Wasserstraßen:Fahren auf Verschleiß

40 Jahre Elbe-Seitenkanal

Schiffshebewerk im niedersächsischen Scharnebeck am Elbe-Seitenkanal, der den Elb-Verkehr entlasten soll.

(Foto: Philipp Schulze/dpa)

Die meisten Schleusen entlang deutscher Kanäle sind renovierungsbedürftig. Sie bloß zu sanieren nützt nichts mehr, finden die Grünen - und haben dafür gute Gründe.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wo der Verkehr fließt und wo nicht, das weiß am besten Elwis. Der "Elektronische Wasserstraßen-Informationsservice" verrät Binnenschiffern, wo sie gerade durchkommen und wo nicht. Sie erfahren dort etwa, dass am 60 Kilometer langen Weser-Datteln-Kanal die Schleuse Friedrichsfeld nur im eingeschränkten Betrieb funktioniert und alle anderen Schleusen in den nächsten Wochen immer mal wieder außer Betrieb sind. Oder aber, dass entlang des Neckars ganze Schleusenkammern "bis auf Widerruf" gesperrt sind, und das zum Teil schon seit Jahren. Das ist ungefähr so, als würden ganze Autobahnabschnitte mal eben aus dem Verkehr gezogen. Mit dem Unterschied, dass sich für Autos meistens Ausweichrouten finden. Für Binnenschiffer bleibt im besten Fall eine kleine Nebenkammer der Schleuse, manchmal aber auch gar nichts.

Die Grünen-Fraktion ist dem Zustand der Schleusen nun mit mehreren Kleinen Anfragen nachgegangen. Ergebnis: Es wird eng. In Norddeutschland etwa stuft der Bund, in dessen Zuständigkeit die Schleusen entlang der großen Wasserstraßen liegen, 47 von 50 Bauwerken als sanierungsbedürftig ein. In Süddeutschland erreichen von 83 Schleusen 81 nur die Zustandsnoten drei und vier: "ausreichend" oder "ungenügend". Bei den Wehren sieht es nicht besser aus. Im Westen Deutschlands gibt es 37 Schleusen. Davon könnten 22 eine Reparatur gebrauchen, darunter alle sechs entlang des Wesel-Datteln-Hamm-Kanals. Lediglich in Ostdeutschland sieht die Lage besser aus - allerdings nutzen hier auch eher Touristen die Schleusen, seltener große Binnenschiffe.

Touristisch haben die Schleusen auch einiges zu bieten, sie sind nämlich wahre Museen. Die Geschichte des Datteln-Hamm-Kanals etwa geht in die späten Zwanzigerjahre zurück. Der Dortmund-Ems-Kanal wurde 1898 eingerichtet, der Ausbau des Mains begann 1918. Zwar wurden die Schleusen zwischenzeitlich immer wieder modernisiert, an vielen aber nagt mittlerweile unverkennbar der Zahn der Zeit oder, wie es die Beamten ausdrücken: Sie sind "in einem baukritischen Zustand". Etwa die Hälfte aller Anlagen ist jenseits des Rentenalters: Sie wurden vor 1950 errichtet. Die Binnenschiffer selbst sprechen schon von "Fahren auf Verschleiß".

"Sanieren alleine reicht nicht mehr." Nötig sei ein richtiges Investitionsprogramm

Und das bei einem Verkehrsmittel, das gemeinhin als besonders umweltfreundlich gilt. "Die Binnenschifffahrt verfügt über erhebliche Kapazitätspotenziale", erkannten schon Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag. "Um diese bestmöglich nutzen zu können, sind wir auf leistungsfähige Bundeswasserstraßen angewiesen." Nur spricht der Zustand der Schleusen nicht eben für große Leistungen. "Bei den meisten Bauwerken hilft nur noch Ersatz", sagt die Grünen-Verkehrsexpertin Valerie Wilms. "Sanieren alleine reicht nicht mehr." Nötig sei ein spezielles "Investitionsprogramm für die Wasserstraßen" und eine bessere Verwaltung.

Das Bundesverkehrsministerium, immerhin, räumt die missliche Lage ein. Von den 315 deutschen Schleusenanlagen, so schätzt man dort, sind 85 Prozent in einem Zustand, der allenfalls noch zehn Jahre Aufschub duldet. 614 Millionen Euro stehen dafür in diesem Jahr zur Verfügung, bei einigen Schleusen laufen schon Arbeiten oder zumindest Vorbereitungen. Die Zeit scheint reif.

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