Volkswagen:Umzingelt

In den USA sollen die Ermittlungen auf Bankbetrug und Steuerverstöße ausgeweitet werden, in Deutschland wollen sich immer mehr Investoren Sammelklagen anschließen.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Die zeitliche Abfolge mag Zufall sein, aber sie ist frappierend. Erst am Dienstag schickte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh eine unmissverständliche Warnung in Richtung USA: Die Zukunft der Jobs bei dem Autohersteller, so sagte der Arbeitnehmervertreter, hänge maßgeblich davon ab, wie hoch die Strafen für den Konzern in den USA ausfallen würden. Sehr hohe Strafzahlungen, warnte Osterloh, würden "dramatische soziale Folgen haben - nicht nur an unseren US-amerikanischen Standorten, sondern auch in Europa und anderswo".

Es war ein Appell: Bitte macht uns nicht fertig!

Was Osterloh zu diesem Zeitpunkt wohl noch gar nicht wusste: In den USA ziehen für die Wolfsburger schon wieder neue juristische Probleme auf - und sie sind anders gelagert als die bisherigen Ermittlungen, mit denen man zu tun hat. So berichtet das im Fall VW gut unterrichtete Wall Street Journal, das US-Justizministerium habe seine Ermittlungen inzwischen auf den Verdacht des Bankbetrugs und mögliche Verstöße gegen Steuergesetze ausgeweitet. Schon jetzt drohen VW wegen der Betrugs-Software, mit der Abgastests manipuliert worden waren, im Zuge einer Zivilklage der US-Regierung bis zu 45 Milliarden Dollar Strafe. Mit weiteren Vorwürfen wegen Bankenbetrugs könnten zusätzliche Milliardenstrafen anfallen. Hinzu kommen noch Attacken mehrerer US-Bundesstaaten und etlicher Zivilkläger, die in den USA gegen VW vorgehen. Der Hintergrund der ausgeweiteten Ermittlungen: Haben Banken in den USA bei der Finanzierung von Auto-Käufen wegen der Abgas-Manipulationen von VW einen Schaden erlitten? Die betroffenen Fahrzeuge, bei denen sich später dramatisch überhöhte Abgaswerte ergaben, waren von VW ursprünglich als umweltfreundlich angeboten worden und hatten dann im Zuge der Affäre schwer an Wert eingebüßt. Zum anderem geht es auch darum, dass diese Dieselfahrzeuge offenbar Steuervorteile von mehr als 1300 Dollar mit sich brachten. Das führt zu der Frage: Ist das Unternehmen nun für die Steuergutschriften in Haftung zu nehmen, die US-Autokäufer für den angeblich kleineren Abgasausstoß erhalten haben? Das US-Justizministerium soll von VW Informationen angefordert haben, schreibt das Blatt. Bei VW heißt es, man sei über den jüngsten Vorstoß noch nicht offiziell informiert worden und habe davon erst aus der Zeitung erfahren. Man werde jedoch mit den Behörden zusammenarbeiten.

Die jüngsten juristischen Querelen dürften den Konzern aufschrecken: US-Medien berichten, es sei das erste Mal, dass die USA dieses Gesetz, das eigentlich für Vergehen im Finanzsektor entwickelt wurde, nun auch in der Industrie anwenden will. Auf diese Weise würde "die Rechtstheorie gegen einen nicht besonders genehmen Beschuldigten bis an die äußersten Grenzen gedehnt", zitiert das Wall Street Journal den Columbia-Rechtsprofessor John Coffee. Das heißt: Man meint es sehr ernst.

Das Gesetz stammt aus dem Jahre 1989 und kam vor allem während der Finanzkrise um 2008 herum verstärkt zur Anwendung, als es darum ging, Großbanken für ihre Verfehlungen zu belangen.

