Vorwürfe der Bafin gegen Deutsche Bank:Viel zu lange weggeschaut

Deutsche Bank Co-CEO Anshu Jain Interview

Anshu Jain und der Libor-Skandal: Die Bafin wirft ihm vor, dass er zu lange wegschaute und nicht hinterfragte, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

(Foto: Munshi Ahmed/Bloomberg)
  • Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat einen Bericht angefertigt, in dem sie Vorwürfe gegen den bisherigen Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, erhebt.
  • Es geht um die Frage, ob er wusste, dass Mitarbeiter der Bank den wichtigen Zinssatz Libor manipuliert haben.
  • Jain und Co. hätten viel zu lange weggeschaut, heißt es in dem Papier.

Von Harald Freiberger, Ulrich Schäfer und Meike Schreiber

Als Josef Ackermann im Juni 2008 zum Telefon griff und mit Anshu Jain sprach, da soll er richtig wütend gewesen sein. Es gebe, schimpfte der damalige Chef der Deutschen Bank, in jenem Bereich, den Jain leitet, dem Handel mit Wertpapieren aller Art, "kulturelle Defizite".

Nachzulesen ist das Zitat - und auch die Aussage, dass Ackermann wütend war - in einem 37-seitigen Schreiben, das die zuständige Abteilungsleiterin der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Frauke Menke, vor zehn Wochen an die Deutsche Bank geschickt hat. In dem Brief geht es um die Manipulation des wichtigsten Referenzzinses der Finanzmärkte, um den Libor, und Menke rechnet vor allem mit jenem Mann ab, der nur wenige Wochen später zurückgetreten ist: mit Anshu Jain.

Jain führte drei Jahre lang die Deutsche Bank, angetreten war der gelernte Investmentbanker mit dem Ziel, die auch von Ackermann monierten "kulturellen Defizite" zu beheben. Gescheitert ist er auch deshalb, weil ihm dies nicht gelungen ist - und vielleicht auch, weil Frauke Menke dieses Versagen derart heftig angeprangert und mit Konsequenzen gedroht hat. Der zeitliche Ablauf ist jedenfalls auffällig: Menkes Schreiben datiert vom 11. Mai; am 21. Mai werden Jain und der zweite Chef der Bank, Jürgen Fitschen, auf der Hauptversammlung von den Aktionären abgewatscht, Jain deutet danach im kleinen Kreis erstmals die Möglichkeit an, sein Amt aufzugeben; am 7. Juni treten beide zurück.

Aufklärung nicht schnell und entschlossen genug vorangetrieben

Menkes Schreiben wurde am Freitag vom Wall Street Journal auf seiner Website publik gemacht. Es geht darin um die Frage, ob führende Leute der Deutschen Bank wussten (oder hätte wissen müssen), dass Banker in London gemeinsam mit den Kollegen anderer Banken in London den Libor manipuliert haben. Der Libor ist für den Wert von Geldanlagen in Billionenhöhe entscheidend und dient als Grundlage für die abenteuerlichsten Wetten an den Finanzmärkten.

Jain und Co. haben, so lautet zusammengefasst der Vorwurf von Menke, viel zu lange weggeschaut; sie haben die hohen Gewinne, die Händler der Deutschen Bank mit ihren Zinswetten erzielten, dankbar hingenommen; aber sie haben nicht hinterfragt, ob wirklich alles mit rechten Dingen zugeht, wenn plötzlich sehr viel gewaltigere Summen als in den Vorjahren eingefahren werden; und sie haben anschließend, als die Vorwürfe publik wurden, die Aufklärung nicht schnell und entschlossen genug vorangetrieben.

Jain war an der Manipulation des Libor nicht direkt beteiligt, das hat er immer wieder beteuert. Er hat auch nach allem, was bekannt ist, nicht den Auftrag dafür gegeben. So steht es auch im Bericht der Bafin. Aber er hat, so wirft es ihm Menke vor, jene Kultur geschaffen, in der solche Manipulationen gedeihen konnten. Jain sei als Leiter der Global-Markets-Abteilung für die Organisation und Arbeitsatmosphäre "verantwortlich gewesen, die solches Verhalten begünstigt" habe, heißt es in dem Bericht. Menke spricht von einer "großen Zahl" von Vorwürfen und fügt hinzu, diese seien in der Summe "ernst".

