Volkswagen:Winterkorns menschliche Brandschutzmauer

(FILE) Volkswagen CEO Martin Winterkorn Steps Down

Ex-VW-Chef Martin Winterkorn: Hinweise, dass er früher als bislang angenommen von der Abgasaffäre gewusst hat, gibt es zuhauf - Beweise hingegen keinen einzigen.

(Foto: Sean Gallup)
  • VW-Manager haben als Kronzeugen ausgesagt, dass ein enger Vertrauter Winterkorns, Bernd Gottweis, bereits im Juli 2012 von der illegalen Abschalteinrichtung in Diesel-Fahrzeugen gewusst habe.
  • "Ich muss mit dem Chef sprechen", soll Gottweis schließlich im Frühjahr 2014 gesagt haben.
  • Winterkorn selbst ist bislang nicht nachzuweisen, dass er vor dem Spätsommer 2015 von den Abgastricks gewusst hat. Auch der VW-Konzern nimmt ihn weiter in Schutz.

Von Georg Mascolo, Klaus Ott und Nicolas Richter

Nächste Woche, Donnerstag, Deutscher Bundestag: Martin Winterkorn soll erstmals öffentlich zur Abgasaffäre aussagen. Der Untersuchungsausschuss des Parlaments, der die millionenfachen Schadstoff-Manipulationen bei Diesel-Fahrzeugen von Volkswagen aufklären will, hat den ehemaligen Konzernchef als Zeugen geladen. Winterkorn will kommen. Aber wohl nur, um zu erklären, dass er weiter schweigt. Er hat das Recht dazu, da die Braunschweiger Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Seine Anwälte dürften ihm raten, nichts zu sagen.

Zu brenzlig ist die Lage für den langjährigen Vorstandschef. Die Affäre rückt immer näher an ihn heran. VW-Manager haben im Gespräch mit US-Ermittlern als Kronzeugen ausgepackt und dabei nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR Vorgänge geschildert, die zu Winterkorn führen. Er könnte bereits frühzeitig über die Abgas-Betrügereien informiert worden sein, womöglich sogar Jahre früher, als bisher bekannt.

Winterkorn-Vertrauter soll schon im Juli 2012 informiert worden sein

Die Kronzeugen sind Ingenieure aus der Diesel-Entwicklung, die bei den Manipulationen mitgewirkt haben. Sie behaupten, sie hätten im Juli 2012 einen engen Vertrauten Winterkorns über die in den Diesel-Autos eingebaute illegale Software ("Defeat Device") informiert. Einer der Kronzeugen erklärte, er sei davon ausgegangen, dass der Winterkorn-Vertraute den Vorstandschef informieren werde. Später, im Frühjahr 2014, soll dieser Vertraute sogar gesagt haben: "Ich muss mit dem Chef sprechen." Der Chef in Wolfsburg war Winterkorn. Nach offizieller Darstellung von VW hat dieser erst im Spätsommer 2015 von den Manipulationen erfahren.

Winterkorns Vertrauter, dem jetzt eine Schlüsselrolle zukommen könnte, heißt Bernd Gottweis. Er leitete den Ausschuss für Produkt-Sicherheit (APS), eines der wichtigsten Gremien bei Volkswagen. Bei Gottweis, er ist heute ebenso wie Winterkorn in Rente, landete nahezu alles, was für Volkswagen gefährlich war. Er galt als Feuerwehrmann, als Brandlöscher. "Der riecht, wenn Unheil droht", hieß es in Wolfsburg. Die Gefahr in den USA soll er nicht nur gerochen haben, er soll davon gewusst haben. Zwei Kronzeugen haben ausgesagt, sie hätten Gottweis und den späteren VW-Markenvorstand Heinz-Jakob Neußer im Juli 2012 genau darüber informiert, was in den USA geschehe. VW halte dort die strengen Grenzwerte für Stickoxide nur auf dem Prüfstand ein. Auf der Straße hingegen schalte das verborgene Defeat Device die Abgasreinigung aus.

VW lässt seine Manager fallen - nicht jedoch Winterkorn

Die US-Justiz glaubt dieser Darstellung. Sie hat Gottweis, Neußer und vier weitere VW-Manager angeklagt. In der Anklage steht, Gottweis und Neußer hätten bei dem Termin im Juli 2012 den Zweck des Defeat Device erkannt. Sie hätten darauf gedrängt, alles geheim zu halten. Und sie hätten sogar angeordnet, eine ihnen vorgelegte Skizze über die illegale Software zu vernichten. Das sind schwere Vorwürfe, die nicht einmal mehr von Volkswagen abgestritten werden. Der Autokonzern bestätigt in seinem Vergleich mit der US-Justiz über Strafzahlungen in Milliardenhöhe ausdrücklich, dies sei alles wahr. VW lässt also Gottweis und Neußer fallen - nicht jedoch Winterkorn, den der Konzern nach wie vor in Schutz nimmt.