Die USA werden für VW damit immer mehr zu dem Ort, an dem sich die Zukunft des Konzerns entscheiden dürfte. Hier war am 18. September 2015 die Affäre um manipulierte Abgaswerte bei 500 000 VW-Dieselfahrzeugen durch die Umweltbehörde EPA öffentlich gemacht worden. Volkswagen hatte mit einer nicht genehmigten Software jahrelang bei den Messungen von Stickoxid-Werten auf dem Prüfstand für geschönte Ergebnisse gesorgt. Schließlich gab VW sogar zu, dass weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind. Während in Deutschland etwa der Fahrplan für den Rückruf der betroffenen Autos steht, steckt der Autokonzern in den USA noch immer in Verhandlungen über das weitere Vorgehen. Ende Februar hatten ein US-Richter und die Umweltbehörde EPA eine Frist bis zum 24. März gesetzt. Bis dahin sollen sich die beiden Seiten darüber einig sein, was mit den betroffenen Dieselfahrzeugen in den USA geschieht.

An enthusiast wears a Volkswagen logo on his hat at the Wasteland Weekend event in California City

Kalifornischer VW-Fan im September 2015: Das Image des deutschen Konzerns in den USA hat in den vergangenen Monaten deutlich gelitten.

(Foto: Mario Anzuoni/Reuters)

Unterdessen steigt die Zahl der juristischen Auseinandersetzungen für VW täglich. Erst am Dienstag wurde bekannt, dass auch die Staatsanwaltschaft in Paris Ermittlungen wegen schweren Betrugs eingeleitet hat; in Indien geht es um den Vorwurf der Steuerhinterziehung: VW soll Verkaufs- und Verbrauchssteuern falsch berechnet und damit Millionen am Fiskus vorbeigeschleust haben. Außerdem werfen die indischen Behörden VW vor, Autos zu billig verkauft zu haben.

In Deutschland schließen sich derzeit namhafte Finanzdienstleister Sammelklagen an. Ein Sprecher der Allianz-Vermögensverwaltungs-Tochter Allianz Global Investors (AGI) erklärte am Mittwoch in Frankfurt, man müsse nun prüfen, "ob unsere Anleger geschädigt worden sind und wir dann dementsprechend Schritte einleiten". Die Deka-Bank, das Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe, will sich an der selben Sammelklage beteiligen wie die Allianz-Tochter AGI.

Deutsche Investoren sagen, sie seien verpflichtet, die Interessen ihrer Anleger zu wahren

Neben Deka und Allianz erwägen nach SZ-Informationen noch weitere deutsche Finanzunternehmen, sich Sammelklagen anzuschließen. Für Volkswagen bedeutet das: Dem Autokonzern steht eine juristische Schlacht mit großen Investorengruppen und Finanzhäusern des Landes bevor. Die Unternehmen argumentieren: Sie seien verpflichtet, die Interessen ihrer Anleger zu wahren.

Sie werfen VW vor, zu spät über die Diesel-Manipulationen informiert und damit gegen die sogenannte "Ad-hoc-Pflicht" börsennotierter Unternehmen verstoßen zu haben. Dadurch seien ihnen wegen der Kursentwicklungen an der Börse hohe Verluste entstanden.

VW hatte am 22. September eine erste solche Ad-hoc-Mitteilung verschickt und die Börse damit über die Probleme bei Dieselautos in den USA informiert. Zu dem Zeitpunkt war das Thema nach Meinung der Kläger schon seit vier Tagen auf dem Markt, seit die EPA die Manipulationen publik gemacht hatte. Zuvor waren Abgas-Probleme in den USA monatelang im Konzern diskutiert worden, am 3. September folgte ein Geständnis bei den US-Behörden. Mit denen wollte sich VW anschließend still und leise auf eine Strafzahlung um die 100 Millionen Euro einigen. Volkswagen weist den Vorwurf zurück, man habe die Aktionäre getäuscht. Das sei nicht der Fall, deshalb sei man auch nicht zu Schadenersatz verpflichtet.

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