Weltfinanzgipfel:Suche nach dem Gegengift

Die Erwartungen sind immens: In Washington soll die Finanzwelt neu geordnet werden - doch den Konferenzteilnehmern bleiben nur acht Stunden Zeit, die Lehren aus der Krise zu ziehen.

Claus Hulverscheidt

Es hat wohl kaum ein Politikertreffen in der jüngeren Vergangenheit gegeben, das so sehr mit Erwartungen überfrachtet wurde wie die Tagung der Staats- und Regierungschefs aus den 20 größten Industrie- und Schwellenländern (G 20) an diesem Wochenende in Washington.

Weltfinanzgipfel: Geschäfte an der New York Stock Exchange: Am Wochenende sollen in Washington die Lehren aus der Finanzkrise gezogen werden. Ob es gelingt?

Geschäfte an der New York Stock Exchange: Am Wochenende sollen in Washington die Lehren aus der Finanzkrise gezogen werden. Ob es gelingt?

(Foto: Foto: AP)

Die "Lehren aus der Finanzkrise" sollen gezogen werden, vom "Weltfinanzgipfel" ist die Rede, von einer neuen "internationalen Finanzarchitektur". Manche Kommentatoren schwärmen gar von einem "Bretton Woods II" - ganz so, als ließe sich die legendäre Konferenz, die im Juli 1944 in den Wäldern von New Hampshire stattfand und die den Grundstein für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg der freien Welt nach dem Zweiten Weltkrieg legte, an einem einzigen kurzen Wochenende wiederholen. In Bretton Woods wurde seinerzeit ein globales Währungs- und Wirtschaftssystem geschaffen, der Internationale Währungsfonds (IWF) wurde gegründet und auch die Weltbank. Die Vorbereitung der Konferenz dauerte damals mehr als zwei Jahre.

Für die Planung des jetzigen "Weltfinanzgipfels" hatten die Hilfstruppen der G-20-Regierungschefs gut zwei Wochen Zeit - und nicht nur deshalb werden auch die Ergebnisse des Treffens drei Nummern kleiner ausfallen als vor 64 Jahren. Innerhalb der Bundesregierung wäre man schon froh, wenn am Ende der gerade einmal achtstündigen Beratungen ein verbindlicher Zeitplan stünde, der Auskunft darüber gibt, welche Reformschritte wann umgesetzt werden können. Mehr, so heißt es, sei nicht möglich. "Wir waren bislang ausschließlich mit dem Krisenmanagement befasst", sagt ein hoher Regierungsbeamter. "Es gibt deshalb noch nicht einmal eine tiefgehende Analyse, wie es überhaupt zu diesen gigantischen Verwerfungen auf den Finanzmärkten kommen konnte, die jetzt die Welt in die Rezession treiben."

Im Grundsatz einig

Dabei ist es nicht so, dass es keine Ideen für eine bessere Krisenprävention gäbe. Industrie- und Schwellenländer sind sich im Grundsatz einig, dass es in Zukunft keine Gebiete und keine Produkte mehr geben soll, die sich einfach jeder Überwachung entziehen. Wer riskante Finanzprodukte vertreibt oder Geld an hochspekulative Fonds verleiht, soll dafür mehr Eigenkapital hinterlegen müssen und einen Teil der Papiere ins eigene Depot stecken. Geschäfte außerhalb der Bilanz sollen nicht mehr zulässig sein, die Bilanzvorschriften weltweit vereinheitlicht werden. Ratingagenturen und Hedgefonds sollen einen Verhaltenskodex unterschreiben, die staatlichen Aufsichtsbehörden enger zusammenarbeiten. Schließlich wollen die Regierungschefs der G 20 eine Art Frühwarnsystem errichten, mit dessen Hilfe mögliche Krisenherde lokalisiert werden können.

Solange sich die Debatte auf dieser allgemeinen Ebene bewegt, herrscht weitgehend Einigkeit. Im Detail allerdings gehen die Vorstellungen weit auseinander. Beispiel Frühwarnsystem: Nach Ansicht der Europäer liegen viele der Informationen, die für eine effektive Krisenprävention benötigt werden, eigentlich auf dem Tisch. Zum Beispiel beim Internationalen Währungsfonds, der jährlich die Haushalts- und Wirtschaftslage seiner 185 Mitgliedsstaaten durchleuchtet, und beim Forum für Finanzstabilität, in dem die Aufsichtsbehörden und Zentralbanken der Industriestaaten zusammenarbeiten und das die einzelnen Segmente des Finanzmarkts inklusive aller Akteure kennt. Das Problem: Bislang werden beide Informationsstränge nirgendwo zusammengeführt. Nach den Vorstellungen der Europäer soll diese Aufgabe der IWF übernehmen. Dagegen kommt jedoch Widerstand von zwei Seiten. Die Amerikaner haben prinzipiell Probleme damit, -internationale Institutionen zu stärken, und viele asiatische und lateinamerikanische Schwellenländer haben in den letzten 20 Jahren schlechte Erfahrungen mit dem Währungsfonds gemacht- und tragen ihm dies bis heute nach.

Überhaupt - die Schwellenländer. Allerorten loben sich die Industriestaaten der G 8 selbst dafür, dass die aufstrebenden Volkswirtschaften der Welt diesmal mit am Tisch sitzen. Ohne Länder wie China, Indien und Brasilien, so heißt es, ließen sich die Probleme der Welt gar nicht mehr lösen. Diese Erkenntnis war den Finanzministern der G 8 schon vor mehr als einem Jahrzehnt gekommen, 1999 hoben sie schließlich die G 20 aus der Taufe. Von ihren Präsidenten und Ministerpräsidenten wurden sie dafür lange Zeit belächelt, was zur Folge hat, dass bis zu diesem Freitag noch nie ein G-20-Treffen auf Ebene der Regierungschefs stattgefunden hat. Ergebnis: Man kennt sich kaum. Was sagen die Kollegen aus Südafrika und Indonesien, fragt man sich nun in den G-8-Hauptstädten. Wie ticken die Saudis? Wie die Südkoreaner?

Das größte Manko des Gipfels aber ist, dass derjenige Staatschef, vom dem schließlich der Erfolg aller Bemühungen abhängen wird, gar nicht teilnimmt. Um nicht für die finanzmarktpolitischen Fehlentscheidungen des Noch-Amtsinhabers George W. Bush in Mithaftung genommen zu werden, bedankte sich der künftige US-Präsident Barack Obama für die Einladung zum Abendessen mit seinen Amtskollegen in spe - und sagte ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: