VW: Wirbel um Journalistenreise:Indien ist zu teuer

Eine großzügige Einladung von Olympia-Sponsor Volkswagen bringt 30 Journalisten in Bedrängnis - und stellt das System der "Klimapflege" in Frage.

Hans Leyendecker

Die Volkswagen AG hat ihre speziellen Erfahrungen mit Lustreisen gemacht, und auch deshalb war die Mitfahr-Gelegenheit für die 70 aus aller Welt vom Konzern zu den Olympischen Spielen nach Peking eingeladenen Journalisten nicht nur Vergnügen. Vorträge, Besichtigungen standen auf dem Programm - und natürlich auch ein paar Besuche in den Stadien. Begegnungen mit schönen Frauen waren nicht eingeplant, nach der Betriebsräte-Affäre wissen die Konzern-Manager in Wolfsburg, was sich gehört. Der Trip nach Peking "war kein Champagner-Journalismus", sagt ein VW-Sprecher.

VW: Wirbel um Journalistenreise: Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking: Volkswagen hoffte auf gute Presse fürs Unternehmen.

Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking: Volkswagen hoffte auf gute Presse fürs Unternehmen.

(Foto: Foto: Reuters)

Da die chinesische Konzerntochter einer der Hauptsponsoren der Spiele war, erhoffte sich das Automobilunternehmen eine gute Presse fürs Unternehmen und auch ein bisschen fürs Land, und das Ergebnis war entsprechend. Nach Auswertung der Berichte stellten die zuständigen PR-Manager fest, dass sich der Aufwand gelohnt habe. Es ist eine alte Erfahrung: Wenn einer eingeladen wird, ist er meist nett. Und welcher Journalist würde schon einräumen, dass durch solche Vergünstigungen eine Nähe entsteht? Man bleibt unabhängig, versteht sich.

Dennoch ist die Reise für das Unternehmen und für die 30 deutschen Journalisten, die den insgesamt fünf Reisegruppen angehörten, zum "Desaster" geworden, wie man bei VW zugibt. Das für den Konzern zuständige Finanzamt Gifhorn weigerte sich, die Reise als Betriebsausgabe oder pauschal zu versteuern. Der Konzern teilte den Medienleuten mit, wie Spiegel online meldete, dass die in der Regel viertägige Reise womöglich von den jeweiligen Finanzämtern als geldwerter Vorteil betrachtet werde und die kritischen Summen könnten teilweise mehr als 25 000 Euro betragen. Eine Gruppe war auch bei der teuren Eröffnungsfeier dabei. Damit den Medienvertretern kein Schaden entsteht, bot das Unternehmen an, pauschal Beträge von gut 17 000 Euro gutzuschreiben. Falls das nicht reiche, zahle VW auch mehr.

VW: Sponsoring gefährdet

Die Mitteilung an die Presseleute, darunter Autojournalisten, freie Mitarbeiter, Life-Style-Spezialisten, aber keine Chefredakteure, hat in Verlagshäusern und in Wolfsburg zu Eruptionen geführt. Die Angelegenheit wurde sogar im VW-Vorstand behandelt. Selbst die Steuerfüchse des Unternehmens hatten das Problem vorher nicht erkannt. Einige Journalisten, die intern den Sozialversicherungsanteil ihrer Arbeitgeber angeben mussten, haben bereits Ärger bekommen. "Mir wurde von meiner Chefredaktion klebrige Nähe vorgeworfen" , sagt einer aus dem Auto-Ressort. "Das ist doch hochgradig verlogen. Solche Reisen machen doch fast alle."

Ein VW-Sprecher sieht jetzt generell das Sponsoring in Deutschland gefährdet: "Nach dem Theater machen wir bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika nichts mehr." Auffällig sei, dass die ausländischen Journalisten keine Probleme mit ihrem Fiskus bekämen. Er erinnert an den Fall des früheren Chefs des Energieversorgers EnBW, Utz Claassen, dem in Stuttgart der Prozess gemacht wurde, weil er Mandatsträger zu Spielen bei der Fußballweltmeisterschaft eingeladen hatte. Claassen ist nach etlichen Prozesstagen freigesprochen worden, aber in der Sponsoren-Szene ist seitdem auffällige Zurückhaltung zu beobachten.

