Volkswagen:Pokernacht

20 Stunden hat VW mit seinen Zulieferern in einem Wolfsburger Hotel verhandelt. Freunde sind sie nicht geworden - doch immerhin: Es wird wieder geliefert.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Jemand, der das miterlebt hat, spricht später von einer "Horrornacht". Eine Nacht, die im Grunde schon am Tag zuvor begann, am Montag gegen 13 Uhr. Eckpunkte wurden formuliert, wieder verworfen, auf dem Tisch Papiere, Verträge - und eine ganze Menge Misstrauen.

Ein vorletzter großer Versuch, die Blockade aufzulösen, erfolgt in der Dämmerung um 5.30 Uhr. Dann, Dienstagmorgen acht Uhr, endlich die Einigung. Car Trim und ES Automobilguss, die Tochterunternehmen der bosnisch-deutschen Zuliefergruppe Prevent, liefern ihre Sitzbezüge und Getriebeteile wieder in die VW-Werke. Kleine Teile, aber eine gigantische Wirkung: Je mehr Tage wegen des Lieferboykotts der Partner verstrichen, desto schlimmer wurde es für die Wolfsburger. Wenn die Golf- oder Passat-Produktion des VW-Konzerns langsam einschläft, fällt irgendwann auch ein ganzer Konzern ins Koma. Der VW-Gesamtbetriebsrat ist am Morgen froh, und gleichzeitig sauer. "Die Kolleginnen und Kollegen hatten kein Verständnis dafür, dass sie wegen des einseitig verhängten Lieferstopps nicht mehr an ihre Arbeitsplätze gehen konnten", sagt er.

Es hat lange gedauert, bis Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe vom Tisch kommen. VW und Prevent, die beiden Gegner, die sich noch kurz davor bedrohten und bekämpften und sich ihre Anwälte auf den Hals hetzten, vereinbaren - "einvernehmlich", wie es heißt - eine "langfristige Zusammenarbeit". Was für eine seltsame Welt. Eine gemeinsame Pressekonferenz, die Unternehmen immer dann organisieren, wenn sie der Öffentlichkeit zeigen wollen, wie gut sie zusammenarbeiten, findet nicht statt. Es wäre zumindest ein spannendes Experiment gewesen.

Wolfsburg seen through hipstamatic

Blick aus dem Zug. Er passiert ein Heizkraftwerk am Stammsitz des VW-Konzerns in Wolfsburg.

(Foto: Paul Langrock/laif)

Der Ministerpräsident spricht von einem "Großkonflikt mit beträchtlichen Schäden"

Denn auch wenn sich die beiden jetzt geeinigt und ihren Machtpoker beendet haben - Freunde sind sie deshalb kaum geworden. Eine gemeinsam besetzte Schiedsstelle soll künftig in einer Art Moderatorenrolle aufpassen, dass sich die Partner nicht wieder in die Haare kriegen wie in diesen Tagen. Das allein zeigt schon, dass man dem Frieden nicht traut.

VW, einer der weltweit größten Autokonzerne, muss nun eine Kündigung von Aufträgen bei den Prevent-Firmen zum Teil wieder zurücknehmen, Prevent bleibt per Vertrag ein wichtiger Partner und liefert wieder seine Sitzbezüge und Gussteile, damit der Autokonzern wiederum seine Golfs und Passats zusammenbauen kann - es ist nicht gerade eine Konstruktion, die langfristig Vertrauen schafft. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der auch Aufsichtsrat bei VW ist, sagt, was ein Politiker wohl sagen kann, aber niemals ein VW-Vorstand: Die Beschäftigten seien "in den letzten Tagen Opfer eines Konfliktes geworden, der ohne Not auf ihrem Rücken ausgetragen worden ist". Und: "Es bleibt bei mir ein Unbehagen über das Vorgehen der Prevent Group, die nicht bereit war, den in unserem Rechtsstaat vorgesehenen Weg einer Klärung vor den Gerichten zu gehen. Sie hat stattdessen einen Großkonflikt mit beträchtlichen Schäden eröffnet. Dieses Beispiel darf keine Schule machen." Der VW-Großaktionär Niedersachsen, das darf man daraus lesen, hat den Lieferboykott der Partner überhaupt nicht goutiert. Wie man auf diese Weise nun in Zukunft zusammenarbeiten soll, sagte der Ministerpräsident nicht.

Der Streit zwischen VW und seinen Zulieferern hat nun auch Folgen für andere Autokonzerne - hier wird man genau nachschauen, ob und wo man bei einzelnen Kleinteilen von einem einzigen Lieferanten abhängig ist, so wie VW mit kleinen Getriebeteilen von der Firma ES Automobilguss abhängig ist. Einen Nachfolger aufzubauen, kann Monate und Jahre dauern, aber wer es nicht tut, läuft Gefahr, in die Falle zu laufen. Dass sich Konzerne bei Komponenten auf einen einzigen Hersteller verlassen, hat einen Grund: Je größere Stückzahlen man bei einem einzigen Lieferanten einkauft, desto billiger wird es am Ende. Warum also 100 Teile bei fünf verschiedenen Lieferanten kaufen, wenn man sie auch für weniger Geld bei einem einzigen kriegen kann?

Nicht so schnell

Dieselfahrer mit Schummelsoftware können ihr Auto nicht an den Händler zurückgeben. Zunächst müssen sie dem Händler Gelegenheit zur Nachbesserung geben, wie am Dienstag das Landgericht Düsseldorf entschied. Dass eine entsprechende Rückrufaktion Zeit benötige, sei hinzunehmen. Damit wies das Landgericht einen Audi-Fahrer ab.

Von seinem Händler hatte er verlangt, den 2012 gekauften A4 Avant zurückzunehmen und den Kaufpreis zu erstatten. Zuvor hätte er dem Händler "eine Frist zur Nacherfüllung setzen müssen", betonte das Landgericht. Nur wenn der Händler dies "endgültig verweigert hätte", sei ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich. Das Landgericht ließ offen, ob der A4 der Volkswagentochter Audi überhaupt über eine Manipulationssoftware verfügt. Wenn ja, habe hier jedenfalls der Händler eine technische Nachbesserung angeboten. AFP

Zu den Ersten, die ihre Produktion am Dienstag wieder hochfuhren, gehörten die Leute im VW-Werk Kassel-Baunatal, wo Getriebe gebaut werden. Noch bis zum Donnerstag will man wieder normal arbeiten, hieß es dort. Bei anderen Werken könnte es noch etwas länger dauern.

Ob VW und seine Zulieferer jemals wieder normal zusammenarbeiten werden, ob man sich hier jemals wieder vertrauen kann, wird sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen.

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