Vorwurf der Bestechung:Griechische Staatsanwälte jagen ehemalige Siemens-Manager

Die Justiz in Athen ist unerbittlich: Sie will einstige Siemens-Topmanager wegen Bestechung anklagen, obwohl der Fall in Deutschland schon längst erledigt ist. Einige wollen sich dagegen wehren.

Klaus Ott und Tasos Telloglou

Zehntausende Klagen gehen Jahr für Jahr beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Aber dies hier wäre ein besonders heikler Fall. Gerade jetzt, da die deutsch-griechischen Beziehungen nicht frei von Spannungen sind. Die Staatsanwaltschaft in Athen will gegen elf langjährige deutsche Siemens-Manager vorgehen, darunter Ex-Vorstände einschließlich des einstigen Konzernlenkers Heinrich von Pierer.

Die griechische Justiz will die Deutschen zur Rechenschaft ziehen dafür, dass der Elektrokonzern aus München auch in Griechenland Politiker und Beamte bestochen hat, um so lukrative Aufträge zu ergattern. Doch das wäre, sagen einige der betroffenen Ex-Manager, ein Verstoß gegen die Menschenrechte: "Dagegen werden wir uns wehren." Mit einer Klage beim Gerichtshof in Straßburg. Sobald sie in Athen angeklagt und zur Festnahme ausgeschrieben werden, wollen sich mehrere alte Siemensianer wehren.

Was derzeit in Athen geschieht, erinnert an den Umgang der dortigen Justiz mit dem früheren Siemens-Vorstand Volker Jung. Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wurde trotz fehlender Beweise für eine persönliche Verwicklung in den Schmiergeldskandal angeklagt und im Lande festgesetzt. Als er sich nach zwei heißen Sommern und einem kalten Winter auf der Ägäis-Insel Paros absetzte und nach München in die Heimat zurückkehrte, suchten die Ermittler ihn mit internationalem Haftbefehl.

Deutschland liefert Jung nicht aus, aber jeder andere Staat in Europa müsste ihn festnehmen und nach Athen überstellen, wo er ins Gefängnis käme. Also kann der einstige BDI-Vize nicht mehr ins Ausland reisen. Das droht nun auch den alten Kollegen von Jung, denen die Athener Staatsanwaltschaft ebenfalls ein Aktenzeichen verpassen will. Pierer äußert sich dazu nicht. Insofern ist ungewiss, ob auch er den Gerichtshof in Straßburg anrufen würde.

Ehemalige Konzern-Manager verweisen auf den lateinischen Spruch "ne bis in idem". Dieser juristische Grundsatz besagt, dass niemand in ein und derselben Sache zweimal verfolgt werden darf. Die meisten der elf Siemensianer, denen wegen des Schmierskandals Ärger in Athen bevorsteht, sind in Deutschland rechtskräftig verurteilt. Andere wie Jung und Pierer haben ein Bußgeld gezahlt (ohne eine Mitschuld an der Affäre zuzugeben). Ihre Akten müssten eigentlich längst geschlossen sein. Doch das interessiert die Athener Justiz nicht, wie der Fall Jung beweist.

Der frühere BDI-Vize bekam von der Münchner Staatsanwaltschaft bescheinigt, dass gegen ihn strafrechtlich nichts vorliegt. Als das nichts bewirkte, versuchte die deutsche Justiz sogar, ihm mit einer Art Deal zu helfen. Jung bekam, weil er seine Aufsichtspflichten bei Siemens vernachlässigt und dadurch Schmiergeldzahlungen ermöglicht habe, ein Bußgeld aufgebrummt. Damit war seine Sache rechtskräftig erledigt, und das wurde den Griechen auch so mitgeteilt. Doch die Athener Justiz ignoriert das und lässt Jung einfach weiterhin per Haftbefehl suchen.

Nur ein Ablenkungsmanöver der griechischen Justiz?

Bei Pierer & Co. sähe das Szenario ähnlich aus: Erst eine Anklage, die wohl nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen ist, dann eine Vorladung in die hellenische Hauptstadt, zum Verhör. Dem werde aber, sagt ein betroffener Siemensianer, niemand Folge leisten. Weil sonst dasselbe passieren würde wie bei Jung. Der war zur Vernehmung nach Athen gereist und durfte dann das Land nicht mehr verlassen.

Und wenn nun Jungs alte Kollegen nicht nach Griechenland fahren, dann folgt automatisch ein internationaler Haftbefehl, der fast überall außerhalb Deutschlands vollstreckt würde. Rein aus formalen Gründen, trotz des Grundsatzes "ne bis in idem". Dieses Vorgehen sei ein Verstoß gegen die Menschenrechte, sagen einige der elf ehemaligen Konzernmanager - deshalb die geplante Klage beim Europäischen Gerichtshof.

Die Straßburger werden normalerweise erst aktiv, wenn der Rechtsweg im jeweiligen Mitgliedsstaat des Europarats ausgeschöpft ist. Darauf könne man in Griechenland lange warten, wendet einer der Siemensianer ein: "Das erlebt man meist nicht mehr." Er hofft, dass die Klage in Straßburg zumindest "eine hohe symbolische Wirkung" hätte.

Die Sache sieht von Athen aus völlig anders aus. Dort steht die Justiz unter Druck, weil die alte korrupte Clique in Politik und Behörden bislang weitgehend geschont wird. Und weil selbst große Steuerhinterzieher, die Millionen und Milliarden Euro ins Ausland geschafft haben, kaum angeklagt werden. Und weil das spektakuläre Siemens-Verfahren vor sich hin dümpelt. Eine Anklage gegen Pierer und die anderen wäre ein Tätigkeitsnachweis. Ein Ablenkungsmanöver.

Die Staatsanwaltschaft wirft den alten Siemensianern aus der Zentrale in München vor, sie hätten die Schmiergeldzahlungen in Griechenland ermöglicht und seien schuldig. Genau das hat die Justiz in München geprüft und Bußgelder oder sogar Strafen wegen Ordnungswidrigkeiten oder Gesetzesverstößen im Zusammenhang mit Korruption im Ausland verhängt. Alles längst erledigt. Das könnte dazu führen, dass der zuständige Richterrat in Athen die geplanten Anklagen gegen die Siemens-Leute wieder kassiert. Die Frage ist, wie lange das dauert.

Der heutige Siemens-Vorstand hat sich mit Griechenland auf Schadensersatz und auf neue Projekte verständigt. Der Konzernvorstand hat bei der Gelegenheit erklärt, für Investitionen in Athen brauchten die Firmen eine funktionierende Justiz und einen verlässlichen Rechtsstaat. Die drohenden Haftbefehle gegen alte Siemensianer und ein anschließendes Verfahren beim Europäischen Gerichtshof gegen Hellas könnten Investoren irritieren, sagen einige der davon betroffenen Ex-Manager. Sie glauben, Athen schade sich selbst mit solchen Aktionen.

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