VW-Konzern:Vom Niedergang eines Herrenklubs

VW-Konzern: Ein Bild aus - für die Abgebildeten - glorreichen Zeiten: die Audi- und VW Chefs Rupert Stadler und Martin Winterkorn im Jahr 2014

Ein Bild aus - für die Abgebildeten - glorreichen Zeiten: die Audi- und VW Chefs Rupert Stadler und Martin Winterkorn im Jahr 2014

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Jahrzehntelang verhielten sich deutsche Auto-Manager wie aufgeplusterte Gockel. Die Verhaftung von Audi-Chef Stadler zeigt: Diese Branche braucht einen Kulturwandel - dringender denn je.

Kommentar von Angelika Slavik

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Verhaftung des Audi-Chefs Rupert Stadler zu betrachten. Man kann es, Variante eins, mit einiger Erleichterung tun. Die Aufarbeitung der Abgasaffäre und ihrer Folgen zieht sich schon fast drei Jahre hin, nun kommt in diesen quälenden, zähen Prozess endlich ein wenig Bewegung. Das ist gut. Zudem haben Ermittler und Staatsanwälte offenbar keinen Respekt vor den großen Namen in der obersten Führungsriege, auch das zeigt diese Verhaftung. Unabhängig davon, wie die Causa für den Audi-Chef also persönlich ausgehen mag - für ihn gilt die Unschuldsvermutung -, sind das Nachrichten, die Hoffnung machen: Jene, die den vielleicht größten Industriebetrug der Nachkriegsgeschichte verursacht haben, werden sich vor dieser Verantwortung nicht drücken können.

Es gibt aber auch noch eine zweite Variante, auf diese Verhaftung zu blicken: Man kann sich fragen, was sie aussagt über den Zustand der deutschen Autoindustrie. Und dann wird die Sache bitter.

Noch vor ein paar Tagen war das Geschrei groß über die erratische Handelspolitik des US-Präsidenten. Böse amerikanische Zölle auf gute deutsche Autos! Das gefährde die Absatzzahlen, die Arbeitsplätze, die Zukunft der ganzen Industrie. Empörend! Wenn man genauer hinsieht, muss man sagen: Ja, die Industrie steckt in der Bredouille - aber nicht wegen des amerikanischen Präsidenten. Die deutschen Autokonzerne und ihr Führungspersonal haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Fehler und Versäumnisse geleistet, die sie jetzt einholen. Und die sind für ihre Zukunft mit Abstand die größte Bedrohung.

Die Abgasaffäre wurzelt beim VW-Konzern, zu dem auch Audi gehört, vor allem in einer rückständigen Konzernkultur. Während in anderen Branchen Hierarchien abgebaut, neue Denkmuster gefördert, innovative Arbeitszeitmodelle getestet wurden, tat sich bei Volkswagen nichts. Die Absatzzahlen waren ja prächtig, da sah niemand Anlass, sich Gedanken zu machen: über den Wert von Kritik und Widerspruch, zum Beispiel. Oder über die Frage, warum es jahrzehntelang keine einzige Frau in den Vorstand dieses Konzerns geschafft hat. Oder darüber, ob unterschiedliche kulturelle und soziale Prägungen bei Mitarbeitern und Führungspersonal vielleicht ein Vorteil sein könnten, wenn es darum geht, Trends zu erkennen und auf sie zu reagieren. Diese selbstgerechte Grundhaltung änderte sich auch nicht, als 2005 die peinliche "Lustreisen"-Affäre um Ausflüge zu Prostituierten schon einmal die Unternehmenskultur bei VW in den Fokus der Öffentlichkeit rückte: Dieser Konzern blieb ein überheblicher Wolfsburger Herrenklub.

Das war die Basis für die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre. Die Abgasaffäre hat, nach allem, was man bislang sagen kann, überhaupt begonnen, weil es im Konzern nicht üblich war einzuräumen, dass irgendetwas nicht so funktioniert wie von oben angeordnet. Und sie führte vor allem deshalb zu einer dramatischen Strafe in den USA, weil die VW-Vertreter gegenüber den dortigen Behörden so aufgetreten sind, wie sie es aus Wolfsburg gewohnt waren: wie aufgeplusterte Gockel. Demut? War leider nicht im Programm.

Das patriarchale Führungsmodell ist krachend gescheitert

Jenseits der manipulierten Motoren verpasste Volkswagen zudem den Anschluss in Sachen Elektro-Antrieb ebenso wie beim Carsharing - also praktisch alle wichtigen Innovationen der Branche. Fehler, an deren Behebung nun mit Volldampf gearbeitet wird, immerhin. Aber diese Versäumnisse verdeutlichen eben auch: Das patriarchale Führungsmodell ist krachend gescheitert.

Volkswagen ist sicher das extremste, aber nicht das einzige Beispiel für ein Kulturproblem in der Autoindustrie. Auf den großen Automessen stehen noch heute Frauen als schweigendes, immer lächelndes Beiwerk neben den neuen PS-Protzen, da darf man schon konstatieren: Diese Branche hat die Gockelkultur so zelebriert und konserviert wie keine andere.

Wenn man also diese Verhaftung des Audi-Chefs Stadler betrachtet, darf man hoffen, dass sie irgendwann mal rückblickend als Wendepunkt angesehen werden kann. Vielleicht wird man sagen, dass es der Moment war, in dem die Aufarbeitung des Dieselbetrugs erst so richtig begonnen hat. Dass, unabhängig von Stadlers persönlicher Verantwortung oder Unschuld, dann auch die Autoindustrie verstanden hat, dass sich die Anforderungen verändert haben. Jene an die Autos, aber auch jene an die Menschen in den Führungsetagen. Vielleicht wird es der Moment sein, über den man später einmal sagt: Da hatte es sich dann endgültig ausgegockelt.

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