Wahlforschung:Die Macht der Rentner

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Eine Bevölkerungsgruppe entscheidet besonders stark über die Zukunft der Bundesrepublik. Aber der Einfluss bröckelt.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

War das irre im Jahr 1972. US-Präsident Richard Nixon probierte, im Watergate-Gebäude die Konkurrenz zu bespitzeln. Im ZDF startete die Fernsehserie "Raumschiff Enterprise". Und am 19. November gingen 91,1 Prozent der Deutschen zur Bundestagswahl. So hoch war die Wahlbeteiligung nie wieder. 41 Jahre später wählten nur noch 70,8 Prozent der Bürger. Allerdings ist es keineswegs ein Durchschnitt der Gesellschaft, der die große Koalition an die Regierung brachte. Es war vielmehr ein großer Anteil der Menschen, die schon 1972 beim Duell zwischen Willy Brandt und Rainer Barzel mitfieberten: die Rentner.

Knapp 37 Prozent der Wähler im Jahr 2013 waren Infratest Dimap zufolge älter als 60 Jahre. Damit hatten diese Menschen mehr Einfluss auf das Wahlergebnis als alle Wähler zwischen 18 bis 44 Jahren zusammen. Die Alten sind in Deutschland mächtig. Zusammen mit der Generation über 45 Jahre bilden sie die Mehrheit und entscheiden über den politischen Werdegang der Republik.

Allerdings hat nicht nur die Lebenszeit, sondern auch das Einkommen einen wichtigen Einfluss darauf, ob ein Bürger zur Wahl geht oder nicht. Die Bertelsmann-Stiftung hat die vorige Bundestagswahl untersucht und fand heraus, dass am häufigsten diejenigen Menschen ihre Stimme abgeben, die gut verdienen. Den Forschern zufolge war die Kaufkraft in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung mit 52 000 Euro fast anderthalb Mal so hoch wie in den Stadtteilen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Regelmäßige Wähler kommen oft aus einem liberal-intellektuellen oder einem konservativ-etablierten Stimmbezirk. Nichtwähler leben dagegen oft in einer prekären Umgebung. Stadtteile, in denen viel Arbeitslosigkeit herrscht, sind der Stiftung zufolge "Nichtwählerhochburgen". Auch Bürger mit geringer Bildung gehen besonders selten wählen. 2013 lag die Wahlbeteiligung in Ostdeutschland mit 67,6 Prozent knapp fünf Prozent unter der im Westen.

Demzufolge gaben nicht nur die Alten, sondern auch die Besserverdienenden bisher den Ausschlag für Landes- und Bundesregierungen. Bei Wählern über 60 schneiden CDU und CSU traditionell am besten ab. 2013 gewann die Union im Osten neun und im Westen sechs Prozentpunkte der Wähler über 60 hinzu. Fast die Hälfte aller älteren Bürger entschied sich für eine konservative Partei, ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen. Bei der jüngsten Bundestagswahl gaben 49 Prozent von ihnen der Union ihre Stimme, die SPD bekam von den Senioren 29 Prozent und die Grünen bloß vier. Die rechtspopulistische AfD kam bei den Ältesten überhaupt nicht gut an. Mit 2,8 Prozent bekam die Partei von den über 70-Jährigen weniger Stimmen als von allen anderen Wählern.

Über die Jahre gesehen, bröckelt allerdings auch die dominante Rentnerschaft. Während 1983 noch 92,3 Prozent der 60- bis 70-Jährigen Helmut Kohl wählten, kamen vor drei Jahren ganze zwölf Prozent weniger Menschen dieser Altersklasse ins Stimmlokal - und waren damit doch immer noch die stärkste Gruppe. Es gibt also wenig Zweifel daran, dass es bei der Bundestagswahl 2017 ähnlich wird. Das wissen auch die Parteien, die sich schon seit dem Frühjahr mit Vorschlägen für die Rente warm laufen. SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles will im Herbst ein Konzept vorstellen. Und auch CSU-Chef Horst Seehofer sorgt sich jetzt um die "Zukunft der Rentenversicherung".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fand dagegen schnell beruhigende Worte: "Wahlkampf über Rente finden die Leute nicht toll", sagte sie.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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