VW-Chef Winterkorn:"Schmerzhafte Veränderungen"

VW-Chef Martin Winterkorn über die Krise der Autobranche, umstrittene Staatshilfen und die Zukunft des Batterie-Autos.

C. Busse, M. Kuntz

Seit fast zwei Jahren steht Martin Winterkorn, 61, an der Spitze des Volkswagen-Konzerns. Derzeit kämpft die Automobilbranche mit einer der schlimmsten Krisen ihrer Geschichte. Auch bei VW ist der Absatz im November eingebrochen. Winterkorn rechnet mit weiteren Rückgängen, sieht den Konzern aber gut gerüstet.

VW-Chef Winterkorn: VW-Chef Martin Winterkorn sagt: "Ein weiter so kann es nicht geben."

VW-Chef Martin Winterkorn sagt: "Ein weiter so kann es nicht geben."

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Herr Winterkorn, GM steht vor der Insolvenz, Daimler und BMW beantragen Kurzarbeit, Fiat braucht einen starken Partner. Wie schlimm ist die Lage bei VW?

Winterkorn: Auch bei uns ist die Lage derzeit nicht erfreulich, aber lange nicht so radikal schlecht. VW ist aber insgesamt in starker Verfassung. Unsere Mehrmarkenstrategie zahlt sich gerade jetzt aus. Mit Rücksicht auf die Marktlage haben wir fünf zusätzliche Schließungstage über die Feiertage hinaus beschlossen, das ist noch sehr moderat. Aber wir rechnen damit, dass der Absatzeinbruch weiter anhält und sich unter Umständen noch verschärft. Die Industrie steht vor schmerzhaften Veränderungen.

SZ: Müssen Sie dann wie die Konkurrenz Kurzarbeit beantragen?

Winterkorn: Nein, momentan ist keine Kurzarbeit in unseren Werken geplant. Wir fahren auf Sicht und diskutieren im Vorstand immer wieder die Situation. Bisher können wir im Rahmen der Produktionsflexibilität gegensteuern. Weitere Maßnahmen sind derzeit nicht notwendig, aber auch nicht auszuschließen. Anfang dieser Woche haben wir die Investitionen für das kommende Jahr erneut überprüft. Wir werden die Kapazitäten ganz sicher nicht hochfahren.

SZ: Sie planen derzeit ein Werk in den USA. Werden Sie das angesichts der katastrophalen Marktsituation auf Eis legen?

Winterkorn: Nein. Es bleibt beim geplanten Werk in den USA, im Januar werden wir den Grundstein legen. Die USA werden weiterhin Autos brauchen, die Mobilität in den USA ist nur mit Autos zu gewährleisten. Deshalb liegen wir mit dieser Investition genau richtig. Wir wollen für die Zeit nach dem Abschwung gerüstet sein.

SZ: Aber VW spürt doch die Krise, wie sieht die Prognose für 2008 aus?

Winterkorn: Wir wollten bei der Stückzahl, beim Umsatz und beim Ergebnis 2008 besser als 2007 sein. Daran halten wir fest. Natürlich steht die Mannschaft derzeit unter besonderer Anspannung. In dieser Woche ist unser Führungskräftetreffen in Dresden, da werden alle auf die vor uns liegende schwierige Phase eingeschworen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir sehr gut aufgestellt sind, aber auch für uns gilt: Ein weiter so kann es nicht geben.

SZ: Ist Ihre Planung für das kommende Jahr Makulatur?

Winterkorn: Wir werden diese Planung nicht halten können. Ursprünglich sollte der Weltmarkt 2009 bei 62 Millionen Neufahrzeugen liegen. Die jüngsten Prognosen gehen jetzt von rund 51 Millionen Fahrzeugen aus. Das ist ein Minus von fast 20 Prozent für den Weltmarkt. Da werden wir uns als drittgrößter Hersteller nicht ganz abkoppeln können.

SZ: Womit rechnen sie?

Winterkorn: Unsere Produkt- und Marktstärke macht sich positiv bemerkbar. Wir werden besser als der Markt sein. Aber auch für den Volkswagen Konzern könnte sich ein Rückgang von etwa zehn Prozent ergeben.

SZ: Und wie ist die Prognose für 2010?

Winterkorn: Da kann ich mich nicht festlegen. Die vergangenen schweren Krisen haben gezeigt, dass es zwei bis drei Jahre dauert, bis das Tal durchschritten ist. Wir haben in vielen Branchen einen ungewöhnlich steilen Abstieg begonnen und werden 2009 im Tal bleiben. Ob es dann 2010 eine weitere Stagnation oder wieder einen Anstieg des Absatzes geben wird, kann zur Zeit niemand sagen.

SZ: Warum sollte gerade VW so vergleichsweise gut durch die Krise kommen?

