Griechenland:Lagarde lässt sich auf riskantes Manöver ein

Europe Greece Bailout

IWF-Chefin Christine Lagarde hat die Kriterien zur Bewertung Griechenlands geändert.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Der Internationale Währungsfonds ändert seine Kriterien zur Bewertung von Griechenlands Schulden. Dank der EU ist das kein Problem - zumindest vorläufig.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Wer im Galopp den Sattel wechselt, der vollbringt ein Kunststück, das man sonst nur in amerikanischen Western sieht. Nun ist auch dem Internationalen Währungsfonds ein solches Wunder gelungen. Während sich Europa bemüht, aus dem dramatisch verschuldeten Griechenland ein funktionierendes Land zu machen, ändert der Fonds seinen Bewertungsmaßstab. Die technische Kurzfassung: Der IWF stellt um von Schuldenstand auf Schuldendienst.

Madame Christine Lagarde, die aus Frankreich stammende Direktorin, vollzieht den Wechsel mit beeindruckender Chuzpe. Seit mehr als fünf Jahren hat der IWF, auch unter ihrer Führung, darauf gepocht, dass die Schulden eines Landes dessen Investitionsbereitschaft, mithin seine Wirtschaftskraft, nur dann nicht abwürgen, wenn sie unter 120 Prozent dieser Wirtschaftskraft liegen. Jede höhere Quote galt als mittelfristig nicht tragbar, weshalb der Fonds stets drastische fiskalische Einsparungen als Bedingung für finanziellen Hilfen einforderte.

Inzwischen hat der IWF mit Blick auf den wirtschaftlichen Einbruch in Griechenland eingeräumt, Fehler gemacht zu haben. Die wichtigste Korrektur aber gestattet sich der Fonds bei seinen Bewertungsmaßstäben. Würde er seine Hilfe von der Höhe der Schulden - also dem Schuldenstand - abhängig machen, dann müsste er sich von Griechenland verabschieden. Denn die Schuldenquote liegt mittlerweile bei 200 Prozent und kann auch mithilfe noch so drastischer Haushaltsauflagen mittelfristig nicht auf 120 Prozent schöngerechnet werden.

Was der Kurswechsel bedeutet

Diesen Abschied will unter anderem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel vermeiden. Sie hat die Beteiligung des IWF an weiteren Finanzhilfen zur Bedingung für das deutsche Engagement gemacht. Sie braucht den Fonds für ihre Glaubwürdigkeit und ihre Mehrheit in der Union.

Die Strategen in Washington, Berlin und Brüssel haben das Problem mittels politischer Arithmetik aufgelöst. Sie haben - nur im Falle Griechenlands - die Schuldenquote zum falschen Bewertungsmaßstab erklärt und den Schuldendienst zum richtigen. Übersetzung: Wichtig ist nun, ob ein Staat seine fälligen Schulden aus eigener Kraft bedienen kann. Griechenland kann das, weil die Konditionen sehr, sehr günstig sind.

Der IWF hat für die Bedienung der Schulden eine Quote von 15 Prozent (vom Bruttosozialprodukt) angesetzt. Damit die griechische Regierung diese Quote erfüllen kann, haben die Euro-Länder die Tilgungsfristen für ihre griechischen Kredite bis 2054 gestreckt und Athen umfangreich Zinsen gestundet. Und sie werden im Oktober womöglich weitere Laufzeitverlängerungen und Zinsstundungen beschließen.

Mittel- und langfristig ist der Wechsel des Bewertungsmaßstabes ein höchst gefährliches Unterfangen. Es stellt sich nämlich die Frage, wie attraktiv die dringend erwünschten Investoren ein so hoch verschuldetes Land finden. Bekanntlich kalkulieren Investoren langfristig. Sie können sich leicht ausrechnen, dass das ausgetüftelte Schuldengerüst an jenem Tag einstürzen dürfte, an dem die Sonderkonditionen auslaufen und Athen große Kredite tilgen muss. Von 2023 an, spätestens 2032, werden zweistellige Milliarden fällig. Sie dürften die Schuldendienstquote deutlich über 15 Prozent treiben - es sei denn, die Euro-Länder verlängerten ihre Sonderkonditionen erneut. Planungssicherheit für Investoren sieht anders aus.

Wenn die Griechenlandhilfen des IWF stets nur dadurch zu erkaufen sind, dass die Euro-Länder auf Einnahmen und damit auf Gewissheit über die Rückzahlung der gewährten Kredite verzichten, dann erscheint es angezeigt, sich von dem Fonds zu trennen. Auch mitten im Galopp.

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