VW-Werk in Chattanooga:Mitbestimmung à la USA

VW-Werk in Chattanooga: Gewerschaft? Brauchen wir nicht, finden die Arbeiter des VW-Werks in Chattanooga, USA.

Gewerschaft? Brauchen wir nicht, finden die Arbeiter des VW-Werks in Chattanooga, USA.

(Foto: AP)

Die Belegschaft des einzigen Volkswagen-Werks in den USA will keinen Betriebsrat nach deutschem Vorbild. Damit hat die kampfbetonte Gewerkschaft in den Vereinigten Staaten ausgedient. Auch wenn der Zorn über extreme Ungleichheit in der Gesellschaft wächst.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper, New York

Die USA bleiben ohne VW-Betriebsrat. Vorige Woche haben es 1500 Arbeiter des VW-Werks von Chattanooga im Bundesstaat Tennessee in geheimer Abstimmung abgelehnt, von der etablierten Autogewerkschaft United Auto Workers UAW vertreten zu werden. Ohne diese Vertretung jedoch ist die Einrichtung eines Betriebsrats nach amerikanischem Recht unmöglich.

Die Entscheidung bedeutet relativ wenig für Volkswagen als Unternehmen, dafür umso mehr für die Arbeitsbeziehungen in der amerikanischen Industrie. Sie ist ein Rückschlag für den Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats in Wolfsburg, Bernd Osterloh, der das Projekt "Betriebsrat in Chattanooga" vorangetrieben hatte und jetzt ohne Partner in den USA dasteht.

Vor allem ist es jedoch eine krachende Niederlage für die UAW, eine der letzten traditionellen Industriegewerkschaften Amerikas von Belang. Deren Vorsitzender Bob King wusste, um was es bei VW ging: Will die Gewerkschaft auf nationaler Ebene relevant bleiben, muss sie künftig in der Lage sein, nicht nur General Motors, Ford und Chrysler zu organisieren, sondern auch die bisher gewerkschaftsfreien Produktionsstätten ausländischer Anbieter wie VW, BMW, Daimler oder Toyota in den Südstaaten.

Und wenn es bei VW nicht gelingen sollte, wo dann? Zwar haben republikanische Politiker und konservative Gruppen in den vergangenen Wochen viel Geld in eine Propaganda-Offensive gegen die UAW gesteckt. Trotzdem waren die Voraussetzungen für die Gewerkschaft vergleichsweise günstig. Im Gegensatz zur Lage in anderen Unternehmen bekämpfte das VW-Management die Gewerkschaft nicht, sondern stand ihr offiziell neutral, inoffiziell sogar freundlich gegenüber.

Trotzdem haben die Arbeiter entschieden: Sie wollten die Gewerkschaft nicht, weil sie Streit im Betrieb und den Verlust von Arbeitsplätzen fürchteten; zumal sich die meisten auch so anständig behandelt und bezahlt fühlten.

Im Silicon Valley spielen Gewerkschaften keine Rolle

Der Fall Chattanooga zeigt mit brutaler Klarheit, dass das Modell der kampfbetonten Industriegewerkschaft in Amerika ausgedient hat - trotz des wachsenden Zorns in der Bevölkerung über die extreme Ungleichheit im Land. Relevant sind die Gewerkschaften noch bei Feuerwehrleuten, Polizisten, Lehrern und anderen Angestellten des öffentlichen Dienstes, deren Jobs relativ sicher sind. In Zukunftsregionen wie dem Silicon Valley spielen sie keine Rolle, aus den alten Industrien müssen sie sich zurückziehen.

Das bedeutet nicht, dass das deutsche Modell des Betriebsrats für Amerika uninteressant wäre, im Gegenteil. Während des großen Streits in Chattanooga haben Konservative und Linke viel Sympathie für die Idee von kooperativeren Arbeitsbeziehungen in den Betrieben gezeigt. Die UAW stellte sich in Sachen Betriebsrat sogar explizit als reformierte, geläuterte Organisation dar, die dem Kampfmodell der Vergangenheit abgeschworen hat. Das Bekenntnis kam nur eben zu spät, um glaubwürdig zu sein.

Wenn es der IG Metall und den Betriebsräten in Wolfsburg ernst ist mit ihrem Modell, dann sollten sie künftig weniger Energie darauf verwenden, für die deutsche Mitbestimmung zu werben, dafür umso mehr, um mit amerikanischen Experten Modelle zu entwickeln, wie unter den derzeitigen rechtlichen Bedingungen doch noch eine betriebliche Vertretung möglich wird.

Die Vorschrift, wonach ein Betriebsrat nur dann erlaubt ist, wenn der Betrieb zuvor gewerkschaftlich organisiert wurde, dient eigentlich dem Schutz der Arbeitnehmer. Mit ihr soll die Gründung arbeitgebernaher Scheingewerkschaften verhindert werden. Das Ziel kann sicher auch erreicht werden, ohne auf kooperative Arbeitsbeziehungen verzichten zu müssen. Möglicherweise eröffnet das Votum von Chattanooga den Weg zu echten Reformen für Amerika.

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