Walsers Vorliebe für Wirtschaft:Karl von Kahn, Warren Buffett und ich

Ein überraschendes Rendezvous: Martin Walser tritt in der "Börse im Ersten" auf.

Nikolaus Piper

Manchmal erlebt man im Fernsehen noch Überraschungen. Zum Beispiel an diesem Montag in der Sendung "Börse im Ersten" kurz vor der Tagesschau. Auf der Tribüne über dem Frankfurter Parkett waren nicht wie sonst Analysten, Händler oder Bankleute zu sehen - sondern Martin Walser.

Der Schriftsteller erzählte, wie wichtig es ist, heute Geld anzulegen. Mit derselben Leidenschaft, mit der man früher gespart habe, solle man sich heute um die Anlage des Geldes kümmern. Das ist ein wenig Reklame, natürlich. Schließlich ist gerade "Angstblüte" in die Buchhandlungen gekommen, Walsers neuester Roman. Und dessen Held ist Karl von Kahn, ein Vermögensverwalter.

Aber das Thema Geld beschäftigt auch den Autor selbst. Die Romanfigur Kahn lebt von den Erfahrungen ihres Erfinders. "Ich habe ein fast nicht mehr ableitbares Interesse an der Wirtschaft", sagt Walser. "Ich habe schon immer den Wirtschaftsteil in der Zeitung ebenso gelesen wie das Feuilleton."

Gemünzte Freiheit

Mag sein, dass das etwas mit der Herkunft des Schriftstellers zu tun hat; Walsers Eltern hatten ein Wirtshaus und eine Kohlenhandlung in der Nähe des Bodensees. Recherchiert im eigentlichen Sinne habe er für seinen Roman nicht, auch möge er das Wort "recherchieren" gar nicht. "Ich habe mir überlegt, ob meine Erfahrungen eine Romanfigur nähren können." Die Frage beantwortete er schließlich positiv, gab aber das Manuskript zwei Bankern, von denen wenigstens einer sagte, er könne von Walser durchaus noch etwas lernen.

Fjodor Dostojewskij bezeichnete Geld einmal als "gemünzte Freiheit". Mit dem Begriff könne man Ideologien füllen, sagt Walser und formuliert es anders: "Karl Kahn weiß, dass man Unabhängigkeit durch Geld bekommt. Und sonst durch nichts." Er habe hier seine eigenen Erfahrungen mit Abhängigkeit gepackt, sagt er.

Ein Großschriftsteller und abhängig? Ja natürlich, wenn der Kulturbetrieb über ihn herfällt, empfinde er das als Abhängigkeit. In dem Roman "Seelenarbeit", vor 30 Jahren erschienen, gibt es den Chauffeur Xaver Zürn, dessen zentrales Thema die Abhängigkeit ist. Und jetzt Karl von Kahn, der durch Geld Unabhängigkeit gewinnt und diese durch die Liebe wieder verliert.

Vorbild Warren Buffett

In den Siebzigern galt Walser als richtig links. Jetzt sieht er den Kapitalismus positiv, wobei es bei ihm ein richtiges Damaskus-Erlebnis nie gegeben habe.

Vorbild für Karl von Kahn und Martin Walser ist Warren Buffett, der legendäre Großinvestor aus Nebraska, der heute der zweitreichste Mann der Welt ist und nebenbei unzählige Anleger zu Millionären gemacht hat.

Buffett hat in diesem Jahr fast sein gesamtes Vermögen der Stiftung von Bill Gates vermacht. Da war Walsers Buch schon fertig, aber das Ereignis hätte Karl von Kahn sicher in seinem Leitbild bestärkt. "Geld vermehren ist eine Lebensart - wie Schreiben", sagt Walser. Man hört nicht damit auf, weil man schon viel Geld erworben oder viele Romane geschrieben hat.

Und noch ein Thema spielt in "Angstblüte" eine Rolle: Verlogenheit. Kahn und sein Schöpfer empören sich über "die geäußerte Verachtung der Kulturfraktion dem Geld gegenüber".

Walser betont die Worte "Kulturfraktion" und "geäußerte" Verachtung, denn tatsächlich habe ja kein Kulturschaffender etwas gegen Geld einzuwenden. "Das ist wie mit der Sexualität in den fünfziger Jahren." Und wenn er als "wirklichkeitssüchtiger Erzähler" so etwas wahrnehme, dann müsse er es verarbeiten.

Und wie sieht es mit Walsers eigener Geldanlage aus? 1983 habe er Veba-Aktien für 5000 Mark gekauft, um zu wissen, wie man als Aktionär behandelt wird. Die wurde er Anfang der neunziger Jahre immerhin für 20.000 Mark wieder los. Dann machte Walser es wie alle und ließ sich steuerbegünstigte Immobilien in den neuen Ländern andrehen. Natürlich fiel er rein - wie alle anderen. "Seither weiß ich, was passiert, wenn sich der Staat in die Geldanlage einmischt."

Und jetzt hat er sich an zwei Banken gewandt, "um etwas für meine Altersvorsorge zu tun". Man kann sich vorstellen, dass die Berater ein wenig komisch geschaut haben - schließlich ist Walser 79 -, aber sie haben dann doch etwas Passendes für den Schriftsteller gefunden. "Ein geplanter Kapitalverzehr für den Fall, dass ich nicht mehr schreiben kann", sagt Walser durchaus fachmännisch.

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