Absprachen in Chatrooms namens "Das Kartell" und "Die Mafia"

Es fängt damit an, dass Jain den Londoner Handelssaal im Jahr 2005 hat umbauen lassen. Die Händler, die mit Zinswetten sich und die Bank reich machten, saßen danach, so sieht es die Bafin, viel zu nah bei den sogenannten Submittern, die jeden Mittag den Libor in einem Bieterwettbewerb mit anderen Banken festlegen. Der Libor wurde nach Erkenntnissen der Aufsichtsbehörden in Europa und den USA über Jahre hinweg durch Absprachen der beteiligten Submitter mehrerer Banken manipuliert; teils tauschten sie sich dazu in obskuren Chatrooms mit Namen wie "Das Kartell" oder "Die Mafia" aus.

Durch die neue Sitzordnung bei der Deutschen Bank in London sind die Interessenkonflikte zwischen Händlern und Submittern laut Bafin "verstärkt" worden, schreibt Menke. Eine besondere Rolle spielte dabei Christian Bittar, der bestbezahlte und erfolgreichste Händler, den die Deutsche Bank wohl je hatte: Er verdiente in seinem besten Jahr einen Bonus von 80 Millionen Euro.

Anshu Jain im Interview mit der FAS am 17. Mai 2015

"Ja, es wurden Fehler gemacht, und wir haben daraus gelernt. Wir helfen nach Kräften bei der Aufklärung, die Behörden erkennen dies an."

Jain habe, schreibt Menke, eine bemerkenswerte Beziehung zu Bittar gehabt, er habe ihn gefördert und sich bei Ackermann für einen hohen Bonus eingesetzt. Bittar und Carl Maine, ein anderer Zinshändler, hätten "Berge von Geld" ("mountain of money") für die Bank verdient, soll Jain in einem Telefonat mit Ackermann gesagt haben, aus dem Menke zitiert, deshalb sollten sie einen Bonus von insgesamt 130 Millionen Euro bekommen. Die beiden seien "die besten Leute, die wir haben", sie seien "gute Jungs".

Der Bericht belastet aktuelle Vorstände

Menke wirft die Frage auf, ob die Neuorganisation der Handelsabteilung in London nicht zuletzt auch deshalb geschehen sei, um den Händlern, unter ihnen Bittar, die Möglichkeit zu geben, direkt mit den Submittern zu reden, die jeden Tag den Libor ermitteln, und dadurch höhere Profite im Handel zu erzielen. Es sei, schreibt Menke, jedenfalls bemerkenswert, dass die Profite der Abteilung anschließend kräftig gestiegen seien.

Später dann, im Jahr 2009, als die ersten Gerüchte aufkamen, der Libor sei manipuliert worden, habe Jain selber eine interne Untersuchung eingeleitet - dies rechnet ihm die Bafin auch als Pluspunkt an. Allerdings habe er - dies ist der Minuspunkt - einen Teil der Untersuchungsergebnisse zunächst zurückgehalten und nicht dem Vorstand präsentiert.

Eine entscheidende Rolle spielt zudem Alan Cloete, einer der engsten Vertrauten von Jain in der Bank. Er leitete die Abteilung, in der die Manipulationen passierten. Menke sieht "substanzielle Verdachtsmomente", dass er von den Manipulationen wusste. Sie hält es auch für denkbar, dass er eine verdächtige Anordnung an einen Händler kannte oder sie möglicherweise sogar selbst gab: "Schau, dass unsere Libors auf der niedriegen Seite sind." Cloete, der im Vorstand für das Asiengeschäft verantwortlich war, wurde schon im Mai noch vor Jain als eine Art Bauernopfer entlassen.

Er sagte dem Wall Street Journal, der Bericht der Bafin sei "unausgewogen" und er werde dagegen vorgehen.

Auch gegenüber der Bundesbank soll Jain nicht mit offenen Karten gespielt haben. Ja, Menke wirft sogar die Frage auf, ob Jain nicht am 5. Oktober 2012 in einer Befragung zum Libor-Skandal "wissentlich" falsche Angaben gemacht habe. Also mit anderen Worten, auch wenn Menke das so nicht formuliert: ob er gelogen hat. Jain behauptete damals, er habe erst im ersten Quartal 2011 von den Gerüchten gehört, der Libor sei manipuliert worden. Doch an anderer Stelle weist Menke in ihrem Bericht darauf hin, dass Jain schon im Frühjahr 2008 zwei Mails von seinem Vertrauten Cloete erhalten habe, in dem es um Gerüchte dazu gegangen sei; zuvor war ein entsprechender Bericht des Wall Street Journal erschienen.

