Volkswagen:Nun geht es gegen Wiko

Nur zwei Tage vor der Hauptversammlung meldet die Staatsanwaltschaft Braunschweig, dass sie gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn ermittelt - und gegen einen weiteren Spitzenmanager.

Von Thomas Fromm, Markus Zydra, München/Frankfurt

Vor ein paar Tagen erlebte Matthias Müller noch einmal eines dieser in der VW-Welt selten gewordenen Highlights. Da saß der Konzernchef in Wolfsburg und stellte eine neue Konzernstrategie für die nächsten Jahre vor: "2025". Bis dahin soll VW ein führender Mobilitätsdienstleister sein, modern und mit sauberen Elektroautos unterwegs.

Manager mögen es, über ihre Visionen zu sprechen. Es bedeutet: Es geht voran.

Doch stattdessen geht es nun zurück in die Vergangenheit. An diesem Montag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den zurückgetretenen VW-Konzernchef Martin Winterkorn (Spitzname: Wiko) und ein zweites ehemaliges Vorstandsmitglied ermittelt - zwei Tage vor der entscheidenden Hauptversammlung des Konzerns in Hannover. Es geht um die Frage: Wer wusste wann was in diesem Riesenreich? Grund sei ein Anfangsverdacht auf Marktmanipulation bei Wertpapieren von Volkswagen. Ist es möglich, dass er seine Anleger bewusst zu spät über die Diesel-Probleme und damit über die möglichen finanziellen Risiken informiert hat? Was die Sache noch pikanter macht: Die Ermittler hatten damit auf eine Strafanzeige der Finanzaufsicht Bafin reagiert; nur wenige Stunden vor der Hauptversammlung ist dies für die vielen enttäuschten Kleinaktionäre: ein perfektes Timing. Ermittelt werden soll angeblich auch gegen VW-Marken-Chef Herbert Diess. Er war im Juli von BMW zu VW gewechselt, um sich um das Geschäft mit Autos wie dem Passat und Golf zu kümmern. Diess soll angeblich im August an einer Krisensitzung teilgenommen haben, bei der es um den Abgasbetrug ging. Mit Diess würden die Ermittlungen einen der zentralen Manager des Konzerns treffen. VW weist ein Fehlverhalten seiner Vorstände zurück. Winterkorn, Ermittlungen - so wird sich an diesem Mittwoch in den Messehallen von Hannover wohl etwas entladen, was sich seit Mitte September, seit der Dieselskandal von den USA in die Welt hinein schwappte, zusammengebraut und aufgeladen hat.

Die Aktionäre sind sauer, sie fühlen sich als Kunden und als Anleger betrogen, und sie werfen VW vor, seine internen Ermittlungen nicht schnell genug voran zu treiben und die Aktionäre viel zu spät über den Diesel-Skandal informiert zu haben.

Blick zurück: Am 18. September wurde in den USA bekannt, dass bei Diesel-Abgastests manipuliert wurde. Am 22. September wurde die Börse über die Abgasmanipulationen informiert. In Europa und in den USA laufen Hunderte von Verfahren gegen den Wolfsburger Konzern; es werden Vorwürfe gegen 17 Personen geprüft, die mit den Manipulationen zu tun gehabt haben könnten. Bislang war die offizielle Sprachregelung in Wolfsburg so: Ein kleiner Kreis von Ingenieuren habe offenbar manipuliert. 16,2 Milliarden Euro hat der Konzern zurückgelegt, um sich gegen die drohenden Strafen zu wappnen. Dies könnte bei weitem nicht reichen. Allein eine Einigung in den USA könnte die Wolfsburger gut zehn Milliarden Dollar kosten.

Das wäre aber nicht das Ende. Es wäre der Anfang. Da bis jetzt noch kein Bericht der von Aufsichtsrat und Vorstand eingesetzten internen Ermittler der US-Kanzlei Jones Day vorliegt, werden die Anteilseigner ungeduldig. Aktionärsvereinigungen wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) wollen einen Sonderprüfer; am Mittwoch, bei der Hauptversammlung, soll darüber abgestimmt werden. Dieser Mittwoch könnte ein Tag sein, an dem Müller seinen Aktionären etwas über Elektroautos und Mitfahr-Apps erzählen könnte. Nur werden die wenig davon hören wollen. Man stelle sich auf eine "sehr spezielle, strittige Hauptversammlung" ein, prophezeit DSW-Präsident Ulrich Hocker.

Eine Stiftung für geschädigte Anleger will die Hauptversammlung nun nutzen, um VW zu einem außergerichtlichen Vergleich zu bewegen. Name der nach niederländischem Recht gegründeten Stiftung: "Stichting Volkswagen Investors Claim". "Wenn Volkswagen nicht auf den Stiftungsvorschlag eingeht, ist eine Lawine von Klagen unvermeidlich", sagte Henning Wegener, Vorsitzender der Stiftung und Diplomat im Ruhestand. Die Stiftung bündelt Anleger aus 26 Ländern, die knapp 13 Milliarden Euro bei VW investiert haben. Die Stiftung wurde nach niederländischem Recht gegründet, weil in Deutschland keine Sammelklagen vorgesehen sind.

Martin Winterkorn

Was wusste Ex-VW-Konzernchef Winterkorn? Und vor allem: wann?

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Wegener, dunkler Anzug, blaue Krawatte, Typ älterer, seriöser Herr, hat keine VW-Aktien und bekommt für den Stiftungsjob auch kein Geld. So ein Ex-Diplomat, der könnte einem Vergleich in den Niederlanden dienlich sein - ein Vergleich, der dann in der ganzen EU-Rechtskraft hätte. "Der Konzern hat zwei Möglichkeiten", sagt er ganz diplomatisch. "Entweder Prozesslawine rund um den Globus. Oder außergerichtlicher Weg über Stiftung." Da klingt es beinahe versöhnlich, wenn er versichert, dass es den Stiftungsmitgliedern "nicht darum" gehe, "das maximal Erreichbare zu bekommen". Man wolle "dem Bestand von VW, unserem Investment, nicht schaden".

Schon gleich, nachdem die Dieselaffäre hochkam, habe man dem Konzern Vorschläge zur Lösung über einen Vergleich gemacht. Die Reaktion: Da man ja keine Kapitalmarktregeln verletzt habe, gebe es auch keinen Verhandlungsbedarf. Ein Spiel auf Zeit, monieren Investoren, und Eric Breiteneder, juristischer Vertreter der Stiftung in Europa, warnt: "Die Verzögerungsstrategie von VW funktioniert nicht, denn sie stehen gegen Investoren, die sich ein langjähriges Verfahren leisten können."

Und was werden die Aktionäre am Ende ausrichten können? Nicht viel. Sie können klagen und den Menschen auf der Bühne die Meinung sagen. VW gehört mehrheitlich der Dachgesellschaft Porsche SE, die wiederum den Familien Porsche und Piëch gehört. Außerdem liegen große Aktienpakete beim Land Niedersachsen und dem Großaktionär Katar; nur elf Prozent der Aktien bei kleineren Aktionären.

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