VW-Prozess gegen Volkert und Gebauer:"Eigenbeleg, 300 Euro, eine Prostituierte Seoul"

Sex, Untreue, Lügen: Der dritte Prozess um die VW-Affäre hat begonnen. Geboten wird die tragische Geschichte zweier Männer, die sich nicht mehr ins Gesicht sehen können.

Hans Leyendecker

Es gibt Fotos, die den früheren Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der VW AG, Klaus Volkert, 64, und den früheren VW-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer, 63, gemeinsam an exquisiten Stränden in fernen Ländern, in sündhaft teuren Hotels und an Bord komfortabler Privatjets zeigen. Auf einigen Fotos sind im Hintergrund schöne Frauen zu sehen. Es sind Bilder aus einer vergangenen Zeit.

Als die beiden früheren Duzfreunde an diesem Donnerstagmorgen vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig in einem Untreueprozess erscheinen, bei dem es um viel Geld, Kooperation und Kumpanei der Arbeitnehmer und käufliche Frauen geht, liegt zwischen den Angeklagten ein Abstand von wenigen Metern, aber es sind Welten, die sie trennen.

"Früher haben wir uns zu schöneren Anlässen getroffen"

Der einst mächtigste deutsche Betriebsrat und der Organisator der Lustreisen des Gesamtbetriebsratsausschusses waren im November 2006 in einer Magdeburger Mercedes-Vertretung letztmals zusammengekommen und bei dieser Gelegenheit soll Volkert zu Gebauer, der im Verfahren eine Art Kronzeuge der Staatsanwaltschaft war, gesagt haben:

"Du bist nichts mehr wert. Es wäre hilfreich gewesen, wenn du dich vor einen Zug geworfen hättest." Das habe er nicht gesagt, hat Volkert energisch dementiert. Der Dialog sei ganz anders verlaufen.

Jetzt reden sie gar nicht mehr miteinander. Gebauer, der einen dreiteiligen Anzug trägt, steht abseits, als Volkert, flankiert von drei Anwälten, in die Kamerabatterien schaut: "Früher haben wir uns zu schöneren Anlässen getroffen" sagt der 64-Jährige, aber er schaut Gebauer nicht an und der linst nur ein bisschen herüber.

Gleich am Anfang des Prozesses wird klar, dass es in dieser Hauptverhandlung auch um den Konzern geht, der auch in Braunschweig eine wirkliche Macht ist.

7000 Menschen arbeiten im VW-Werk, bei VW Financial Services sind weitere 3000 Personen beschäftigt. In der alten Residenzstadt läuft normalerweise nichts gegen die Volkswagen-AG.

Die Prozessbeteiligten treten eine Reise von noch ziemlich überschaubarer Dauer an - das Gericht hat nur neun Verhandlungstage angesetzt - aber die Exkursion wird in einen für Außenstehende unbekannten Kontinent führen.

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"Eigenbeleg, 300 Euro, eine Prostituierte Seoul"

Lateinisch gebildete Juristen verweisen gern darauf, das Strafverfahren sei ein Prozess, weil es voranschreiten soll. Für die daran Beteiligten ist es schon am ersten Verhandlungstag ein Lernprozess.

Auf der Richterbank haben drei Berufsrichter, zwei Schöffen und zwei Ergänzungsschöffen Platz genommen und schon kurz nachdem die Vorsitzende Richterin Gesine Dreyer einen "Guten Morgen" gewünscht hat, stellen Gebauer-Anwalt Wolfgang Kubicki und Volkert-Anwalt Johann Schwenn Anträge, einige der Schöffen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Der Schöffe Winfried Schollmeyer etwa, der am 22. Oktober 2007 für die Hauptverhandlung ausgelost worden ist, arbeitet als Industriemechaniker bei VW und Kubicki weist unter Verweis auf Paragraph 31, Absatz 1 der Strafprozessordnung darauf hin, dass dieser Umstand das "Misstrauen in die Unparteilichkeit des Schöffen" rechtfertige.

Die VW AG habe als "Anzeigenerstatterin ein maßgebliches Interesse am Ausgang des Verfahrens zu Lasten insbesondere auch des Angeschuldigten Gebauer" und der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Volkert sei immerhin "Interessenvertreter des Schöffen" gewesen. Ob Volkerts Verhalten "an moralischen und rechtlichen Grundsätzen gemessen gerechtfertigt" werden könne, werde das Verfahren zeigen.

Ein Schöffe muss weichen

Der Schöffe könne sich "genötigt" sehen, das Verfahren zu Gunsten von VW zu beeinflussen. Auch könne der Schöffe möglicherweise seine "persönliche Betroffenheit über das Verhalten seiner Arbeitnehmervertreter" bei der Volkswagen AG zum Ausdruck bringen. Schwenn argumentiert ähnlich und auch Oberstaatsanwalt Hans-Christian Koch, der gemeinsam mit seinem Kollegen Ralf Tacke die Anklage vertritt, zeigt Verständnis für den Befangenheitsantrag.

Bei den beiden Ergänzungsschöffen, deren Anwesenheit ein Platzen des Prozesses verhindern soll, handelt es sich um zwei Betriebsräte. Der eine arbeitet bei der Arbeiterwohlfahrt in Braunschweig, der andere bei einem Tiefbauunternehmen.

Da "in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck entstanden sei, Betriebsräte seien käuflich, sie stellten ihre eigenen Interessen vor das Wohl der von ihnen vertretenen Arbeitnehmer", argumentiert Kubicki, sei es "nahezu undenkbar", dass sie das Verhalten der Angeklagten "unvoreingenommen und unparteilich würdigen" könnten.