"Schwerwiegende" Versäumnisse

Der Bericht der Bafin belastet auch aktuelle Vorstände der Bank: Dem langjährigen Finanzchef Krause, der inzwischen für den Zahlungsverkehr zuständig ist, wirft Menke vor, 2009 zwar eine interne Prüfung durchgeführt, die Zinstricksereien aber nicht erkannt zu haben. Rechtsvorstand Stephan Leithner soll 2013 in einer Mail gemahnt haben, gegenüber der Presse nicht zu erwähnen, dass man intern schon 2008 über Libor-Manipulationen gesprochen habe - "da ansonsten die Frage aufkommt, warum niemand bei der Deutschen Bank damals reagiert hat". Auch bei Michele Faissola, Chef der Vermögensverwaltung, will Menke nicht ausschließen, dass er von den Zinstricksereien wusste. Sie wirft ihm "schwerwiegende" Versäumnisse vor. Der frühere Investmentbanker und Jain-Vertraute soll Informationen zurückgehalten und trotz früher Hinweise auf Manipulationen das Libor-Procedere nicht geändert haben.

Die Deutsche Bank mag sich zu den Vorwürfen im Detail nicht äußern. Es wäre "unangemessen, zum jetzigen Zeitpunkt Schlussfolgerungen hinsichtlich des Verhaltens der Bank oder einzelner Personen zu ziehen", hieß es in einer Stellungnahme. "Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ihre detaillierten Antworten aus Respekt vor dem aufsichtsrechtlichen Procedere in nicht-öffentlicher Form erfolgen." Der Bericht der Bafin enthalte zudem Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen seien.

Auch Jain und die anderen belasteten Manager wollten sich nicht äußern. Im Umfeld der Deutschen Bank werden sie jedoch in Schutz genommen: Das Schreiben der Bafin basiere auf einem 700-seitigen Prüfbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young), deren Kritik die Bafin stark zugespitzt habe. "Die Ergebnisse von EY sind bei Weitem nicht so dramatisch, wie die Bafin das da herauslesen will", heißt es. Die Bafin stehe offenbar unter "Rechtfertigungsdruck", weil die Untersuchung so teuer gewesen sei (die Rede ist von bis zu 200 Millionen Euro), und schlage deshalb "einen deutlich schärferen Ton" als EY an. Zudem mache es sich die Bafin zu leicht: Sie lege bei ihrer Betrachtung, was die Deutsche Bank schon vor Jahren hätte tun müssen, auch zugrunde, was man erst heute wisse. Rückblickend sei man immer schlauer.

Die Bafin könnte Bankvorstände abberufen

An anderer Stelle heißt es dagegen über den Prüfbericht von EY: In der Einleitung stehe zwar, dass der damalige Vorstand der Bank an den Libor-Manipulationen nicht beteiligt gewesen sei und davon auch nichts gewusst habe; danach folge aber heftige Kritik. Auch EY "drischt heftig auf die Leute ein", weil sie bei der Organisation der Bank versagt hätten, sagt jemand, der den Bericht gelesen hat.

Menke jedenfalls kündigt zum Schluss ihres Briefes an, dass sie die Untersuchung gegen die Bank weiter vorantreiben, sie mit den Untersuchungen anderer Aufsichtsbehörden vergleichen und dann entscheiden werde, welche aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sie gegen die Bank möglicherweise ergreife. Wie diese aussehen könnten, entscheidet sich erst, wenn die Behörde die Stellungnahme der Bank ausgewertet hat. Diese hat das Institut gerade fristgerecht geschickt. Als strengste Maßnahme kann die Bafin Bankvorstände abberufen, wenn sie diese für nicht mehr zuverlässig hält. Sie dürfte aber abwägen, denn ein zu großer Aderlass einer so großen Bank ist ein Risiko für deren Stabilität.

Menke jedenfalls ist, wie sie schreibt, "erstaunt" über die Presseberichte der letzten Monate: Angeblich habe die Untersuchung der Bafin "das obere Management der Deutschen Bank, und insbesondere Herrn Jain" entlastet, und die Finanzaufsicht werde keine Maßnahmen ergreifen. Menke betont: "Das ist nicht korrekt."

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