Eine Staatsanwältin hatte in dem Verfahren von "Klimapflege" gesprochen. Nach dem Gesetz reiche schon der "Anschein der Käuflichkeit". Die Einladungen seien nicht geringwertig gewesen, der Einlader habe gezielt eingeladen. Ob es sich wirklich um Korruption handelt, wenn Politiker, die ohnehin Zugang zu solchen Spielen haben, in die Lounge eines Unternehmens eingeladen werden, ist sehr zweifelhaft, verrät aber auch den Grad der Verunsicherung. Die öffentliche Sensibilität ist größer geworden, und die Unsicherheit wächst, was erlaubt und was verboten ist.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie der Presserat Rabatte für Journalisten beurteilt.

Indien ist zu teuer

Medien räumen Berichten über zweifelhafte Verbindungen großen Raum ein und begreifen das Problem meist als ein Problem der anderen. "Vergnügen empfindet man nur an fremden Fehlern", hat der Korruptionsforscher Paul Noack vor vielen Jahren schon erkannt.

Zwar sind Verallgemeinerungen - wie auch in anderen Berufen - fehl am Platz, aber der Fall Peking liefert auch einen Blick auf die vielen Symbiosen zwischen Konzernen und Berichterstattern und lässt ahnen, dass auch im Journalismus geschnorrt, eingesackt und zugegriffen wird. Ein Blick ins Internet genügt. Wer pressekonditionen.de oder journalismus.com aufruft, erfährt, dass Journalisten auf bis zu 1450 Presserabatte zurückgreifen können. "Ich kenne investigative Journalisten, die um zwei, drei Prozent mehr Rabatt kämpfen", sagt ein PR-Mann bei VW.

"Kein Schamgefühl"

Ende November vorigen Jahres hat das TV-Medienmagazin Zapp (NDR) über "die große Gier vieler Journalisten" berichtet, und der frühere VW-Kommunikationsvorstand Klaus Kocks machte in dem Beitrag "italienische Verhältnisse" im deutschen Journalismus aus. Es sei "eine Unart der Unternehmen auf der einen Seite und eine Unart der Journalisten auf der anderen Seite. Es gibt kein Schamgefühl". Am Tag nach dem Zapp-Beitrag verzeichneten die Anbieter von Journalistenrabatten einen Rekordansturm.

Dabei ist in der Theorie alles gut geregelt. Nach Richtlinie 15.1 des Deutschen Presserats besteht die "Gefahr einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit von Verlagen und Redaktionen (...), wenn Redakteure und redaktionelle Mitarbeiter Einladungen oder Geschenke annehmen, deren Wert das im gesellschaftlichen Verkehr übliche und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit notwendige Maß übersteigt". Das unabhängige Urteil könne dann durch solche Zuwendungen beeinträchtigt werden.

In der Praxis ist vieles anders, als es das Selbstkontrollorgan der deutschen Verleger und Journalisten in seinem Kodex vorschreibt. Ein Sprecher eines weiteren in Deutschland ansässigen Autokonzerns, der bezeichnenderweise ebenso wie die Journalisten um Anonymität bittet, spricht sogar von "Heuchelei: Da werden von Verlagen Ethikregeln aufgestellt und wir erleben, dass Journalisten, die solche Kodizes predigen, uns auf Messen wegen Anzeigen anhauen".

"Wir bezahlen unsere Reisen selbst"

Die ökonomische Not der Verlage hat die Situation nicht verbessert. Immer häufiger werden journalistische Arbeit und Werbung miteinander vermengt. Der Kampf um Anzeigenkunden, um neue Erlöse, verringert den Abstand zwischen Text und Inseraten.

Bei der Diskussion über neue Regeln verlangte im Vorjahr der Geschäftsführer eines bekannten Regionalverlages, dass sich die Reisejournalisten nicht mehr von Veranstaltern zu teuren Trips einladen lassen: "Wir bezahlen unsere Reisen selbst."

Als ihm später die Redaktion die dann anfallenden Kosten mitteilte, erklärte er, Reiseberichte über Norderney und Spiekeroog würden die Kunden interessieren: "Das können sich unsere Leser und wir leisten. Indien ist zu teuer."

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