VW-Skandal:Bei Volkswagen ist alles möglich

Emissions Falsification Scandal Rocks Volkswagen

Besucher vor dem Volkswagen-Ausstellungsberich bei der diesjährigen IAA in Frankfurt.

(Foto: Getty Images)
  • Warum werden die Vorgänge bei VW gerade jetzt öffentlich: An diesem Freitag sollte eigentlich der Vertrag Winterkorn bis 2018 verlängert werden.
  • Einige bei VW spekulieren, dass diesen Sturm jemand vorbereitet hat, dass einer die Fäden zieht, der im Frühjahr seinen Machtkampf gegen Winterkorn verloren hat.
  • VW soll die Krisensitzung des Aufsichtsrats vorgezogen haben, heißt es in einem Medienbericht.

Von Thomas Fromm

Warum gerade jetzt? An einem Tag in Wolfsburg, an dem man nicht genau weiß, ob der Chef noch lange im Amt ist oder nicht, stellen sie sich bei VW viele Fragen. Zum Beispiel, ob es Zufall ist, dass ausgerechnet in dieser Woche der große Abgasskandal aus den USA in die Welt hineinschwappt und den Konzern in eine schwere, wohl existenzielle Krise stürzt? Denn ausgerechnet an diesem Freitag sollte eigentlich der Vertrag von VW-Boss Martin Winterkorn um zwei Jahre bis 2018 verlängert werden - drei Tage vor diesem Datum ist nicht einmal klar, ob er am Ende der Woche überhaupt noch Chef sein wird.

Einige bei VW spekulieren, dass diesen Sturm jemand vorbereitet hat, dass einer die Fäden zieht, der im Frühjahr seinen Machtkampf gegen Winterkorn verloren hat. Steckt der frühere VW-Aufsichtsratschef und Konzernpatriarch Ferdinand Piëch dahinter? "Es weiß doch jeder, dass Piëch jetzt nicht zu Hause sitzt und Rosen züchtet", sagt einer, der den Konzern gut kennt. Daher sei das Timing "perfekt gewählt". Die US-Behörden gehen jedenfalls davon aus, dass die Vorwürfe schon im Mai 2014 im Hause VW bekannt waren. Damals hatten wohl erste Untersuchungen die Manipulationen an den Abgaswerten für Dieselfahrzeuge aufgedeckt. Eine Zeitbombe also - und demnach war es nur eine Frage der Zeit, wann sie jemand scharf stellen würde. Wenn es so gewesen ist, dann wäre das Milliardendesaster um Abgas-Manipulationen in diesen Tagen nichts anderes als die Fortsetzung des Frühjahrsdramas "Piëch gegen Winterkorn." Zweiter Teil.

"Es weiß doch jeder, dass Piëch jetzt nicht zu Hause sitzt und Rosen züchtet"

Aber ist das wirklich überzeugend? Ist diese Hypothese glaubhaft? Oder sind das nicht die üblichen Verschwörungstheorien, die es in so einem Fall immer gibt? Die andere Sichtweise, die in Wolfsburg verbreitet wird, ist deshalb genauso plausibel, und sie geht so: Warum soll jemand so verrückt sein und seinen eigenen Konzern zerstören? Warum soll er sein Lebenswerk gefährden, in das er Milliarden Euro investiert hat, die sich gerade an der Börse in Luft auflösen? Ein gutes Drittel ihres Wertes hat die Aktie in nur zwei Tagen verloren. "Der Mann würde doch riskieren, alles zu verlieren. Das ergibt keinen Sinn", sagt einer aus dem Konzern.

Es sind Debatten, die zeigen: Im großen Volkswagen-Konzern rumort es wie kaum zuvor, Gewissheiten gibt es keine. Alles gilt als möglich, man verdächtigt sich gegenseitig, das Misstrauen wächst - und das Selbstvertrauen schwindet. Ein Konzern spekuliert über sich selbst.

Vorentscheidung am Mittwoch

Noch am Dienstagabend trafen sich Mitglieder des mächtigen-Aufsichtsrats mit Top-Managern zu einer Krisensitzung. Ihr Ziel: Das Treffen am Mittwochmorgen vorbereiten und die Stimmung der Teilnehmer sondieren. Die aber sind: äußerst skeptisch. Aufsichtsratschef Berthold Huber, VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, Großaktionär Wolfgang Porsche, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ringen um eine Lösung. "Die Situation ist sehr schwierig", heißt es aus dem Kontrollgremium. Das kann man auch so übersetzen: Die Sitzung ist ergebnisoffen, das Schicksal Winterkorns, dessen Vertrag regulär im nächsten Jahr ausläuft, hängt am seidenen Faden. Das Vertrauen der Aufsichtsräte wackelt, und um es wieder aufzurichten, braucht es schon sehr gute Argumente.