Winterkorn: Wir haben derzeit die richtigen Modelle, unsere Fahrzeugpalette ist im Schnitt dreieinhalb Jahre alt. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, und unsere Produktionsprozesse sind in Ordnung. Die Kunden wollen derzeit kleine und sparsame Motoren, und die haben wir. Wer muss auch an Heiligabend, an Silvester und Neujahr 10.000 TSI-Motoren für den Polo und den Golf zusätzlich produzieren, um die Nachfrage zu stillen? Nur wir.

SZ: Aber auch Sie produzieren im Konzern zu viele zu große Fahrzeuge?

Winterkorn: Viele Kunden wollen doch nicht nur kleine Fahrzeuge. Unser Konzept ist es, auch große Fahrzeuge mit wenig Verbrauch zu bauen. Meine Vision: Schon bald werden wir einen Audi A 8 mit einem hochmodernen Vier-Zylinder-Motor haben.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Martin Winterkorn die Lage der spanischen Tochter Seat einschätzt - und wie er Weltmarktführer Toyota einholen will.

"Schmerzhafte Veränderungen"

SZ: Gerade haben Sie den neuen Golf eingeführt. Da muss doch der Absatz stocken, gibt es Rabatte?

Winterkorn: Der neue Golf ist ein Riesenerfolg, und passt hervorragend in die aktuelle Marktsituation. Gerade in der Krise wollen die Kunden kleine Motoren und etwas Werthaltiges für ihr Geld. Aber dass wir ursprünglich, vor der Krise, andere Planzahlen hatten, ist auch klar.

SZ: Bei Seat läuft es besonders schlecht. Ist die Sanierung gescheitert?

Winterkorn: Der spanische Markt ist wie kaum ein anderer in Europa eingebrochen - von 1,6 auf 1,1 Millionen Fahrzeuge. Und Seat hat einen Marktanteil von zehn Prozent. Klar ist, dass Marken, die schon unter normalen Bedingungen zu kämpfen haben, es da besonders schwer haben. Aber irgendwann wird auch Spanien wieder aus der Talsohle herauskommen, und damit auch Seat mit seinen hervorragenden Produkten.

SZ: Wer kauft denn noch Ihre Luxusautos der Marken Bentley, Bugatti und Lamborghini?

Winterkorn: Die Geschäfte laufen auch da. Auch in diesen Zeiten gibt es genügend Kunden, die sich Luxus leisten wollen und können. Nicht alle werden nur noch auf der Sparwelle unterwegs sein. Es liegt nun mal in der Natur des Menschen: Wer viel gearbeitet hat, will sich auch etwas leisten. Der gönnt sich ein gutes Essen, ein großes Haus oder ein schönes Auto.

SZ: Sie wollten als Konzern eigentlich Weltmarktführer Toyota einholen. Gilt das noch?

Winterkorn: Wir geben unsere langfristigen Ziele doch nicht auf. Im Gegenteil, wir fühlen uns für den Wettbewerb bestens gewappnet. Auch jetzt treiben wir unsere Innovationen voran und arbeiten unverändert an neuen Automobilen. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

SZ: Wäre es gut, wenn einige Autohersteller in dieser Krise pleite gingen und vom Markt verschwänden?

Winterkorn: Das ist wie bei einem Boxkampf: Sie können gewinnen, aber haben danach trotzdem eine Schramme. Was wir brauchen, sind stabile Verhältnisse: Wer ums Überleben kämpft, schadet allen, etwa mit starken Preisnachlässen und dem ungesunden Hochschrauben der Zulassungszahlen. Dazu kommt: Derzeit gibt es weltweit ja nur noch ganz große Hersteller, ein Zusammenbruch hätte schlimme Folgen.

SZ: Die Alternative wäre, diese mit staatlichen Hilfen zu retten. Ist das in Ihrem Sinn?

Winterkorn: Das muss man sich ganz genau anschauen. Die Frage ist doch: Was macht das staatlich geförderte Unternehmen dann mit dem Geld?

SZ: Würden Sie gegen solche Beihilfen vorgehen?

Winterkorn: Nein.

SZ: Mit den VW-Banken haben auch Sie Staatsgarantien beantragt.

Winterkorn: Das ist etwas anderes. Da fließt kein Geld, sondern es gibt Garantien, mit denen wir in der extrem schwierigen Situation auf den Kapitalmärkten etwas bessere Konditionen bei der Refinanzierung unseres Bankgeschäfts erzielen können. Es gibt bei unseren Finanzierungsinstituten keine Existenzschwierigkeiten, keine faulen Kredite und kein Eigenkapitalproblem.

SZ: Alle reden derzeit von der Zukunft elektrisch angetriebener Autos. Wann wird man sie kaufen können?

Winterkorn: Da wird derzeit von vielen der Eindruck erweckt, morgen oder in sechs Monaten ist eine brauchbare Batterie da. Doch so schnell geht das nicht. Die Industrie entwickelt mit allen Kräften und hohen finanziellen Anstrengungen. Mit batteriegetriebenen Fahrzeugen werden sie aber nicht vor 2013 mehr als kurze Strecken fahren können.

