VW-Abgasaffäre:Ermittler filzen Villa von Winterkorn

  • Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist mit ihrem Betrugsverdacht jetzt in der Konzernspitze angelangt - bei Martin Winterkorn.
  • Um herauszufinden, wie weit verbreitet der Betrug bei Volkswagen war und wer alles davon wusste, haben die Strafverfolger diese Woche 28 Büros und Wohnungen gefilzt.

Von Max Hägler und Klaus Ott

Die nächste Razzia, viele weitere Beschuldigte, und nun sogar noch ein Verfahren gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn. Volkswagen kommt in der Affäre um manipulierte Diesel-Autos einfach nicht zur Ruhe. Im Gegenteil. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist mit ihrem Betrugsverdacht jetzt in der Konzernspitze angelangt, beim langjährigen Chef Winterkorn.

Auch bei ihm in München rückten die Ermittler diese Woche zur Durchsuchung seines Büros und seiner Villa an. Der Staatsanwaltschaft liegen Aussagen und Dateien vor, die den einstigen Top-Manager belasten. Und die für die Strafverfolger Anlass sind, in dem Betrugsverfahren neuerdings auch gegen Winterkorn zu ermitteln. Der beteuert indes weiter seine Unschuld, wie seine Anwälte am Freitag hervorhoben.

In den USA hat es Volkswagen geschafft, mit Straf- und Schadenersatzzahlungen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar die Affäre um gesundheitsschädliche Stickoxide zu beenden. Im eigenen Land ist hingegen nichts beendet. Die wegen des Konzernsitzes im benachbarten Wolfsburg zuständige Staatsanwaltschaft in Braunschweig lässt nicht locker.

Um herauszufinden, wie weit verbreitet der Betrug bei Volkswagen war und wer alles davon wusste, haben die Strafverfolger diese Woche 28 Büros und Wohnungen gefilzt.

Das dürfte eine der größten Razzien im Abgasskandal gewesen sein. Eine weitere Zahl verdeutlicht das Ausmaß der Manipulationen. Die Braunschweiger ermitteln nun gegen 37 Beschuldigte. Die von VW anfangs geäußerte These, nur wenige Mitarbeiter hätten Schuld auf sich geladen, ist längst nicht mehr haltbar. Vor einer Woche noch, im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags, hatte Winterkorn wortreich seine Unschuld beteuert: Er hätte das, was bei Volkswagen geschehen sei, nie für möglich gehalten. "Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin." Vielleicht habe er Signale übersehen, erklärte Winterkorn als Zeuge und kündigte an, Details dazu den Staatsanwälten zu erklären. Aber es bleibe dabei: er habe von nichts gewusst. Was geschehen sei, mache die Menschen wütend, auch ihn. Nun sei Aufklärung das "Gebot der Stunde". Das sahen auch die Abgeordneten so, die seinen Unschuldsbeteuerungen jedoch wenig Glauben schenkten. Als Winterkorn im Bundestag aussagte, da hatte die Staatsanwaltschaft längst beim zuständigen Amtsgericht Braunschweig Durchsuchungsbeschlüsse für die Razzia erwirkt. Anlass waren unter anderem Angaben von zwei VW-Technikern, die gewissermaßen als Kronzeugen agieren. Sie haben bei dem Betrug mitgemacht und kooperieren nun mit den Behörden, um glimpflich wegzukommen. Die beiden Techniker behaupten, sie hätten im Juli 2012 einen engen Vertrauten Winterkorns über die in den Diesel-Autos eingebaute illegale Software informiert, die als "Defeat Device" bekannt geworden ist.

Einer der Kronzeugen erklärte, er sei davon ausgegangen, dass der Winterkorn-Vertraute den Vorstandsvorsitzenden informiere. Im Frühjahr 2014 soll dieser Vertraute sogar gesagt haben: "Ich muss mit dem Chef sprechen." Der Chef in Wolfsburg war Winterkorn. Nach offizieller Darstellung von VW hat dieser erst im Spätsommer 2015 von den Manipulationen erfahren.

Über diese Aussagen und diesen Vertrauten von Winterkorn hatten SZ, NDR und WDR bereits vor zwei Wochen berichtet. Der langjährige Vertraute des damaligen Konzernchefs ist Bernd Gottweis. Er leitete den Ausschuss für Produkt-Sicherheit (APS), eines der wichtigsten Gremien bei Volkswagen. Bei Gottweis, er ist heute ebenso wie Winterkorn in Rente, landete nahezu alles, was für VW gefährlich war. Er galt als Feuerwehrmann, als Brandlöscher. Seine Aufgabe war es, Probleme zu lösen. Jetzt hat er selbst Probleme. Gottweis zählt zu den 37 Beschuldigten in Braunschweig. Auch er soll also an dem Betrug mitgewirkt haben.

So sehen das auch die US-Behörden, die Gottweis bereits angeklagt haben. Ohne ihn allerdings vorher anzuhören, was rechtsstaatlich fragwürdig ist. Die Anwälte des früheren APS-Chefs weisen die Vorwürfe gegen ihren Mandanten zurück. Diese kämen offenbar von Personen, die selbst "tief verstrickt" seien und die nun anderen mit falschen Anschuldigungen belasteten. Das Motiv dafür sei erkennbar, so die Anwälte von Gottweis. Gemeint ist: Die Schuld auf andere schieben, vor allem nach oben verweisen, um von sich selbst abzulenken. Ob dem so ist, oder ob die Vorwürfe gegen Gottweis und Winterkorn zutreffen, bleibt abzuwarten. Bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, dürften noch etliche Monate vergehen.

Schadenersatz auch in Deutschland?

Für Winterkorn ist es bereits das zweite Verfahren. Ein erstes Aktenzeichen in Braunschweig hatte er bereits Mitte 2016 bekommen; wegen des Verdachts, der Börsenkurs der Volkswagen-Aktie sei manipuliert worden. Der Konzern habe die Anleger möglicherweise zu spät über drohende finanzielle Folgen der Abgas-Manipulationen informiert.

Erst war es um 550 000 Fahrzeuge in den USA und dann um weltweit mehr als elf Millionen Wagen gegangen, die weit mehr Stickoxide ausstießen als gesetzlich erlaubt. Stickoxide reizen die Schleimhäute der Atemwege und Augen und sind vor allem, aber nicht nur für Asthmatiker schädlich. Deshalb sollten Diesel-Fahrzeuge sauberer werden, vor allem durch ausgeklügelte Abgasanlagen. Das geschah jedoch, nicht nur bei VW, oftmals lediglich bei den offiziellen Messungen im Labor. Auf der Straße hingegen wurden weiter viele Schadstoffe ausgestoßen.

Zum Schaden von Mensch, Tier und Natur. Den Schaden hat nun auch VW. Nach den horrenden Zahlungen in den USA könnte auch Schadenersatz in Deutschland fällig werden. Für die vielen Aktionäre, die sich falsch informiert sehen und deshalb Milliardenbeträge einklagen wollen. Je früher Winterkorn von dem Betrug gewusst hätte, desto bessere Chancen hätten diese Aktionäre mit ihren Klagen. Das macht die Ermittlungen gegen den Ex-Chef so gefährlich für den Konzern.

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