Vor Gericht:Ein Zirkusdirektor spricht

Libor Trial Of Former Trader Tom Hayes

Thomas Hayes, 35, studierte Mathe und wechselte 2006 als Händler nach Tokio zur Schweizer Bank UBS. Dort soll er den Libor-Zinssatz manipuliert haben.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Der Londoner Libor-Prozess bietet Einblicke ins Leben der Star-Händler, denen die Moral abhanden gekommen ist.

Von Björn Finke, London

Wenn er zum Gerichtsgebäude spaziert, hält er oft die Hand seiner Frau Sarah, einer Anwältin. Ausdruckslos schaut er in die Kameras der Fotografen, die auf ihn warten. Er wirkt unscheinbar. Und doch soll jener 35-Jährige im Mittelpunkt eines Rings von Bankhändlern gestanden haben, die über Jahre systematisch den wichtigen Zinssatz Libor manipulierten. Ein "Zirkusdirektor", der Anweisungen gab und das Geschehen in der Manege bestimmte - so beschreibt der Staatsanwalt den Angeklagten Thomas Hayes. Der Prozess gegen den Briten begann vor einer Woche in London und wird noch einige Wochen andauern. Aber schon die ersten Verhandlungstage am Southwark Crown Court, einem Klotz am südlichen Themse-Ufer, gewährten interessante Einblicke.

Einblicke in eine Welt abgehobener Star-Händler, denen der moralische Kompass abhanden gekommen ist.

Und Einblicke darin, wie leicht es war, Zinssätze zu manipulieren.

Thomas - oder Tom - Hayes ist der erste Banker weltweit, der wegen der Betrügereien beim Libor vor Gericht steht. Andere sollen noch in diesem Jahr folgen. Der Skandal hat die Finanzwelt erschüttert; Aufseher brummten Banken insgesamt neun Milliarden Dollar an Strafen auf. Die Deutsche Bank einigte sich erst im April mit Kontrollbehörden auf eine Buße von 2,5 Milliarden Dollar. Der Libor ist ein sogenannter Referenz-Zinssatz: Zinssätze von Krediten und Wertpapieren im Volumen von unvorstellbaren 350 Billionen Dollar orientieren sich an ihm, von der Hypothek bis zum komplizierten Termingeschäft.

Doch Händler wie Hayes sollen den täglich ermittelten Satz gedreht und daran prächtig verdient haben. Aufseher begannen schon vor sieben Jahren mit den Untersuchungen. Später kam noch heraus, dass auch bei anderen wichtigen Kursen auf den Finanzmärkten gemauschelt wurde, etwa bei Devisen-Notierungen.

Hayes wirft die Anklage vor, zwischen August 2006 und September 2010 zusammen mit Kollegen den Libor-Satz für Papiere in der japanischen Währung Yen frisiert zu haben. Es geht um Verschwörung zur Manipulation des Libor in acht Fällen, und das könnte dem früheren Star der Branche zehn Jahre Haft einbringen. Er plädiert allerdings auf unschuldig.

Doch nach seiner Verhaftung im Dezember 2012 arbeitete er zunächst gut mit den Ermittlern vom Serious Fraud Office zusammen, der Londoner Behörde für Fälle schwerer Wirtschaftskriminalität. Bereitwillig legte er dar, wie sein System funktioniert - Aufnahmen dieser Verhöre spielt Staatsanwalt Mukul Chawla dem Gericht immer wieder gerne vor.

Hayes, der an einer milden Form des Asperger-Syndroms leidet, also Autismus, fing 2006 bei der Schweizer Bank UBS in Tokio an. Er spekulierte mit Termingeschäften auf Yen-Zinsprodukte. Sprich: Er schloss Wetten auf die Entwicklung dieses Satzes ab. Den Wert legte damals noch der britische Bankenverband BBA fest, und zwar auf Grundlage von Angaben der Geldhäuser darüber, wie viel Zinsen sie untereinander zahlen müssen. Ein System, das zur Manipulation geradezu einlädt. Und Hayes schlug die Einladung nicht aus, glauben die Ermittler. Zusammen mit Kollegen bei mindestens zehn anderen Banken und Brokerhäusern soll er dafür gesorgt haben, dass die Institute irreführende Daten schickten, damit sich der Yen-Libor in die gewünschte Richtung bewegt.

Ihm war klar, dass das irgendwie ungehörig ist. Nicht jedoch, dass es verboten ist. "Ich sollte so etwas wahrscheinlich nicht machen, aber ich nahm an etwas teil, das übliche Praxis in der Branche war", sagte er laut Aufnahme aus dem Verhör. "Das gab es schon vor meinem Start bei UBS und auch nach meinem Abschied." Bei der Schweizer Bank hätten keine Regeln zu dem Thema existiert. "Ich wusste, dass ich in einem Graubereich agiere", sagte er.

Seine Komplizen bei Brokerhäusern soll er für ihre Kooperation mit hohen Provisionen für Scheingeschäfte beglückt haben. Einen Broker bat er am Telefon, Händler anderer Banken in einen Strip-Klub einzuladen, damit diese am kommenden Tag empfänglich für seine Bitten um Mithilfe sind. Ausführlich geht Hayes auf seine lukrative Zusammenarbeit mit Guillaume Adolph ein, einem Händler der Deutschen Bank. Weil er den Namen des Franzosen nicht richtig aussprechen kann, gab er ihm den Spitznamen Gollum, eine wenig sympathische Figur aus Herr der Ringe.

Hayes und Adolph einigten sich darauf, gemeinsam die Angaben zu drehen, die UBS und Deutsche Bank für die Ermittlung des Yen-Libor machen - zum beiderseitigen Nutzen. Die Anklageschrift nennt Adolph als einen Komplizen von Hayes, Adolph selbst ist aber nicht angeklagt.

Hayes' Vorgesetzte waren sehr zufrieden, der Brite verdiente prächtig. In seinen drei Jahren für UBS in Tokio kassierte er zusammen 1,8 Millionen Euro. Danach arbeitete er neun Monate für Citigroup in Tokio, was sogar 4,9 Millionen Euro einbrachte. Trotzdem erhält der Vater eines Sohnes nun Prozesskosten-Hilfe vom Staat, was nur Bedürftigen gewährt wird. Der Mann ist eben ein Rätsel.

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