Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung:Pflegevorsorgefonds greift zu kurz

Bessere Leistungen und ein neuer Vorsorgefonds: Das sind die Kernpunkte für die Überarbeitung der Pflegeversicherung. Der Gesetzesentwurf soll zu mehr Generationengerechtigkeit führen - doch das tut er noch nicht.

Ein Gastbeitrag von David Bowles und Wolfgang Greiner

Wolfgang Greiner ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen der Bundesregierung sowie Mitglied in mehreren Beiräten großer Krankenkassen. Außerdem leitet er den Lehrstuhl "Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement" an der Universität Bielefeld. David Bowles ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement.

Eine Verbesserung der Leistungen und die Einführung eines Vorsorgefonds - das sind die Kernpunkte für die Überarbeitung der Pflegeversicherung. Der Gesetzesentwurf soll für mehr Generationengerechtigkeit sorgen, doch er greift zu kurz.

Wie soll die Pflegeversicherung umgestaltet werden? Mit dem Referentenentwurf sind erste Details zur geplanten Weiterentwicklung der Pflegeversicherung bekannt geworden. Neben Verbesserungen auf der Leistungsseite, also die Stärkung der häuslichen Pflege und Anpassung der Leistungshöhen, steht besonders die Einführung eines Vorsorgefonds im Mittelpunkt der Reformbemühungen. Hierzu wird der Beitragssatz um 0,30 Prozent zum Januar 2015 angehoben - 0,10 Prozentpunkte davon fließen in den Aufbau einer Rücklage, um die zukünftig steigenden Belastungen zu glätten und gerechter auf die Generationen zu verteilen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Aufbau des Vorsorgefonds über einen Zeitraum von 20 Jahren erfolgt und von der Deutschen Bundesbank verwaltet wird.

Entlastung künftiger Generationen

Die Auflösung des Vermögens ab dem Jahr 2035 dient dann der Stabilisierung des Beitragssatzes - ein Prozess, für den ebenfalls 20 Jahre vorgesehen sind. Die Zuführung des Vermögens im Zeitraum 2035 bis 2055 ist dabei gleichbedeutend mit einer Entlastung zukünftiger Generationen. Eine andere Verwendung der Mittel soll gesetzlich ausgeschlossen und so vor Zugriffen der Politik geschützt werden.

Der Zeitraum der Vermögensauflösung spiegelt im Wesentlichen den Alterungsprozess der geburtenstarken Jahrgänge aus den fünfziger und sechziger Jahren wider.

Ab dem Jahr 2035 erreichen immer mehr Personen dieser Jahrgänge mit 75 Jahren und mehr ein Alter, in dem das Risiko der Pflegebedürftigkeit substanzielle Größenordnungen annimmt. Modellrechnungen zeigen, dass gerade in dieser Zeit die Zahl der Pflegebedürftigen besonders stark steigt und sich die finanzielle Situation verschärft - eine Entwicklung, die erst im Jahr 2060 (vorübergehend) abgeschlossen sein wird.

Keine Angaben über das Ausmaß der Beitragssatzentlastung

Doch welche Effekte kann ein solcher Vorsorgefonds tatsächlich entfalten? Als Begründung für den Vorsorgefonds wird eine gerechtere Verteilung der Finanzierungslast zwischen den Generationen angeführt.

Generationengerechtigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass zukünftige Generationen entlastet werden, indem ein Teil der zukünftigen Finanzierungslasten (in Form des Zusatzbeitrages in Höhe von 0,10 Prozent) zeitlich nach vorne gezogen wird. Über das Ausmaß der Beitragssatzentlastung macht der Gesetzentwurf jedoch keine konkreten Angaben.

Eigene Berechnungen zeigen, dass der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung bis zum Jahr 2060 (2080) auf 4,42 (4,83) Prozent ansteigt, wenn die gegenwärtigen Rahmenbedingungen bestehen bleiben (Status-quo-Szenario). In einem mehr realitätsorientierten Szenario mit einer positiven Einkommensentwicklung, einer regelmäßigen Anpassung der Leistungshöhen und einer Leistungsverlagerung hin zu professioneller Pflege liegt der Beitragssatz in 2060 (2080) bei 5,32 (6,03) Prozent.

Die Ergebnisse der Modellrechnungen verdeutlichen, dass der Beitragssatz um das Jahr 2060 herum einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, dann in eine temporäre Hochplateau-Phase übergeht und zum Ende des Beobachtungszeitraums wieder zu steigen beginnt. Die Fortführung der im Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen zur Leistungsdynamisierung - Anhebung der Leistungshöhen um vier Prozent in einem dreijährigen Rhythmus - bewirkt in erster Linie einen Inflationsausgleich.

Im realitätsorientierten Szenario kann bei einer Entsparphase von 20 Jahren mit Hilfe des angesparten Vermögens jährlich rund 9,5 Prozent des Ausgabenüberschusses kompensiert und der Beitragssatz entsprechend abgesenkt werden, das heißt 90,5 Prozent des Ausgabenüberschusses müssten weiterhin mit Beitragssatzsteigerungen abgedeckt werden. Im Zeitraum 2035 bis 2055 beträgt die Reduktion des Beitragssatzes durchschnittlich 0,17 Beitragssatzpunkte gegenüber dem Szenario ohne Vorsorgefonds.

Der beschriebene Effekt wird dabei mit einer jährlichen Nettoverzinsung in Höhe von 4,87 Prozent erreicht; dies entspricht der durchschnittlichen Nettoverzinsung von Kapitalanlagen in der privaten Krankenversicherung im Zeitraum 2000 bis 2011. Mit Blick auf die Entwicklung der Kapitalmärke im Allgemeinen und die Anlagepolitik der Deutschen Bundesbank im Speziellen scheint die Renditeannahme bereits optimistisch gewählt. Im Falle einer niedrigeren Verzinsung würde der beitragssatzentlastende Effekt des Vorsorgefonds (noch) niedriger ausfallen.

Die angepeilte Entlastung künftiger Generationen durch den Vorsorgefonds erfolgt lediglich temporär, weil der Beitragssatz auch nach 2060 weiter ansteigt. Die Frage nach einer generationengerechten Finanzierung würde sich dann von neuem stellen. Insgesamt kann deshalb nach wie vor nicht von einer nachhaltigen Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung gesprochen werden.

Kompensiert wird nicht der Beitragssatzanstieg insgesamt, sondern der Teil der Beitragssatzentwicklung, der durch den Alterungsprozess der geburtenstarken Jahrgänge maßgeblich beeinflusst wird. Die Regelung ist im Kern also durchaus sinnvoll, greift aber in der derzeitigen Ausgestaltung noch zu kurz.

Die Modellrechnungen zeigen, dass der vorgesehene Beitragssatz zum Aufbau des Vorsorgefonds nicht dazu geeignet ist, den Beitragssatz über einen Zeitraum von 20 Jahren spürbar abzusenken. Größere Entlastungseffekte setzen einen deutlichen höheren Zusatzbeitrag voraus. Der Korrekturbedarf ist offenkundig, der Spielraum für größere Anpassungen dürfte jedoch sehr gering sein. Die geplante Umsetzung des Fonds ist vor diesem Hintergrund als unzureichend einzustufen und höchstens als Einstieg in eine ergänzende Kapitaldeckung zu werten.

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