Wahlkampf:Investitionen um jeden Preis

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellt erstmals sein Wirtschaftskonzept vor. Er will Bildung und Forschung fördern, aber kaum Steuern senken.

Von Cerstin Gammelin

BerlinGenau 289 579 Mitglieder hatte die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) Mitte 2016. Nun zählen mittelständische Unternehmer und Dienstleister nicht zur typisch sozialdemokratischen Wählerklientel. Aber eines war am Montag festzustellen: Ihr Interesse an Martin Schulz ist groß. Die IHK-Zentrale in Berlin war gut gefüllt, als der Kanzlerkandidat der SPD erstmals grundsätzlich die Wirtschaftspolitik erläuterte, die er als Bundeskanzler umzusetzen gedenkt.

Der Applaus eine knappe Stunde später war freundlich und kurz. Nachfragen aus dem Publikum waren nicht zugelassen, was überraschte, weil Schulz selbst am Ende seiner Rede angekündigt hatte, er wolle "im Dialog" in den nächsten Wochen und Monaten sein "Programm für Deutschland" entwickeln. Am Montag jedenfalls war Dialog nicht vorgesehen und so war auch keine Gelegenheit nachzufragen, wie es der Kanzlerkandidat mit einem Projekt hält, das angesichts guter Konjunktur und sprudelnder Steuereinnahmen auch immer mehr Mittelständler für notwendig erachten: eine große Steuerreform.

Schule in Mecklenburg-Vorpommern

Mehr Geld für Bildung - das ist eines der Versprechen der SPD im Wahlkampf.

(Foto: picture alliance/Bernd Wüstnec)

Schulz selbst hatte das Wort in seiner Rede nicht ausgesprochen. Sondern erklärt, dass eine vom ihm geführte Bundesregierung keine Steuergeschenke aus der Gießkanne verteilen werde. "Unerfüllbare Sozialversprechen und unerfüllbare Steuersenkungsversprechen, beides wird es mit mir nicht geben", sagte Schulz. Was es stattdessen geben könnte, blieb im Ungefähren. Er wisse, "dass wir vor allem bei kleinen und mittleren Einkommen etwas tun müssen". Es werde "Entlastungskomponenten" geben, die die belohnten, die hart arbeiteten. Dazu gehöre eine "doppelte Haltelinie bei der Rente", also keine Beiträge, die ins Unermessliche steigen und ein armutsfestes Rentenniveau. "Wer hilft, unser Land nach vorne zu bringen, der muss belohnt und unterstützt werden", auch das sei eine Dimension von Gerechtigkeit, nämlich "Leistungsgerechtigkeit". Die Zuhörer quittierten die Worte mit Stille.

Die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik der Zukunft, die Schulz am Montag skizzierte, hörte sich im Wesentlichen an wie die der noch regierenden großen Koalition. Schulz warb für Reformen, Investitionen und Bildung. Deutschland habe einen Investitionsrückstau von 140 Milliarden Euro bei den Kommunen, der müsse abgebaut werden, weshalb er darauf poche, in Infrastruktur, Mobilität, Bildung und Breitbandausbau zu investieren. Es sind die Bereiche, die auch die große Koalition als Schwerpunkte identifiziert hat.

Nach der Wahl in Schleswig-Holstein - SPD

Martin Schulz ist bekannt dafür, jedes Publikum begeistern zu können. Am Montag jedoch las er seine erste wirtschaftspolitische Rede fast komplett ab. Die Wahlniederlage der SPD in Kiel war dem Kanzlerkandidaten deutlich anzumerken.

(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Schulz versprach allerdings, weit mehr zu tun, "ein Investitionsfeuerwerk" zu zünden". Der Kandidat will etwa Schulen modernisieren und besser ausstatten lassen, allein in diesem Bereich seien 34 Milliarden Euro nötig, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam ausgeben müssten.

Der SPD-Chef klang beinahe wie Wolfgang Schäuble, als er die internationale Kritik am hohen deutschen Handelsbilanzüberschuss zurückwies. Er halte sie "für falsch", sagte er, ganz im Stile des amtierenden Bundesfinanzministers, der bekanntlich der politischen Konkurrenz angehört. "Wir müssen uns nicht schämen, erfolgreich zu sein", die Exporte seien "das Ergebnis der guten Arbeit, die hier im Land geleistet wird". Das wirkliche Problem sei, dass Deutschland viel exportiere - dann aber anspare, was verdient wurde. Dieses Problem löse sich jedoch auf, wenn die Gewinne reinvestiert würden, was wiederum auch deutsche Importe ankurbeln und damit den internationalen Handelspartnern nutzen werde.

Die mittelständischen Zuhörer versuchte Schulz mit konkreten Versprechen zu gewinnen: mit der gebührenfreien Bildung vom Kindergarten bis zur Universität oder dem Meisterbrief; mit dem Abbau von Investitionsbremsen, um engagierten Start-up-Unternehmen Zugang zu Wagniskapital zu verschaffen und mit weniger Bürokratie bei Genehmigungsverfahren. Schulz versprach ein "wirkungsvolles Entbürokratisierungsprogramm" und eine "moderne, durchdigitalisierte Verwaltung". Nach der Bundestagswahl werde er "Digitalisierung zur Chefsache machen". Das Bundeskanzleramt müsse Digitalpolitik "als Stabsaufgabe" koordinieren. Der Kandidat stellte einen "Investitionszuschuss" für Unternehmen in Aussicht, die ein schlüssiges Digitalkonzept vorlegten. Investitionen in Forschung und Entwicklung sollen mit einem "Forschungsbonus" steuerlich gefördert werden.

Nur kurz kam Schulz auf Europa zu sprechen, er warb für Bürokratieabbau und einen funktionierenden Binnenmarkt und kündigte harte Verhandlungen mit der Europäischen Kommission an, mit der er "hinreichende Erfahrungen" habe. "Dies wird für die Kommission kein leichter Gang sein", fügte er hinzu. Es klang so, als läge die Zeit, in der er mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eine große Koalition in Europa führte, weit hinter ihm.

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