Warnstreiks:Noch kein Kläger, noch kein Richter

Warnstreiks: Jetzt sind die Tage der roten Fahnen: Arbeitnehmer von Porsche lassen am Montag in Stuttgart-Zuffenhausen ihre Arbeit liegen und folgen dem Aufruf der IG Metall.

Jetzt sind die Tage der roten Fahnen: Arbeitnehmer von Porsche lassen am Montag in Stuttgart-Zuffenhausen ihre Arbeit liegen und folgen dem Aufruf der IG Metall.

(Foto: Marijan Murat/AFP)

Die IG Metall beginnt in der aktuellen Tarifrunde mit flächendeckenden Warnstreiks. Arbeitgeber nennen dieses Vorgehen in diesem Fall rechtswidrig, nehmen die Aktionen aber zunächst noch hin.

Von Detlef Esslinger, Köln

Nun streiken sie, aber vorerst nur zwei oder drei Stunden lang, also so, dass es den Arbeitgebern nicht wirklich weh tut. Bereits seit Neujahr ist die IG Metall aus der Friedenspflicht heraus, aber sie hat das Ende der Weihnachtsferien abgewartet, bevor sie nun am Montag nach eigenen Angaben 15 000 Arbeitnehmer in 80 Betrieben zu Warnstreiks aufgerufen hat, vor allem in Baden-Württemberg. So soll es die ganze Woche weitergehen. Weiterverhandelt wird am Donnerstag; dann treffen sich in Böblingen die baden-württembergischen Unterhändler beider Seiten.

Noch begnügen sich beide Seiten mit Erklärungen, wie sie von ihnen erwartet werden

Scheinbar hören sich die Erklärungen beider Seiten nach der ritualisierten Empörung an, die zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern seit vielen Jahren eingeübt ist. Der nordrhein-westfälische Bezirksleiter der IG Metall, Knut Giesler, sagte, die Arbeitgeber hätten die Warnstreiks "mit ihrem bisherigen Verhalten am Verhandlungstisch provoziert". Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber in dem Bundesland, Luitwin Mallmann, warf der Gewerkschaft vor, sie gefährde die "weltweit anerkannte Lieferverlässlichkeit" deutscher Unternehmen. Beides ist die Sorte von Erklärungen, die von Arbeitnehmer- wie von Arbeitgebervertretern an einem solchen Tag mehr oder weniger erwartet wird.

Tatsächlich verbirgt sich dahinter jedoch weitaus mehr Nervosität auf beiden Seiten als sonst. Das zeigt sich schon daran, dass die IG Metall diesmal mit 24-Stunden-"Warnstreiks" droht; dazu hatte sie bisher noch nie aufgerufen. Die Gewerkschaft fordert diesmal nicht nur sechs Prozent mehr Geld; darüber würden die Arbeitgeber mit sich reden lassen. Sondern sie fordert darüber hinaus, dass die 3,9 Millionen Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie ihre wöchentliche Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang auf bis zu 28 Stunden reduzieren dürfen. Auch darüber würden die Arbeitgeber noch mit sich reden lassen - sofern die IG Metall zugleich mehr Arbeitnehmern als bisher erlauben würde, mehr als 35 Stunden zu arbeiten, wenn die das wollen und ihr Betrieb sie braucht. Die große Schwierigkeit in dieser Tarifrunde besteht darin, dass die IG Metall für all diejenigen Arbeitnehmer, die ihre Vollzeit zu dem Zweck verkürzen, sich um Kinder oder Eltern zu kümmern, auch einen Entgeltzuschuss durchsetzen will: 750 Euro für Schichtarbeiter, 200 Euro für alle anderen. Dies lehnen die Arbeitgeber vehement ab. Erstens wollen sie niemanden dafür bezahlen, dass er (oder sie) weniger arbeitet. Zweitens halten sie die Forderung für diskriminierend und damit für rechtswidrig: weil der Zuschuss ja nur an Arbeitnehmer gehen soll, die ihre Arbeitszeit künftig verkürzen - nicht aber an diejenigen, die sie bisher schon verkürzt haben. "Infolgedessen sind auch Streiks, die auf diese Forderung abzielen, rechtswidrig", sagt zum Beispiel ihr Hauptgeschäftsführer in Baden-Württemberg, Peer-Michael Dick. Sie haben sich diese Position durch ein Gutachten des Arbeitsrechtlers Clemens Höpfner von der Uni Münster bestätigen lassen.

Damit stellt sich die Frage, ob die Arbeitgeber versuchen werden, die Streiks von einem Arbeitsgericht verbieten zu lassen - was sie in der Metall- und Elektroindustrie seit fast 40 Jahren nicht mehr taten und was sie zumindest vorerst wohl auch diesmal nicht planen. Während ihr bayerischer Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt sagte, er halte sie für rechtswidrig, sagte sein NRW-Kollege Mallmann am Montag, sie "könnten" rechtswidrig sein. Der Baden-Württemberger Dick wiederum sagte, gerichtliche Auseinandersetzungen seien "für uns immer nur Ultima Ratio. Damit gehen wir sehr verantwortungsvoll um." Dies scheint darauf hinzudeuten, dass die Arbeitgeber zunächst die Schäden abwarten wollen, die die Gewerkschaft ihnen zufügt. Zumindest so lange gilt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Richter.

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