 450 Milliarden Euro in die USA Trump zur Hälfte mit Strafzöllen belegen will. Reagiert Peking entsprechend, kostet das beide Seiten langfristig jedes Jahr sieben Milliarden Euro Wirtschaftsleistung. Das ist angesichts des gesamten Bruttoinlandsprodukts noch gar nicht so viel. Bis die globalen Lieferketten in der Produktion (mit Effizienzverlusten) umorganisiert sind, fällt der Schaden allerdings höher aus.

In der Rechnung ist nicht berücksichtigt, dass beide Staaten Exporte bald durch andere Handelshemmnisse als Zölle stoppen könnten: Wegen angeblicher Qualitätsmängel oder Umweltgefahren. Oder durch eine Abwertung ihrer Währung, die ausländische Ware teurer macht. China exportiert vier Mal so viel in die USA wie die USA nach China. "Sobald den Chinesen bei Strafzöllen die Munition ausgeht, werden sie zu anderen Handelshemmnissen greifen", erwartet Felbermayr. Wird aus dem Zollstreit eine generelle Schlammschlacht, schrumpft die Wirtschaft beider Staaten schnell um ein halbes Prozent. Was der Forscher noch nicht quantifizieren kann: Dass der Konflikt auf andere Staaten überschwappt. Und dass er die Welthandelsorganisation sprengen kann.

"Eine weitere Eskalation protektionistischer Maßnahmen ist ein klares Abwärtsrisiko", sagt EU-Kommissar Moscovici. "Handelskriege kennen keine Sieger, sondern nur Verlierer." Am 25. Juli wird Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu Gesprächen im Weißen Haus erwartet.

Ende der Börsenparty

An den Kapitalmärkten geisterte ein globaler Handelsstreit seit Trumps Wahl lange Zeit nur als theoretisches Szenario herum. Mit den Konzerngewinnen stiegen die Wachstumsprognosen und die Aktienkurse, 2017 war das achte Jahr in Folge, an dem sich an den Weltbörsen viel Geld verdienen ließ. Kaum etwas schien Investoren aus der Ruhe zu bringen. Aus verhalten optimistischen Ausblicken aber, wonach ein Ende der Aktienhausse, der Börsenparty, noch nicht absehbar sei, sind spätestens infolge der Trump'schen Zollschranken konkrete Warnungen geworden.

Jüngste Kursreaktionen deuten an, dass die Zeit, in der die Finanzmärkte getrieben von Zentralbankgeld und guter Konjunktur ständig neue Rekordstände verzeichnet haben, schneller enden könnte, als manchen lieb ist: In den vergangenen Tagen fielen die Aktien und Währungskurse von Schwellenländern, der Preis für Kupfer und andere Metalle stürzte ab.

Auch in New York und Frankfurt gaben die Börsenindizes nach. Der deutsche Leitindex Dax steht bereits sechs Prozent tiefer als zu Jahresbeginn. "Kurzfristig ist nicht absehbar, was dieses 'Wie du mir, so ich dir' beenden sollte", sagt Richard Turnill, Chef-Investmentstratege des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock. Die Folge: immer schlechtere Stimmung unter Investoren, weiter beschädigtes Vertrauen und Konzerne, die "Investitionen zurückfahren oder streichen" - so wie der Textildiscounter Kik.

Der Handelskonflikt trifft die Finanzmärkte in einer schwierigen Phase: Die Notenbanken drehen ihre expansive Geldpolitik zurück, die die Börsenkurse anheizten. Währenddessen erreicht die weltweite Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Haushalten Rekordniveau. Gleiches gilt für die globalen Aktienmärkte, die relativ zur Wirtschaftsleistung nie dagewesene Bewertungen erreicht und ihren Wert seit 2009 verdreifacht haben. Kursverluste von mehr als 20 Prozent seit Jahresbeginn an Chinas Aktienmärkten und der Verfall zahlreicher Währungen in Schwellenländern sind nur erste Anzeichen für die gestiegene Gefahr.

Ängstliche Unternehmen

Die Autobauer Daimler und BMW sind bereits direkt betroffen: Die Stuttgarter haben ihre Vorhersagen für den Konzern nach unten revidiert. Die Münchener prüfen wegen der Zölle schon Preiserhöhungen für diejenigen Fahrzeuge, die in den USA produziert und in China verkauft werden. Tesla muss die Preise in China drastisch erhöhen.

Inzwischen erreichen die außenwirtschaftlichen Turbulenzen auch den deutschen Mittelstand: Während Anfang des Jahres noch 36 Prozent der Industriefirmen mit bis zu 500 Beschäftigten von besseren Exportgeschäften ausgingen, sind es aktuell nur noch 30 Prozent. Das zumindest ergibt eine noch unveröffentlichte Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). "Die harschen Töne und neue protektionistische Maßnahmen lassen die Unternehmen vorsichtiger agieren", sagt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Deutlich wird in der Umfrage, dass die Exportstimmung im Mittelstand stärker gelitten hat als in Großunternehmen. Letztere können Einbußen auf einzelnen Märkten oft besser verkraften. Immerhin: Seine Beschäftigungspläne nimmt der Mittelstand kaum zurück. Zum einen liegt das am weiter starken Inlandsgeschäft. Zum anderen aber sind gerade kleinere Betriebe froh um jede Fachkraft, die sie kriegen können. 61 Prozent sehen den Fachkräftemangel inzwischen als Risiko, so viele wie nie seit Beginn der Umfrage 2010. Laut Wansleben rechnet der DIHK dieses Jahr mit 450 000 zusätzlichen Beschäftigten im Mittelstand.

Auch die deutsche Chemieindustrie blickt mit Sorge auf den Rest des Jahres. "Das Tempo des Wachstums hat nachgelassen, gleichzeitig haben die konjunkturellen Risiken zugenommen", erklärte Kurt Bock, der Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). "Der Gegenwind wird stärker." Die Gefahr eines globalen Handelsstreits zwischen den USA, China und der EU, die Folgen eines harten Brexits und die stürmische Ölpreisentwicklung gäben wenig Anlass, auf eine Fortsetzung des Aufschwungs zu hoffen.

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