Wahljahr:Offene Rechnungen

Martin Schulz, Angela Merkel

Martin Schulz und Angela Merkel im Gespräch. Das war 2013. Da war er noch Präsident des EU-Parlamentes.

(Foto: Yves Logghe)

Steuern runter, Soli weg, Gebühren abschaffen. CDU, CSU und SPD wollen nach der Wahl breite Bevölkerungsschichten entlasten. Doch bisher gibt es nichts als häppchenweise Ankündigungen.

Von Cerstin Gammelin

Berlin - Sechs Monate vor der Bundestagswahl ringen Union und SPD intern darum, mit welchen Steuerkonzepten sie in den Wahlkampf ziehen sollen, um die politische Konkurrenz hinter sich zu lassen. Einkommensteuer, Erbschaftsteuer, Vermögensteuer, Sozialabgaben, Kita-Gebühren - alles steht zur Disposition. Was die Noch-Koalitionäre verbindet, ist der feste Wille, an Steuern oder Abgaben zu laborieren. Was sie unterscheidet, ist, an welchen Schräubchen sie drehen wollen.

Das Spitzenpersonal der Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zum Chef des Wirtschaftsflügels, Carsten Linnemann, verspricht steuerliche Entlastungen im zweistelligen Milliardenbereich. Wie hoch genau sie ausfallen sollen, ist umstritten. CSU-Chef Horst Seehofer hat am Aschermittwoch in Passau jedenfalls die "größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Aussicht gestellt.

Dagegen erscheint der Ansatz der SPD-Spitze bodenständig. Der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl und neue Parteichef Martin Schulz lehnt Steuersenkungen zugunsten von Investitionen und Sozialleistungen ab. "Unser Konzept ist: Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni oder zum Meister." Vize-Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel arbeitet dagegen daran, die "unteren und mittleren Gehaltsgruppen bei der Einkommensteuer zu entlasten". Und Carsten Schneider, Vize-Chef der Bundestagsfraktion, lässt durchrechnen, ob Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen nicht am meisten von einer Senkung der Sozialangaben profitieren würden.

Für Union wie SPD gilt gleichermaßen: Sie nehmen sich Zeit. Bis Juni wollen sich CDU und CSU auf ein gemeinsames Steuerkonzept verständigen. Dann will auch die SPD fertig sein. Am 25. Juni soll der Programmparteitag steigen.

Innerhalb der Union verlaufen die strittigen Diskussionslinien zwischen CSU und CDU, aber auch zwischen Bundesfinanzministerium und Wirtschaftsflügel.

Finanzminister Wolfgang Schäuble beziffert den finanziellen Spielraum für Steuerentlastungen auf höchstens 15 Milliarden Euro jährlich, und zwar für Bürger und Unternehmen insgesamt. Mehr gehe nicht, sagt er, wenn man daran festhalte, die Bundeshaushalte auch künftig ohne neue Schulden sowie höheren Ausgaben für Sicherheit, Infrastruktur, Flüchtlingsintegration und Forschung zu planen. Schäuble sagt, "die Bürger werden am meisten dadurch entlastet, dass wir eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung haben und die Arbeitsplätze sicher sind".

Schäuble lässt offen, ob die Summe von 15 Milliarden Euro sich nur auf den Bundeshaushalt bezieht - oder insgesamt gilt. Er lässt offen, ob es einen Gegenfinanzierung über Steuererhöhungen geben muss. Und auch, wie viel Geld von den 15 Milliarden Euro in die Hand genommen wird, um Unternehmen zu entlasten und wie hoch die steuerlichen Wohltaten bei der Einkommensteuer ausfallen sollen.

Die CSU will dagegen erneut jegliche Steuererhöhungen ausschließen, auch wenn anderswo als Ausgleich die Steuern gesenkt werden sollten. Krach gibt es auch beim Soli-Zuschlag. Schäuble will ihn über die kommenden zehn Jahre abschaffen, die CSU doppelt so schnell.

Carsten Linnemann, Vorsitzender des Wirtschaftsflügels der Union, will grundsätzlich mit dem "steuerpolitischen Stillstand" aufräumen. "Wir brauchen eine strukturelle Reform der Einkommensteuer, die Normalverdiener, Familien und Alleinerziehende entlastet", sagt Linnemann am Montag der Süddeutschen Zeitung. Und anders als Schäuble sieht der Wirtschaftsexperte deutlich mehr finanziellen Spielraum, "zwischen zwanzig und dreißig Milliarden Euro".

Die letzte große Steuerreform wurde im Jahr 2000 von Rot-Grün verabschiedet.

Linnemann weiß, dass die Union in ein Glaubwürdigkeitsproblem geraten kann. Die letzte groß angelegte Steuerreform wurde nicht von der Union, sondern im Frühjahr des Jahres 2000 von der rot-grünen Regierung verabschiedet. Der Spitzensteuersatz fiel von 53 auf 42 Prozent, der Eingangssteuersatz von 26 auf 15 Prozent. Inklusive der Unternehmensteuerreform gingen dem Staat bis 2005 viele Milliarden Euro verloren.

SPD-Spitzenkandidat Schulz hat aus seiner Abneigung gegen ähnliche Steuersenkungen seit seiner Ernennung keinen Hehl gemacht. Das ist überraschend, weil eine Arbeitsgruppe der Partei, die das Wahlprogramm vorbereitet, nach wie vor niedrigere Steuern für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und eine Senkung der Sozialbeiträge für Geringverdiener prüft. Chef der Arbeitsgruppe ist Schäfer-Gümbel. Der SPD-Vize lässt dafür eine Gegenfinanzierung prüfen, im Gespräch sind höhere Steuersätze für Gutverdiener. "Der Steuerbeitrag hoher und sehr hoher Einkommen und Vermögen muss auch größer werden", räumt Schäfer-Gümbel ein. Eine pauschale Steuersenkung, "die hohe und höchste Einkommen bevorzugt und die Handlungsfähigkeit des Staates einschränkt, lehnen wir ab." Details zur Gegenfinanzierung werden noch diskutiert, darunter ein höherer Spitzensteuersatz, der für größere Einkommen greifen soll als bisher, sowie eine höhere Erbschaftsteuer.

Ob die SPD Geringverdiener über niedrigere Sozialversicherungsbeiträge entlasten will, ist noch offen. Ebenso wie der Kampf gegen Steuerhinterzieher. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans jedenfalls will Steuervermeider konsequenter enttarnen, falls die SPD die Bundestagswahl im Herbst gewinnt - und sieht sich eins mit seinem Spitzenkandidaten. "Der Einsatz gegen Steuertricks steht auch bei Martin Schulz und der SPD ganz oben auf der Prioritätenliste", sagt Walter-Borjans.

Vorerst sagt Schulz allerdings nur, dass die von Schäuble in Aussicht gestellte Steuersenkung von 15 Milliarden Euro "toll" klingt, aber die wirklich Bedürftigen nicht entlaste, da die keine Lohnsteuer zahlten. Denen helfe es viel mehr, "wenn Kita-Gebühren wegfallen. Deshalb stecken wir das Geld lieber in Bildung und Infrastruktur".

Was nicht ganz logisch klingt, weil auch Kita-Gebühren oft einkommensabhängig erhoben werden und deren Wegfall dann höhere Einkommen entlasten würde.

Wie auch immer die Konzepte ausfallen werden: Ende des Jahres wird es eine neue Koalition geben. Ob die künftigen Regierungspartner dann noch Lust haben, die Steuern zu senken, ist abzuwarten.

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