Winterkorn muss um Job fürchten

Am Dienstagnachmittag richtete sich Winterkorn mit einer Videobotschaft auf der Internetseite des Konzerns an die Öffentlichkeit. Auch er habe "zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Antworten auf alle Fragen". Aber man sei "dabei, die Hintergründe schonungslos aufzuklären". Winterkorn wörtlich: "Dazu kommt in diesen Stunden alles auf den Tisch, so schnell, gründlich und transparent wie möglich". Der Chef richtet seine Botschaft auch nach innen: "Es wäre falsch, wenn wegen der schlimmen Fehler einiger weniger die harte und ehrliche Arbeit von 600 000 Menschen unter Generalverdacht gerät."

"Winterkorn nicht mehr zu halten"

Ob das fürs Erste genügt? Die Aufsichtsräte müssen entscheiden. Und wenn der Vertrag am Freitag schon nicht verlängert werden kann, dann stellt sich die Frage: Wird der 68-Jährige überhaupt noch Chef sein nach diesen Tagen? Der "weltweite Druck" sei so groß geworden, dass Winterkorn schwer zu halten sein werde, sagt ein Insider. Dass es jetzt schnell gehen könnte und der 62-jährige Porsche-Chef Matthias Müller schon als Nachfolger für Winterkorn feststehe, bezeichnet ein Sprecher am Dienstag als "Schwachsinn". Ein mutiges Dementi. Immerhin bezeichnen Kontrolleure Müller als einen "soliden Mann", der den Konzern kenne.

Sollte sich der Aufsichtsrat also zu einem Wechsel durchringen, würde es schnell gehen: Weichenstellung am Mittwoch, Nachfolgeregelung am Freitag. Während VW bei der Frankfurter Messe IAA seine neuen Modelle ins Scheinwerferlicht stellt, sortiert sich der Hersteller mal so eben und ganz nebenbei neu.

Zwei Hiobsbotschaften

Am Dienstag überraschte VW mit zwei Hiobsbotschaften. Die erste: Der erfolgsverwöhnte Konzern mit seinen 200 Milliarden Euro Jahresumsatz gab eine Gewinnwarnung heraus, und das ist so gemeint, wie es formuliert ist. Der Skandal wird sich schon in diesen Monaten auf das Finanzergebnis der Wolfsburger auswirken, deshalb werden im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Das was VW hier schon mal für die Folgekosten seiner Affäre einkalkuliert, ist mehr als die Hälfte des Gewinns, den VW im vergangenen Jahr erzielte. Und Analysten zweifeln jetzt schon daran, dass das ausreicht bei all den Klagen und Ermittlungen. Die zweite Botschaft: Die Software, mit der Abgaswerte manipuliert wurden, wurde in elf Millionen Fahrzeugen eingebaut - und zwar weltweit. Bisher war die Rede von 500 000 Autos - und nur in den USA. Überall - in Italien, in Frankreich, Südkorea und Australien - schaut man sich die Dieselfahrzeuge nun genauer an.

Das heißt: Der Skandal hat wohl noch weitaus größere Ausmaße als bisher angenommen. So groß, dass am Dienstagnachmittag Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt entscheidet, eine eigene Untersuchungskommission einzusetzen und nach Wolfsburg zu schicken. Die Expertengruppe soll noch in dieser Woche nach Wolfsburg reisen und sich dort die Unterlagen des Konzerns anschauen. "Unsere Kommission wird untersuchen, ob die betreffenden Fahrzeuge innerhalb der bestehenden deutschen und europäischen Vorschriften gebaut und geprüft worden sind - und ob dies konform der Fahrzeugzulassungen geschehen ist", sagte Dobrindt. Ein Bundesverkehrsminister kontrolliert Europas größten Autokonzern, einen Koloss, dessen Vorstandschef Winterkorn 15 Millionen Euro im Jahr verdient und dessen Vorstände sich bislang für die Elite im Autobau hielten - auch dies hätte bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten.

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