Wandel der deutschen Konsumgesellschaft:Republik der Selbermacher

Generation Y

"Trying To Change The World": Das Büro der Hersteller einer "How-to-do-it-yourself"-App in Schweden.

(Foto: Thomas Peter/Reuters)

Mit dem Gemüseabwiegen fing alles an. Inzwischen dürfen wir Kunden als Banker, Paketboten, Reiseverkehrskaufleute, Kellner und Produktdesigner arbeiten. Viele tun das gerne. Doch die Do-it-yourself-Ideologie schafft den Dienstleistungssektor ab.

Ein Kommentar von Alexander Mühlauer

Eine Woche ist es jetzt her, da standen an der Supermarktkasse junge Männer, die man sonst nur aus Amerika kannte: Sie trugen Schürzen und Schirmmützen in den Farben der Supermarktkette und packten die Einkäufe der Kunden in Papiertüten. Zumindest sollten sie das. Doch die meisten Kunden spielten nicht mit. Sie hatten ihre eigenen Tüten dabei - wäre ja noch schöner, dafür zu bezahlen. Und dann verlangt der nette junge Mann womöglich noch ein Trinkgeld fürs Einpacken? Nein, danke, da macht der deutsche Kunde nicht mit.

Dienstleistungen sind den meisten Verbrauchern suspekt. Das mag verrückt klingen, zumal wir in einer Dienstleistungsgesellschaft leben. 65 Jahre ist es nun her, als der französische Ökonom Jean Fourastié diesen Begriff aufbrachte. Mit ihm verband sich die Hoffnung, dass Volkswirtschaften anhand eines neuen Sektors wachsen; menschliche Arbeitskraft sollte nicht so leicht durch technischen Fortschritt eingespart werden können wie in der Industrie und Landwirtschaft. Nun, der Wohlstand hat zugenommen, den Deutschen geht es sehr viel besser als 1949. Nur an Dienstleistungen haben sie sich bis heute nicht gewöhnt.

Mit dem Gemüseabwiegen fing alles an

Das liegt vor allem daran, dass sie immer mehr selbst machen müssen. Mit dem Gemüseabwiegen fing es an. Inzwischen dürfen wir Kunden als Banker, Paketboten, Reiseverkehrskaufleute, Kellner und Produktdesigner arbeiten. Natürlich ohne einen Cent dafür zu bekommen. Wir Verbraucher malochen umsonst und merken kaum, wie viel Arbeitszeit wir den Unternehmen schenken.

Kein Wunder also, dass Banken Filialen schließen - Überweisungen macht der Kunde online. Kein Wunder, dass am Flughafen keiner mehr da ist, der das Gepäck aufgibt - Check-in und Baggage-Drop-Off macht man selber, auch wenn man dafür doppelt so lange braucht. Und kein Wunder, dass Reisebüros verschwinden, wir sitzen am Wochenende lieber stundenlang vor dem Computer, um bei Online-Portalen den günstigsten Preis für ein Hotel in Portugal zu finden.

Schon wahr, die Verbraucher sind nicht ganz unschuldig: Sie klagen zwar über die Servicehölle, andererseits freuen sie sich, wenn sie keine Kontoführungsgebühr zahlen müssen oder im Netz einen besonders billigen Flug buchen. Und gerne lassen sie sich im Elektronikfachmarkt beraten, um den Fernseher dann im Internet günstiger zu bestellen.

Do-it-yourself-Ideologie schafft Jobs ab

Die Profiteure der digitalen Dienstleistungsgesellschaft sind vor allem jene, die gut ausgebildet sind und das Leben im Netz beherrschen. Wer das aber nicht tut, weil er sich mit der modernen Technik nicht anfreundet, weil er sie nicht bezahlen kann oder schlicht nicht versteht, zahlt drauf (Servicegebühr heißt das dann). Die Unternehmen tragen mit ihrer Callcenter-Ökonomie zur Spaltung der Gesellschaft bei. Sie sparen und sparen - vor allem beim Personal.

Dabei war das mit der Dienstleistungsgesellschaft ursprünglich mal anders gedacht. Wer als Buchhändler (heute Amazon), Möbelverkäufer (heute Ikea) oder Kellner (heute Selbstbedienung) arbeitete, galt als rationalisierungsresistent. Welch Irrglaube. Die Do-it-yourself-Ideologie unserer Konsumgesellschaft hat viele Jobs einfach abgeschafft. Frei nach dem Baumarkt-Motto: Selber machen!

Gerade im Internet gibt es ja immer was zu tun. Die Verbraucher helfen Unternehmen, neue Produkte zu entwickeln. Marketingstrategen fragen in sozialen Netzwerken, was die Leute wollen. Marktforschung und Produkttests erledigen die Kunden zu Hause (selbstverständlich umsonst). Crowdsourcing ersetzt die Arbeit von Konzern-Abteilungen.

Service-Proletariat an der Supermarktkasse

Noch immer arbeiten in Deutschland mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten im Dienstleistungsbereich. Fragt sich nur, wie lange noch, wenn die Kunden immer mehr Jobs selbst erledigen. Das Ergebnis beschreiben Soziologen mit dem Begriff Service-Proletariat. Dieses lebt in einem Milieu der Aussichtslosigkeit - gerade für junge Menschen bieten sich angesichts der niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen keine Perspektiven. Wer hat da noch Lust, eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zu machen? In Zukunft werden die Kunden ihre Einkäufe an der Supermarktkasse sowieso selbst scannen.

Klar, Konzerne müssen auf Kosten achten. Manager aber, die nicht mehr erkennen, welchen Wert der Mensch für die Dienstleistungsgesellschaft hat, dürfen sich nicht wundern, wenn Kunden sich abwenden und versuchen, sich irgendwie selbst zu helfen. Nur klappt das halt nicht immer. Und genau deshalb braucht man die Dienste qualifizierter Fachkräfte. Hoffentlich gibt es die dann noch.

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