Handel:Jedem Kunden sein eigener Laden

Virtual Reality im britischen Parlament

Mit einer Spezialbrille können die Kunden schon im Reisebüro einige Sehenswürdigkeiten ihres möglichen Urlaubsortes – hier das britische Parlament – erkunden.

(Foto: Stefan Rousseau/dpa)

Noch ist virtuelle Realität im Einzelhandel recht selten. Die Technik könnte aber dazu führen, dass die Käufer für viele Produkte nicht mehr in ein Geschäft kommen müssen.

Von Nikola Noske

Wasser schlägt gegen den Bug des kleinen Boots. Dessen Boden ist mit etwas Moos bewachsen, wie unbeeindruckt von der Sonne, die vom Himmel strahlt. Im Boot sitzt eine junge Frau, ein Steuermann stakt sie über einen Fluss in Südostasien. Staunend blickt die Dame sich um. "Krass", sagt sie - und setzt die Virtual-Reality-Brille wieder ab. Sie kehrt zurück in die Wirklichkeit: den "DER Concept Store", eine Vorzeige-Filiale der Reisebürosparte, die zur Lebensmittelkette Rewe gehört.

In dem Berliner Geschäft werden eine Reihe an neuen technischen Möglichkeiten darauf getestet, wie sie beim Kunden ankommen. Moderne Soundanlagen, an die Wand projizierte Bilder, die auf Bewegungen der Kunden reagieren und vor allem die Virtual-Reality-Brillen. Die Brillen werden durch Kopfbewegungen gesteuert und können insgesamt 600 Bilder und Videos von Reisezielen und Sehenswürdigkeiten in 55 Ländern zeigen. Zusammen mit dem Elektronikkonzern Samsung will DER den Kunden 360-Grad-Rundgänge durch Hotels, Kreuzfahrtschiffe und Urlaubsziele ermöglichen. Falls die Technologie bei den Kunden ankommt, sollen die Brillen in den 2100 Vertriebsstellen weiter verbreitet werden.

Für Virtual Reality im Vertrieb entwickelt sich aktuell ein großer Markt. Janine Seitz ist Einzelhandels-Expertin beim Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main. "Auf dem Automarkt, aber auch beim Verkauf von Immobilien und in der Freizeitsparte kommt VR immer häufiger zum Einsatz", sagt sie. In Deutschland wurden laut dem Beratungsunternehmen Deloitte 2017 insgesamt 330 Millionen Euro Umsatz mit VR gemacht. Bis 2020 könnte es schon mehr als eine Milliarde Euro sein. Bisher wird ein Großteil des Umsatzes mit den verkauften Brillen, also der Hardware gemacht. Bis 2020 könnten schon mehr als zwei Drittel des Umsatzes durch die Inhalte entstehen, die über die Brillen vermittelt werden.

Man kann Produkte vorführen, die noch gar nicht produziert sind

Durch diese Inhalte können dem Kunden Produkte lebensecht präsentiert werden, ohne dass sie davor hergestellt oder importiert werden müssen. Zudem ist Virtual Reality hervorragendes Marketing für die Unternehmen. Denn solange die Technik auf dem Markt noch neu ist, bringt sie für den Kunden ein besonderes Einkaufserlebnis mit sich - und somit ein Imageplus für die Konzerne.

Unproblematisch ist die VR-Technik allerdings nicht. Bei vielen Menschen führen die dreidimensionalen Bilder zu Übelkeit. Nach Lösungen für dieses Problem wird aktuell geforscht. Dass Unternehmen ihre Produkte in der virtuellen Realität optimiert darstellen könnten, um die Kunden zu manipulieren, hält Expertin Seitz für unwahrscheinlich. "Die Unternehmen könnten eine Menge Kundschaft verlieren, sobald die Kunden den Artikel in der Hand halten und er nicht ihren Erwartungen entspricht."

Seitz sieht in der virtuellen Realität eher ein gesellschaftliches Problem. Es bestehe künftig die Gefahr, dass Kunden keine Geschäfte mehr aufsuchen müssten, um Produkte zu kaufen. Damit würde ein Großteil der sozialen Interaktion entfallen. "Aktuell ist das allerdings noch nicht zu befürchten, da die Sparte noch sehr klein ist", sagt Seitz. Außer DER Touristik steigen aber auch weitere große Händler in den VR-Markt ein.

Audi etwa war 2013 der erste deutsche Autohersteller, der seine Händler mit Virtual-Reality-Brillen ausstattete. Ein Grund: Kunden, die heute einen Neuwagen kaufen wollen, gehen davor im Durchschnitt nur 1,2 Mal zum Autohändler. Sie informieren sich meist im Internet und stellen ihr Fahrzeug im Konfigurator auf der Herstellerwebsite zusammen. Das sollte sich wieder ändern. "Unsere Kunden sollen mit Audi neben hochwertigen Autos auch Innovationen verbinden", sagt Marcus Kühne, Virtual-Reality-Experte bei dem Autohersteller. Mithilfe der Spezial-Brillen können die Kunden nun direkt im Autohaus ihr Wunschauto gestalten, es von allen Seiten betrachten und sogar virtuelle Probefahrten unternehmen. "Motorsportbegeisterte Kunden können bei uns außerdem in die Rennatmosphäre der 24 Stunden von Le Mans eintauchen und per Virtual Reality an einem Boxenstopp teilnehmen", sagt Kühne.

Filialen in den Innenstädten zu mieten wird immer teurer

Abgesehen vom Marketing hat der Einsatz von VR noch einen weiteren Vorteil für Autohersteller. "Weil Autohäuser viel Platz benötigen, stehen viele in Gewerbegebieten außerhalb der Stadt", sagt Retail-Expertin Seitz. "So fehlt allerdings die Nähe zum Kunden." Durch VR-Technik könnte nun eine Menge Platz gespart werden. Das würde den Händlern erlauben, mehr Filialen in den Innenstädten zu eröffnen und damit näher an der Kundschaft zu sein. So könnte sich die Frequenz in den Autohäusern erhöhen, was diesen langfristig einen höheren Umsatz einbringen könnte. Bei Audi soll Virtual Reality den klassischen Showroom laut Marcus Kühne nicht ersetzen. Momentan wird in den "Audi Citys", den Innenstadtfilialen des Herstellers, bereits ein Konzept mit sehr wenigen Fahrzeugen und einem Fokus auf virtueller Realität ausprobiert.

Auch der Elektronikhändler Saturn legt sein Geschäftsmodell zunehmend auf Virtual Reality aus. Erst kürzlich hat die Technikmarkt-Kette ihre neueste Kreation - die virtuelle Einkaufswelt "Virtual Saturn" vorgestellt. Kunden können dort Produkte in 3D betrachten und sich von Mitarbeitern, die sich als Avatare hinzuschalten, beraten lassen. Anschließend können die Kunden die Artikel kaufen. Auch ist "Virtual Saturn" als App zum Download verfügbar und kann von zu Hause aus mit einer VR-Brille genutzt werden. So müssen Kunden nicht mehr für jeden Einkauf in die Filiale kommen.

Die Einkaufswelt ist europaweit die erste ihrer Art. Doch auch im Bereich virtuelle Einkaufsläden könnten schnell Unternehmen nachziehen, sagt Seitz. "So müssen Unternehmen nicht in vielen unterschiedlichen Städten Filialen eröffnen und dafür teure Verkaufsflächen mieten", sagt Seitz. Jeder Kunde könnte zukünftig in seinem eigenen Store einkaufen gehen und sich virtuell beraten lassen.

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