Wahl in Frankreich:Das Le-Pen-Risiko

Marine Le Pen, French National Front political party leader and candidate for French 2017 presidential election, attends a meeting focused on civil works in Paris

Marine Le Pen tritt für den Front National bei den französischen Präsidentschaftswahlen an.

(Foto: Christian Hartmann/Reuters)
  • Marine Le Pen tritt für die Partei Front National bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich an. In aktuellen Umfragen bekommt sie viel Zustimmung.
  • Sie ist erklärte Eurogegnerin und will gegen die "Weltfinanz" kämpfen. Das sorgt an der Börse und in vielen Unternehmen für Unruhe.
  • Spekulanten nutzen diese Stimmung und wollen damit Geld verdienen: Sie wetten auf einen Sieg Le Pens.

Von Leo Klimm, Paris

Es ist wie eine Geisterbahnfahrt, bei der sich die einen gruseln wollen, während die anderen ganz cool bleiben. Und alles dreht sich um die eine Frage, ob am Ende ein besonders böses Schreckgespenst lauert - ob Marine Le Pen Anfang Mai wirklich Frankreichs Präsidentin werden kann.

Die Rechtsextreme und erklärte Feindin des Euro und der "Weltfinanz", liegt in Umfragen vorne und löst nicht nur Unruhe bei vielen Pro-Europäern, sondern auch an den Kapitalmärkten aus. Viele internationale Investoren neigen angesichts des offenen Wahlausgangs dazu, die Frage nach einem Sieg Le Pens mindestens mit "vielleicht" zu beantworten. Manche sollen das sogenannte Le-Pen-Risiko in internen Vermerken sogar auf 35 Prozent beziffern. "Man kann sich schwer vorstellen, dass Le Pen gewinnt", zitiert die Financial Times den New Yorker Investmentbanker Said Haidar. "Aber niemand traut nach Trump und dem Brexit-Referendum noch Wahlumfragen." Auch beim Pariser Finanzkonzern Amundi - mit mehr als einer Billion Euro Anlegerkapital Europas größter Vermögensverwalter - ist man mit der Angst konfrontiert: "Wir bekommen viele besorgte Fragen von Kunden aus aller Welt", sagt Amundi-Manager Eric Brard.

Wie immer, wenn an den Märkten Unsicherheit herrscht, lässt sich mit der Angst viel Geld verdienen. Untrügliches Indiz für eine Le-Pen-Spekulation ist das Handelsvolumen französischer Staatsanleihen, das in den vergangenen Wochen doppelt so hoch lag als üblich. Die Nervosität wiederum offenbart sich im Aufpreis, den Käufer französischer Anleihen gegenüber den als besonders sicher geltenden deutschen Bonds derzeit aufbringen müssen: Der Abstand war zuletzt so groß wie seit 2012 nicht mehr, wie seit der Eurokrise. Die Frankreich-Frage verleitet etwa Hedgefonds, auf einen Sieg der Rechtsextremen zu wetten. Andere halten dagegen, weil sie, wie Amundi, nicht an das Schreckgespenst glauben.

Der Streit um das Le-Pen-Risiko ist auch eine Konfrontation zwischen Wissenden und Unwissenden. Zwischen jenen, die mit Frankreichs Politik und Institutionen vertraut sind - und den anderen. Denn aus den Siegen von Rechtspopulisten bei der US-Präsidentschaftswahl oder dem Brexit-Referendum lassen sich tatsächlich kaum Schlüsse auf Frankreich ziehen, wo ein System mit zwei Wahlgängen das Le-Pen-Risiko erheblich mindert.

Ein Austritt aus der Eurozone wäre wohl ein härterer Einschnitt als der Brexit

Warum die Chefin der Partei Front National (FN) Investoren besorgt, leuchtet ein: Kern ihres Wirtschaftsprogramms ist das Versprechen eines Austritts aus dem Euro, den Le Pen als Instrument deutscher "Tyrannei" sieht, und die Rückkehr zu einem schwachen Franc. Doch etwa 60 Prozent von Frankreichs Staatsschulden werden außerhalb des Landes gehalten. Bei einer Rückkehr zum Franc, haben die Ratingagenturen gewarnt, würden sie Frankreich als pleite einstufen. Gläubiger müssten dann hohe Verluste hinnehmen, zugleich würde das Land vom Finanzmarkt abgeschnitten. Für Europa wären der Frexit und weitere Abschottungspläne Le Pens nach einhelliger Ökonomenmeinung ein weit härterer Schock als der Brexit.