Strafverfolger Koch argumentiert, dann könne auch kein Richter über einen Richter zu Gericht sitzen. Die Kammer lehnt die Befangenheitsanträge ab. Klar wird aber schon jetzt, dass dieser Prozess, der noch vor der Landtagswahl in Niedersachsen am 27. Januar nächsten Jahres beendet werden soll, ein Desaster für die Arbeitnehmerbewegung werden kann.

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"Eigenbeleg, 300 Euro, eine Prostituierte Seoul"

Mit einem Mann weniger an Bord geht die Reise los und es wird sich zeigen, ob es bei diesem Verlust bleiben wird. Dann liest Oberstaatsanwalt Ralf Tacke, der die 81 Seiten lange Anklage verfasst hat, den 31 Seiten langen Anklagesatz vor.

Dem gelernten Schmied Volkert, den die Technische Universität Braunschweig zum Ehrendoktor ernannt hat, wird Anstiftung zur Untreue vorgeworfen. Angeblich hat der frühere VW-Personalvorstand Peter Hartz den ehemaligen Betriebsratschef auf dessen Drängen "um seiner Tätigkeit willen" begünstigt.

Volkert erhielt Sonderboni in Höhe von knapp zwei Millionen Euro. Die Anklage wirft ihm zudem vor, durch "dienstferne Veranstaltungen" für ihn und seine ehemalige brasilianische Geliebte sei VW ein weiterer Schaden in Höhe von 290.000 Euro entstanden.

Die Anklage legt ihm außerdem Zahlungen des Konzerns in Höhe von rund 399.000 Euro zur Last. Gebauer, der für die Kollegen nach eigenen Angaben nur "die Menüs zusammengestellt" hat, wird Untreue in 41 Fällen vorgeworfen. Der von den Ermittlern angenommene Schaden beträgt in seinem Fall 1.257.700 Euro.

Die Zahlen lösen im Schwurgerichtssaal des Braunschweiger Landgerichts Gemurmel und Seufzer aus. Im Publikum sitzen viele VW-Rentner, auch ältere Frauen. Einige von ihnen waren schon beim Prozess gegen den früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz dabei, der Anfang des Jahres zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde.

Wenn das Leben die Phantasie übersteigt

In den Zuschauerreihen sitzt ein ehemaliger VW-Vertrauensmann, der, wie er sagt, "wegen Volkert bei VW ausgeschieden" ist. Er sei mit dem früher mächtigen Kollegen bei einer Betriebsversammlung aneinandergeraten und habe dann im Betrieb unter Druck gestanden. Er habe sogar psychiatrische Hilfe gebraucht.

Heute arbeite er fürs Theater und sitze an einem Stück über "Dr. V.". Aber kaum hat Tacke begonnen, den Anklagesatz zu verlesen, nicken manche Zuhörer ein. Zahlenkolonnen haben die Sinnlichkeit eines weißgekachelten Kreißsaals, selbst wenn die Kosten für Besuche in Bordellen wie dem Prager Etablissement K5 oder die Aufstellungen für Reisen der brasilianischen Geliebten von Volkert vorgelesen werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich der Angeklagte Gebauer mehr als Opfer sieht.

"Eigenbeleg, 300 Euro, eine Prostituierte Seoul"

Natürlich wurden die Kosten, ebenso wie Ausgaben für einen Maßanzug (739 Euro), für Schmuck, Mobiltelefone als "vermeintlich dienstlich veranlagte Kosten" von der Volkswagen AG erstattet. Auch Kleinigkeiten wurden bezahlt: "Eigenbeleg, 300 Euro, eine Prostituierte Seoul" steht in der Anklage oder: "400 Euro, Prostituierte Vivien, Braunschweig, Sommer 2003". Wenn das Leben die Phantasie übersteigt, wird es langweilig, selbst wenn es braust und saust.

Der frühere Personalmanager erklärte, er sei "mehr Opfer als Täter". Er habe "immer im Auftrag" gehandelt. Bei VW sei ein "System der Intransparenz" geschaffen worden, um die Ausgaben zu verstecken.

Ihm sei von Hartz aufgetragen worden, sich um Volkert zu kümmern: "Geht es Volkert gut, geht es VW gut", sei ihm gesagt worden. Einfach sei sein Job nicht gewesen. Die brasilianische Geliebte von Volkert beispielsweise konnte "nervig sein" und habe "Mitarbeiter wie Bedienstete behandelt".

Die Anklage sei zutreffend, weil sie "im Wesentlichen auf meinen Aussagen beruht". Gebauer erklärte, er habe sich bei den Ausgaben immer um "Plausbilität" bemüht. Schließlich komme er "aus der Revision". Volkert sagte in seiner Einlassung, er habe "Fehler" gemacht, die er bedaure. Die Staatsanwaltschaft werfe ihm allerdings "Sachen vor, die bei Hartz ausgespart wurden".

Am Nachmittag gibt Gebauer eine Erklärung ab. Über ihn steht an diesem Tag wieder eine Menge in den Blättern, aber Kubicki hat seinem Mandanten beim Frühstück gesagt, der dürfe die Berichte erst nach seiner Einlassung lesen.

So war in dem Hartz-Verfahren, anders als in der Volkert-Anklage, nicht von Prostituierten die Rede. Volkert erklärte, er sehe in der Behandlung seines Falles eine "Diskriminierung und Bloßstellung". Die Sonderboni habe er erhalten, weil er Management-Aufgaben wahrgenommen habe.

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