Es gibt dafür einen guten Grund: Je früher der Vorstandschef von den Betrügereien erfahren hätte, desto bessere Chancen hätten die Aktionäre, die VW auf Schadenersatz in Höhe von bald zehn Milliarden Euro verklagen. Wegen der Kursverluste infolge der Abgasaffäre. Und weil der Konzern eben seine Aktionäre nicht informiert habe. Je später Winterkorn im Bilde gewesen wäre, desto besser für VW - weil der Vorstand etwas, das er nicht weiß, den Anlegern auch nicht verschweigen kann. Einer der Kronzeugen hat ausgesagt, Gottweis sei eine Brandschutzmauer für Winterkorn gewesen. Der APS-Chef und der Vorstandschef hätten offen über vieles gesprochen. Aber eben nicht so, dass Winterkorn offiziell im Bilde gewesen wäre. Gottweis habe intern wiederholt erklärt, wenn etwas falsch laufe, sei es schwer, Winterkorn etwas nachzuweisen.

War Gottweis Winterkorns Mann für Notfälle aller Art, für schmutzige Geheimnisse gar, die der Konzernchef von Volkswagen kennen, die ihn aber nicht belasten sollten?

"Ich muss mit dem Chef reden", soll Gottweis gesagt haben

Die Anwälte von Gottweis weisen alle Vorwürfe gegen ihren Mandanten zurück. Er habe nichts von dem Defeat Device gewusst und "nichts verschleiert".

Mitte 2012 geriet VW wegen des Defeat Device erstmals in Not. Die Manipulationen an den Diesel-Autos ließen die Abgasfilter verrußen, die Defekte erreichten ein kritisches Ausmaß. Das soll für zwei damalige Ingenieure und heutige Kronzeugen der Anlass gewesen sein, Gottweis und Neußer zu informieren. Einer der Zeugen ging davon aus, dass das auch Winterkorn erfahren würde. Der nächste Notfall ereignete sich im Frühjahr 2014. In den USA erschien eine Studie, in der überhöhte Abgaswerte bei Diesel-Autos von Volkswagen im Normalbetrieb auf der Straße nachgewiesen wurden. VW-Ingenieure befürchteten, nun werde man erwischt und müsse Hunderttausende Autos in den USA zurücknehmen. Auch da habe man, so Kronzeugen, Gottweis eingeschaltet. Der habe gesagt, er müsse mit dem Chef darüber reden.

Im Mai 2014 schrieb der APS-Chef eine Mail, die Winterkorn zu lesen bekam. Darin war von Problemen in den USA die Rede. Und davon, dass die Behörden dort nach einem Defeat Device suchen könnten. In der Mail steht nicht, dass dieses Device auch benutzt wurde. Dass manche Dinge eben nicht schriftlich festgehalten worden seien, habe dem Schutz des Vorstandschefs gedient, erklärte einer der Kronzeugen.

Viele Hinweise, aber kein einziger Beweis

Als die US-Probleme wieder hochkamen, Ende Juli 2015, soll Winterkorn nicht überrascht gewesen sein. Ein Ingenieur soll dem Konzernchef bei einer Besprechung das Abgasproblem erklärt haben. Einer der Kronzeugen sagte aus, er habe das Gefühl gehabt, Winterkorn kenne den Betrug längst. Dafür spreche, dass Winterkorn nicht etwa empört oder wütend gewesen sei, sondern nur geäußert habe: "Und das alles wegen dieser Software."

Alle diese Aussagen sind Hinweise, aber keine Beweise dafür, dass Winterkorn vor dem Spätsommer 2015, als der Skandal publik wurde, von dem Betrug wusste. Winterkorn selbst hat bei seinem Rücktritt wegen der Abgasaffäre erklärt, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Daran hält er bis heute fest.

Die Anwälte von Gottweis erklären, es sei befremdlich, dass die US-Behörden Gottweis beschuldigten, ohne dessen Angebot angenommen zu haben, ihn zu befragen. Die Vorwürfe kämen von Personen, die "selbst tief verstrickt sind". Das Motiv für deren falsche Behauptungen sei ersichtlich. Gemeint ist, die Kronzeugen wollten sich in den USA vor Strafverfolgung schützen und erzählten dafür alles Mögliche.

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