Vorstandsbezüge:Müller überschreitet Grenzwert

Was gehen mich meine Millionen an? Der VW-Chef sprengt die Gehaltsgrenze des Konzerns.

Von Max Hägler und Angelika Slavik, Berlin

Volkswagen - Jahrespressekonferenz

Ob er nicht besser auf einen Teil seines Gehalts verzichtet hätte, um die unglückliche Optik zu vermeiden? Matthias Müller findet, sein Gehalt liege einzig im Ermessen des Aufsichtsrats.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Wie eine Achterbahnfahrt. So beschreibt Matthias Müller die vergangenen zweieinhalb Jahre. Seit der Betrug mit Dieselmotoren aufgeflogen ist, kam dieser Konzern kaum zur Ruhe und er, Müller, wohl auch nicht. Aber eine Konstante gibt es schon. Die Geschäfte laufen bestens.

Müller, 64, steht am Podium der VW-Repräsentanz in Berlin. Es ist die Jahrespressekonferenz, der Konzern stellt hier die Bilanz des vergangenen Jahres vor. Die Eckdaten sind schon seit Wochen bekannt: 13,8 Milliarden Euro operativer Gewinn nach Sondereffekten, fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor, obwohl das Aufräumen des Dieselskandals 16 Milliarden Euro kostete. 10,7 Millionen verkaufte Fahrzeuge. Ein Rekord für das Konglomerat mit seinen zwölf Marken - von Audi über Ducati, MAN, Scania und VW. Wenn man die Zahlen ansieht, könnte man tatsächlich denken, es sei nie irgendwas gewesen.

Da war aber doch was: der vielleicht größte Industriebetrug der Nachkriegsgeschichte. Die Dieselaffäre ist der Grund, warum Matthias Müller überhaupt ins Amt gekommen ist, und sie ist der Grund, warum Müller diesem Unternehmen eine neue Konzernkultur verordnet hat. Flachere Hierarchien, weniger Arroganz, mehr Bodenhaftung, das ist sein Credo. Als Teil dieser Umbauten verkündete der Konzern vor einem Jahr, die Vorstandsgehälter würden künftig gedeckelt: Zehn Millionen Euro sei die absolute Obergrenze für den Konzernchef, für die anderen Vorstandsmitglieder betrage sie 5,5 Millionen Euro.

Für das zurückliegende Jahr nun bekommt Müller nach offizieller Lesart von Volkswagen 9,4 Millionen Euro. Das Problem ist: Dazu kommen noch "Nebenleistungen" und die Altersvorsorge. Macht in der Summe Zuflüsse über 10,14 Millionen Euro. Die schöne neue Gehaltsobergrenze, sie sollte ein Symbol sein für eine neue Ära. Gleich im ersten Jahr wurde sie gesprengt.

Insgesamt betragen die Gehälter für die neun Vorstände: 50,3 Millionen Euro, beinahe elf Millionen mehr als 2016.

Bei VW heißt es, Altersvorsorge und Nebenleistungen dürfe man da nicht mitrechnen. Aber natürlich ist die Optik mindestens unglücklich. Müller will ein neues Image für diesen Konzern, und dann das. Hätte er da nicht lieber 140 000 Euro weniger verdient? Hätte er nicht freiwillig verzichten sollen, als Zeichen dafür, dass jetzt wirklich etwas anders ist in diesem Konzern, dass all die Hybris der Vergangenheit angehört? Müller sagt, da müsse man den Aufsichtsrat fragen. Der kümmere sich um die Vergütung des Vorstands. "Ich will mich wirklich nicht schon wieder an einer Diskussion darüber beteiligen, ob das angemessen ist." Das klingt ein bisschen wie: Was gehen mich meine Millionen an?

Es ist, das hat sich nicht geändert, keine Stärke dieses Unternehmens, die Symbolkraft der Dinge zu erkennen.

Wie zumindest die deutsche Öffentlichkeit VW wahrnimmt, daran erinnern hier in Berlin auch Demonstranten. Die Tierschutzorganisation Peta hat sich vor die Tür gestellt mit vier Schildern: "VW - Stop hurting us", steht da. VW - hör auf, uns wehzutun. Das Konzern-Logo ist blutig eingefärbt, Affen sind abgebildet. Es ist die Erinnerung an diesen Abgastest an Affen. Völlig sinnlos bekamen die Tiere da vor einigen Jahren die Abgase eines VW Beetle zum Atmen. Es ist einer der Fälle, die Müller vor Augen hat, wenn er sagt: Bei der Unternehmenskultur sei VW "sicher noch am weitesten" vom Ziel entfernt. "Mir ist bewusst, dass sich viele von Ihnen fragen, ob es damit überhaupt jemals etwas wird bei Volkswagen", sagt Müller. "Ganz verdenken kann ich Ihnen das nicht."

Dennoch sei Volkswagen 2017 wieder in die "Offensive" gegangen. 231 Milliarden Euro Umsatz, ein Plus von 14 Milliarden. Das Jahr 2017, sagt Müller, habe gezeigt, "dass dieses Unternehmen stark genug ist, auch schwerste Rückschläge zu überstehen". Und zugleich sei er sich der Verantwortung bewusst, die VW wie wenige andere trage. Da geht es natürlich um die Debatte um Luft und Stickoxide, also den Diesel.

Der Konzern wolle bei der Zukunft dieses Antriebs "mit einer konstruktiven Haltung dazu beitragen, dass die Situation nicht weiter eskaliert", so formuliert es Müller. Weitere Software-Nachbesserungen, effizientere Antriebe, so soll die Luft in den Städten verbessert werden. VW will wieder gestalten, nicht immer nur reagieren. Aber natürlich klappt das nicht überall, das weiß auch Müller: "Was wir nur eingeschränkt selbst in der Hand haben, sind die diversen juristischen Themen, die noch nicht abschließend geklärt sind." Es gibt milliardenschwere Zivilklagen in Deutschland, wegen des Vorwurfs, VW habe Aktionäre zu spät über den Dieselbetrug informiert. Es gibt Strafermittlungen in Braunschweig, Stuttgart und in München gegen Bekannte und noch Unbekannte aus dem Konzern wegen des Vorwurfs des Betrugs. Doch Details liegen nicht vor, die Staatsanwaltschaften ließen sich mehr Zeit, "als wir uns wünschen". Es wird, das kann man schon sagen, noch ein paar Runden in der Achterbahn geben.

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