Vonovia:Ein Produkt namens Wohnen

Die "tolle Geldanlage" des einen ist das Wohnzimmer des anderen: Bei der Hauptversammlung von Deutschlands größtem Wohnungskonzern treffen zufriedene Aktionäre auf unzufriedene Mieter.

Von Benedikt Müller, Bochum

Eigentlich hat Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia seine Aktionäre zur Hauptversammlung geladen. Und ja, es sind auch ein paar Hundert Anteilseigner nach Bochum gekommen. Dennoch stehen am Dienstag vor allem Mieter und Mieterschützer am Rednerpult. Sie haben sich ein paar Aktien gekauft, damit sie bei der Hauptversammlung kritische Fragen stellen dürfen. So kommt es, dass beim Aktionärstreffen eines Dax-Konzerns weniger die Profite im Vordergrund stehen als vielmehr der Streit um Mieterhöhungen, Hausmeister oder Betriebskosten. Es ist eine Hauptversammlung, die zeitweise wie eine Mieterversammlung anmutet.

Dieser Dienstag führt den Aktionären vor Augen, in welchem Spannungsfeld börsennotierte Vermieter wirtschaften. Bei Vonovia, der früheren Deutschen Annington, wohnen fast eine Million Menschen zur Miete. Der Profit steigt, die Verschuldung geht zurück, die Aktionäre sind zufrieden. Doch funktioniert all das nur, weil Vonovia Mieten erhöhen kann, zum Beispiel nach Modernisierungen. Hans-Jochem Witzke, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Nordrhein-Westfalen, bringt den Konflikt auf den Punkt: "Es ist etwas anderes, ob man an einer Wohnungsgesellschaft beteiligt ist oder an einem Dax-Konzern, der etwa Autoreifen oder Turnschuhe herstellt." Auch Witzke kaufte Aktien, damit er hier sprechen darf.

Vonovias Produkt sind 340 000 Mietwohnungen bundesweit, vor allem in Großstädten wie Dresden, Berlin oder dem Ruhrgebiet. Die Aktionäre genehmigen sich am Dienstag eine Rekord-Dividende von 1,12 Euro pro Aktie, nachdem der operative Gewinn im vergangenen Jahr auf 760 Millionen Euro gestiegen ist. Im laufenden Jahr werde das Ergebnis weiter zulegen, prognostizieren die Manager. Für nächstes Jahr stellen sie nun mindestens 1,30 Euro Dividende in Aussicht. "Die Erfolgsgeschichte von Vonovia geht weiter", sagt Konzernchef Rolf Buch.

Dementsprechend dankbar tritt die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) auf. "Das Geschäftsjahr war sehr positiv", lobt Geschäftsführer Marc Tüngler die Manager. Obwohl Vonovia keinen großen Konkurrenten gekauft habe, sei das Unternehmen gewachsen. Da bleibt dem Aktionärsvertreter nur, dem versammelten Publikum "weiterhin viel Erfolg mit der tollen Anlage" zu wünschen.

Die "tolle Geldanlage" der einen ist das Wohnzimmer der anderen

Doch: Die tolle Anlage der einen ist das Wohnzimmer der anderen. Bei der Hauptversammlung erzählen Mieter, die sich zur Plattform kritischer Immobilienaktionäre zusammengeschlossen haben, von umstrittenen Mieterhöhungen, von Kosten für einen Müllmanager, den man noch nie in der Siedlung erblickt habe. Mieterschützer Witzke trägt vor, was Vereine bundesweit berichten: Viele Vonovia-Mieter erreichten kaum Mitarbeiter vor Ort oder verständen ihre Betriebskosten-Abrechnungen nicht. Dem fairen Mietpreis müsste eine faire Leistung gegenüberstehen, fordert Witzke. "Daran haben wir Zweifel."

Politisch brisant ist all das, weil viele Vonovia-Immobilien einst als Sozialwohnung gebaut wurden, von Städten, Gewerkschaften oder Großunternehmen. Doch viele dieser Akteure haben ihre Immobilien in den Neunzigerjahren privatisiert. Deshalb konnten Konzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen oder LEG erst entstehen.

Sie bauen nun den Leerstand und die Schulden ab. Allerdings betrachten Investoren heute die Politik als großes Risiko für Vonovia: Der Staat könnte Mieterhöhungen künftig enger begrenzen, etwa nach Modernisierungen. So überrascht es nicht, dass sich Konzernchef Buch am Dienstag gegen eine Verschärfung der Mietpreisbremse ausspricht. Vielmehr müsse die Politik die Ursache hoher Mieten lösen: dass zu viele Menschen in den Ballungsräumen um zu wenige bezahlbare Wohnungen konkurrieren. "Es gibt nur eine Lösung: in den Städten mehr zu bauen", sagt Buch.

Ein zweites Risiko sehen die Aktionäre darin, dass der Wert der Mietshäuser einbrechen könnte, sobald die Zinsen wieder steigen. Vonovia-Finanzvorstand Stefan Kirsten gesteht zwar, die Immobilienwirtschaft sei ein zyklisches Geschäft. "Faktoren wie Angebot und Nachfrage sind aber deutlich relevanter als das Zinsniveau." Die Kredite des Konzerns seien dermaßen langfristig abgeschlossen, dass höhere Zinsen erst Jahre später auf den Gewinn drücken würden, sagt Kirsten.

Der bange Blick in die Zukunft zeigt, wie konträr sich Aktionäre und Mieter am Dienstag gegenüberstehen: Die einen sorgen sich, dass der Immobilienboom in ihrem Depot bald enden könnte. Die anderen hoffen, dass der Immobilienboom vor ihrer Haustür bald endlich abebbt.

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