Wege aus der Krise:Gute Feinde, böse Feinde

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Die Welt hat ein Wachstumsproblem - und was ist die Lösung? Ausgerechnet die Spekulanten zeigen, dass zwei Impulse notwendig sind: einerseits Einsparungen, andererseits Wachstumsanreize.

Alexandra Borchardt

Keiner wird einmal sagen können, es habe niemand gewarnt. Ob man lieber dem Chef des Internationalen Währungsfonds Dominique Strauss- Kahn zuhören mag oder dem US-Finanzminister Timothy Geithner; ob man Statistikfabriken wie der Organisation für Ökonomische Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) vertraut oder Ökonomen wie dem deutschen Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Sie alle haben in den vergangenen Tagen den Finger in die größte Wunde gelegt, die Europa und andere Wirtschaftsräume quält: Die Welt hat ein Wachstumsproblem.

Rückseite einer deutschen Ein-Euro-Münze: Die Welt hat ein Wachstumsproblem. (Foto: dpa)

Es ist kein offensichtliches Problem, in Zahlen betrachtet. Sämtliche Daten und Prognosen der jüngeren Zeit deuten darauf hin, dass viele Länder in Sachen Krise aus dem Gröbsten heraus sind. Selbst Deutschland, als Wachstumsnachzügler bekannt, wird in den kommenden Jahren beim Indikator Bruttoinlandsprodukt merklich zulegen. Doch dieses Wachstum ist gekauft. Regierungen in aller Welt haben den Unternehmen mit milliardenschweren Konjunkturpaketen den Weg zum Aufschwung geebnet, die Notenbanken unterstützen sie mit billigen Krediten. In Asien legen Volkswirtschaften zum Teil schon wieder zweistellig zu. Aber ist dieses Wachstum nachhaltig? Oder wird es den Menschen als nächste geplatzte Blase um die Ohren fliegen?

Die Übertreibungen der New Economy, der Rausch auf den Immobilienmärkten und nun die Schuldenexzesse der Staaten - dieses Jahrzehnt könnte als eines der zerstobenen Träume in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Denn eine Wahrheit mögen viele Renditejäger nicht begreifen: Geld lässt sich letztlich nur in dem Maße vermehren, in dem die Wirtschaft wächst. Und das tut sie, wenn neue Unternehmen entstehen, die Arbeitsplätze schaffen und Menschen Gehälter zahlen, mit denen diese einkaufen gehen. Alles andere läuft auf Umverteilung hinaus zwischen reichen und armen Ländern, zwischen Spekulanten mit Glück und jenen mit Pech.

Europa ist langsam in der Diagnose dieses Problems. In den ersten Tagen der Eurokrise lastete man die Schuld allein den Spekulanten an. Doch die entpuppten sich als falscher Feind. Stehen dahinter doch in großer Zahl Banken, Fonds und Versicherungen; Verwalter auch des Geldes all jener Institutionen, denen die öffentliche Hand nichts mehr gibt und die deshalb auf den Kapitalmarkt hoffen. Selten wurde dies so offenbar wie nach der Pleite der Investmentbank Lehman, als sich selbst Kirchen als Gläubiger outen mussten.

Dies soll kein Freibrief sein für ungezügelte Spekulation. Auch ein Auftragskiller gehört vor Gericht. Aber Spekulanten sind Detektoren für Risiken, weil sie viel zu verlieren haben. Und sie sind Detektoren für Chancen. Jonglieren sie nur noch mit Währungen, Rohstoffen oder Staatsschulden, signalisieren sie, dass sie in der realen Wirtschaft kaum Chancen sehen. Der Glaube an das Wachstum fehlt.

Derzeit haben Europas Regierungen die Schuldenberge in ihren Haushalten als ärgsten Feind identifiziert. Reduzieren sie ihre Verschuldung, verlieren Wetten auf Staatspleiten ihren Reiz. Und so schnürt ein ums andere Land gewaltige Sparpakete. Doch dies sät neue Unruhe. "Wir müssen die Defizite reduzieren, dürfen aber keinen zu großen Druck ausüben", warnte IWF-Chef Strauss-Kahn in der vergangenen Woche. Und auch andere Ökonomen sehen die Kürzungen zunehmend skeptisch. Werden sie doch massiv die Kaufkraft schmälern, an der es in vielen Volkswirtschaften ohnehin mangelt. Auch die Investitionen dürften leiden. Jungen Menschen wird der Schritt auf den Arbeitsmarkt noch schwerer fallen. Dies belastet die Haushalte noch mehr.

Auch Finanzminister Geithner sieht die Entwicklung mit Sorge. Schließlich geht Amerika grundsätzlich selbstbewusster mit solchen Krisen um. Schulden- so die amerikanische Logik - sind ein Problem für später. Erst muss Wachstum her. Dies wird dann schon genügend Steuereinnahmen bringen. Diese Ausgaben-Strategie könnte eine Illusion sein. Noch hilft der robuste Dollar als Leitwährung den Amerikanern. Aber auch in den USA könnte sich die Schuldenkrise zuspitzen.

Ebenso illusionär ist es jedoch, Staatshaushalte ohne eine Wachstumsstrategie sanieren zu wollen. Jedes kluge Unternehmen macht beides gleichzeitig: Auf der einen Seite werden Kosten gekappt und Verlustbringer aussortiert, auf der anderen neue Produkte entwickelt und künftige Märkte sondiert. Und so ist es zwar zwingend, dass die Europäer ihre Haushalte in Ordnung bringen, Subventionen und Privilegien abbauen - für die Südländer zwingender als für Deutsche und Franzosen. Gleichzeitig werden aber auch Wachstumsanreize gebraucht. "Länder müssen Innovation und Unternehmertum fördern, um Wachstum und Beschäftigung zu schaffen", forderte OECD-Generalsekretär Angel Gurria am Donnerstag. Auch klamme Regierungen können dies: Wenn sie Felder identifizieren, die solches Wachstum versprechen, und den Rahmen dafür schaffen, dass sich Investitionen darin lohnen - sei es über Steuern, Regulierung oder Förderung. Grüne Technologie oder die Gesundheitswirtschaft sind nur zwei solche Felder, in denen künftig weltweit Lösungen gesucht werden. Wenn Spekulanten dies erkennen, werden sie darauf setzen.

© SZ vom 28.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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