Ein FN-Vize ruft die Wähler auf, sich nicht von diesen Szenarien beeindrucken zu lassen: "Alle Demokraten müssen den Druck der Märkte auf unsere kollektiven Entscheidungen zurückweisen", sagt er.

Banker wollen nicht an einen Sieg Le Pens glauben

Nicht beeindrucken lassen sich zumindest französische Banker. Sie glauben nicht, dass Le Pen Gelegenheit bekommt, ihr Programm nur ansatzweise in die Tat umzusetzen. "Das politische Risiko existiert, das lässt sich nicht abstreiten", sagt Isabelle Mateos y Lago, eine hochrangige französische Investmentstrategin beim weltweit größten Vermögensverwalter Blackrock. Aber viele internationale Investoren seien auf Le Pen fixiert, sie neigten "zu einer alarmistischen und vereinfachenden Wahrnehmung" der Wahl, deren zweistufiges System "vielleicht nicht richtig verstanden" werde. Konkurrent Amundi hält die Nervosität, die manche Anleger mit sogenannten Leerverkäufen in die Märkte für französische Anleihen und Aktien tragen, ausdrücklich für eine Chance, mit Gegenwetten Gewinn zu erzielen.

Bei der Pariser Privatbank Oddo, Eignerin des deutschen Geldhauses BHF, klärt Chefökonom Bruno Cavalier die Kunden in einem ausführlichen Papier darüber auf, warum das Le-Pen-Risiko gering sei. Nur in zwei unwahrscheinlichen Fällen hält er den Sieg der Rechtsextremen für möglich: Wenn es nicht ein gemäßigter, sondern ein linksradikaler Kandidat gegen Le Pen in die Stichwahl schafft; dann wäre der Ausgang ungewiss.

Oder wenn die Beteiligung am zweiten Wahlgang bei nur 50 Prozent liegt, die treuen FN-Wähler also überproportionales Gewicht bekommen. Im zweiten Wahlgang ist jedoch eine Beteiligung von etwa 80 Prozent üblich.

Selbst bei einem Wahlsieg wäre eine Verfassungsänderung schwierig

Aber selbst als Präsidentin bräuchte Le Pen noch eine FN-Mehrheit bei der Parlamentswahl im Juni, die auch auf Grundlage der gegenwärtigen Umfragerfolge außer Reichweite scheint. Der Weg zu einer Verfassungsänderung per Referendum, die für den EU- und Euro-Austritt nötig wäre, ist noch schwieriger, erläutert Cavalier unter Verweis auf das geltende Recht. Am Ende ermittelt er in einer Wahrscheinlichkeitsrechnung Le Pens Siegchancen: Sie betragen demnach elf Prozent - obwohl die FN-Frontfrau in allen Umfragen vorn liegt, also fast sicher in den zweiten Wahlgang einziehen wird.

Reden sich Frankreichs Banker, redet sich das Establishment nur Mut zu? Immerhin hält es die Pariser Finanzbranche für nötig, in den Streit einzusteigen. Und die Spekulation gegen Frankreich könnte in den kommenden Wochen noch viel stärker weitergehen.

Der US-Bank JP Morgan reicht selbst ein geringes Le-Pen-Risiko, um Kunden den Ausstieg aus Frankreich zu empfehlen, ehe Frankreich aus der EU aussteigt. Das Institut gibt zu, Le Pen im Elysée-Palast sei ein "sehr unwahrscheinliches Szenario. Aber selbst wenn es eintritt, könnten die Auswirkungen gewichtig sein". Allein der Wahlsieg der Rechten würde schlimmere Verwerfungen an den Märkten anrichten als die Griechenland-Krise. Als "Schutz gegen eine populistische Wahl in Frankreich" rät JP Morgan übrigens zu deutschen Aktien.

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