SZ: Warum nicht?

Winterkorn: Die Lithium-Ionen-Technologie ist sehr komplex und schwierig. Damit diese sicher und zuverlässig in unseren Fahrzeugen funktioniert, sind noch viel Entwicklungsarbeit und ein langer Lernprozess notwendig.

Lesen Sie im dritten Teil, wie Martin Winterkorn das Verhältnis zwischen VW und Porsche sieht - und welche Pläne er mit den Lastwagenbauern MAN und Scania hat.

"Schmerzhafte Veränderungen"

SZ: Das klingt fast so, als ob VW bei diesem Thema bremsen will.

Winterkorn: Überhaupt nicht, das wäre der völlig falsche Eindruck. Gerade VW gibt bei dem Thema Batterie Gas. Wir konzentrieren alle Investitionen auf Zukunftstechnologien und geben mit unserer Strategie "18plus" jährlich rund acht Milliarden Euro für die Entwicklung innovativer Antriebskonzepte aus. Dabei spielt der Elektroantrieb eine entscheidende Rolle. Ich bin überzeugt, dass irgendwann in den Zentren großer Städte nur noch Fahrzeuge mit Batterie fahren. Doch wir müssen den Menschen angesichts der Euphorie auch reinen Wein einschenken und für eine realistische Einschätzung sorgen.

SZ: Kann VW die hohen Investitionen in Zukunftstechnologien allein tragen?

Winterkorn: Aus heutiger Sicht werden wir unsere Investitionen aus eigener Kraft finanzieren können.

SZ: Kommt VW mit seinem Großaktionär Porsche inzwischen besser klar?

Winterkorn: Ja, denn die Zusammenarbeit besitzt eine industrielle Logik. Kein kleiner Hersteller kann sich beispielsweise eine eigene teure Elektronik für seine Autos leisten. Porsche wird den Baukasten von Audi nutzen, wie auch Scania von Volkswagen profitiert. Das kann man aber nicht verordnen, man muss die Menschen dafür gewinnen, sie müssen es wollen, dann gibt es den Erfolg. Diese Kultur muss man entwickeln.

SZ: Bei der Elektronik profitiert Porsche von VW. Und umgekehrt?

Winterkorn: Zum Beispiel kam die Keramikbremse von Porsche, ebenso die ersten vollverzinkten Karosserien. Für uns ist die Stabilität und die Langfristigkeit entscheidend, für die Großaktionäre auf den Kapitalmärkten sorgen.

SZ: Der Einstieg von Porsche hat den Kurs der VW-Aktie in schwindelerregende Höhe getrieben. Daran hat auch der VW-Vorstand viel verdient?

Winterkorn: Nicht nur der Vorstand. Es gab Optionspläne für alle Mitarbeiter. Die für die Vorstände waren im gleichen Umfang wie für die 220 Top-Führungskräfte. Jeder, der rechtzeitig gewandelt hat, hat davon profitiert. Die Vorstände haben 25 Millionen Euro erlöst und zehn Prozent davon gespendet.

SZ: Hat sich Ihr Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch durch seinen Streit mit der Familie Porsche persönlich ins Abseits manövriert?

Winterkorn: Nein. Er ist so präsent und engagiert wie eh und je. Ich treffe ihn weiter häufig, was nach wie vor sehr fruchtbar für diesen Konzern ist. Und ein Dr. Piëch lässt sich doch nicht ins Abseits manövrieren.

SZ: Wann kommen Sie in den Vorstand der Porsche Holding?

Winterkorn: (lacht): Das hat der Aufsichtsrat der Porsche SE zu entscheiden, nicht ich.

SZ: Die Hersteller von Nutzfahrzeugen werden nicht mehr ganz so klotzig verdienen wie in den vergangenen Jahren. Kommt jetzt die Lkw-Allianz mit Scania und MAN? An beiden ist VW beteiligt.

Winterkorn: Erst einmal arbeiten wir mit Scania zusammen. Die Kompetenz von VW im Leichtbau, bei Elektronik und bei sparsamen Motoren kommt auch Scania zugute. Die Aussichten bei den Lkw sind langfristig gut, denn es wird weltweit immer mehr transportiert werden.

SZ: Um von Synergien zu profitieren, muss man MAN nicht unbedingt in den VW-Konzern holen?

Winterkorn: Ja, da gibt es viele Möglichkeiten.

SZ: MAN-Chef Håkan Samuelsson darf also seinen erfolgreichen Kurs fortsetzen?

Winterkorn: Ja, das darf er.

SZ: VW könnte Großaktionär von Daimler werden, der Aktienkurs ist günstig.

Winterkorn: Die Idee ist nicht neu. Das macht sie aber nicht besser.

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