Volkswagen:VWs Cheflobbyist wird ruhiggestellt

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Thomas Steg auf einem Foto aus dem Jahr 2007.

(Foto: AFP)
  • Thomas Steg, Cheflobbyist von VW, übernimmt die Verantwortung für die umstrittenen Tierversuche in den USA.
  • Der frühere Sprecher der Bundesregierung wird von Volkswagen beurlaubt.
  • Er sagt, die Studie, in der Affen Schadstoffen ausgesetzt worden, hätte nie stattfinden dürfen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel, Stefanie Dodt, Max Hägler und Klaus Ott

Es ist der vorläufig letzte öffentliche Auftritt von Thomas Steg als Cheflobbyist von Volkswagen. Der frühere Regierungssprecher, der später zu einer Art Außenminister des Autokonzerns wurde, steht Montagabend in Brüssel hinter Vorstandschef Matthias Müller. Oder vielmehr: hinter ihm neben der Bühne, als der VW-Chef beim Neujahrsempfang des Unternehmens spricht. Steg wirkt angefasst, auf jeden Fall weit weniger umgänglich als beim Neujahrstreffen vor einem Jahr.

Gut möglich, dass es daran liegt, was der Konzern am Dienstagmittag bekannt gibt: Steg wird als Generalbevollmächtigter von Volkswagen beurlaubt. Müller teilt nach einer Vorstandssitzung mit, das Unternehmen sei dabei, die Arbeit jenes Forschungsvereins zu untersuchen, der für den umstrittenen Tierversuch in den USA verantwortlich ist. "Herr Steg hat erklärt, die volle Verantwortung zu übernehmen", fügte Müller hinzu. Ob diese Verantwortung bei Steg endet, oder weiter nach oben geht, muss sich freilich erst noch zeigen.

Steg hatte als SPD-Mann an der Seite von Gerhard Schröder Karriere gemacht

Mit Stegs einstweiliger Demission erreicht die Abgasaffäre bei Volkswagen fast zweieinhalb Jahre nach Auffliegen von manipulierten Schadstoffmessungen erstmals die aktuelle Konzernspitze. Zwar nicht den Vorstand, aber die Ebene direkt darunter beziehungsweise daneben. Steg, der über ein exzellentes Netzwerk in Politik und Wirtschaft verfügt, gehörte als Cheflobbyist zu den wichtigen Mitarbeitern von Müller.

Der Niedersachse Steg hatte als SPD-Mann an der Seite von Gerhard Schröder Karriere gemacht. Von 2002 bis 2009 war Steg erst bei Bundeskanzler Schröder und dann bei dessen Nachfolgerin Angela Merkel stellvertretender Regierungssprecher; 2012 wurde er Cheflobbyist von VW. Anfang 2016, wenige Monate nach Beginn der Abgasaffäre, wurde die von Steg geleitete Einheit Außen- und Regierungsbeziehungen bei VW zum eigenständigen Bereich im Ressort von Vorstandschef Müller aufgewertet. Steg "berichtet direkt an Müller", teilte Volkswagen damals mit.

Aber was der Cheflobbyist dem Vorstandschef so alles berichtet hat, das könnte noch spannend werden in der Abgasaffäre. Nach Aktenlage besteht jedenfalls eine gewisse Nähe von Steg zu der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT). Zu jenem vor allem von VW, Daimler und BMW betriebenen Industrieverein, der Wissenschaftler einspannte, um die Gefahren des Dieselabgases Stickstoffdioxid (NO₂) zu verharmlosen. Und der jetzt, nach seiner Auflösung, wegen des Schadstofftests mit Affen in den USA in den Blickpunkt gerät. Die Affen waren in eine Kammer gesperrt worden und hatten Dieselabgase einatmen müssen. Das sollte deren Ungefährlichkeit beweisen.

Nach Aktenlage hatte Steg von dem Tierversuch gewusst, was er in einem Interview mit der Bild-Zeitung auch bestätigte.

Ursprünglich hatte der Abgastest sogar an Menschen durchgeführt werden sollen

Steg sagte, die Studie hätte nicht stattfinden dürfen. Er ärgere sich "fürchterlich" darüber, dass er da "nicht mehr konsequent eingegriffen" habe. Steg hatte 2013 auf dem Verteiler einer internen Mail bei VW gestanden, in der es der EUGT darum ging, die Auftragsvergabe für den Tierversuch in einer ganz bestimmten Weise zu formulieren. Nämlich so, "dass es sich nicht um eine von uns verantwortete Auftragsforschung handelt". Ursprünglich hatte der Abgastest sogar an Menschen durchgeführt werden sollen. Dies ging VW und Steg dann aber zu weit.

Das geschah alles vor der Abgasaffäre. Danach hatte es Volkswagen ziemlich eilig, sich aus dem vermeintlichen Forschungsverein zurückziehen. Das betrieb Hans-Georg Kusznir, der bei VW in der beim Vorstand angesiedelten Konzernpressestelle wirkte, ehe er in die Abteilung für Außen- und Regierungsbeziehungen aufrückte. Als einer der laut Organigramm für die Jahre 2014 und 2015 engen Mitarbeiter von Thomas Steg. Kusznir gehörte dem Vorstand der EUGT an und vertrat VW beispielsweise bei einer Mitgliederversammlung des Vereins Ende 2014. Ein Jahr später, am 26. November 2015, berichtete Kusznir bei einer weiteren Mitgliederversammlung der EUGT von der Lage bei Volkswagen nach Beginn der Abgasaffäre. Die Manipulationen waren zehn Wochen vorher aufgeflogen.

Kusznir erklärte laut Protokoll, er bedauere die Vorgänge, und teilte mit, bei VW würden alle Ausgaben geprüft. Das könne Folgen für den Verein haben. Das hatte die Affäre dann auch. Ein weiteres Jahr darauf, am 25. November 2016, trafen sich die EUGT-Akteure erneut, wieder war Kusznir für Volkswagen dabei. Die Mitgliederversammlung stimmte einem vom VW eingereichten Antrag auf Auflösung des Vereins zu; und zwar mit Wirkung zum 30. Juni 2017. Der Versuch, Dieselfahrzeuge wissenschaftlich als "Clean Diesel" zu verkaufen, war Geschichte.

Die Geschichte der Forschungsvereinigung muss aber erst noch erforscht werden. VW-Chef Müller berichtet beim Neujahrsempfang in Brüssel, sein Konzern sei dabei, "die Arbeit der ehemaligen EUGT im Detail zu untersuchen". Müller wählt vor EU-Botschaftern, Europaabgeordneten und allerlei Lobbyisten im Residence Palace harte Worte über den Tierversuch in den USA. Diese Methoden seien falsch, unethisch und abstoßend gewesen, sagt Müller in dem beeindruckenden Art-déco-Bau mitten im ansonsten nicht gerade beeindruckenden Europaviertel. Müller will für das neue Volkswagen stehen, das die alten Verfehlungen schonungslos aufkläre. So hat es der nach Beginn der Abgasaffäre ins Amt gekommene Vorstandschef immer wieder und wieder erzählt.

Doch warum hat VW nicht schon längst aufgeklärt, was die Forschungsvereinigung alles machte und welche Rolle sie spielte? Stattdessen wurde der Verein still und leise aufgelöst. Volkswagen erklärt, bislang habe es keinen Anlass für eine Untersuchung gegeben. Nun gibt es ihn, und viele Fragen. Was haben Kusznir und Steg und vielleicht auch Steg und Müller über Verein gesprochen? VW äußert sich dazu derzeit nicht, weil das womöglich Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern verletzen würde respektive noch untersucht werde.

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