Volkswagen:Matthias Müller soll neuer VW-Chef werden

  • Porsche-Vorstand Matthias Müller soll Nachfolger von Martin Winterkorn an der VW-Spitze werden.
  • Der Manager ist seit vielen Jahren im Konzern - und kennt ihn ausgesprochen gut.
  • In der Affäre um manipulierte Abgastests bei Diesel-Autos müssen neben Winterkorn weitere Spitzenmanager gehen.

Analyse von Thomas Fromm

Es ist ein seltsamer Tag für VW. Ein Tag, nachdem der alte Chef gegangen und der neue noch nicht ernannt ist. Ein Tag im Schwebezustand, ein Tag, an dem alte Vorstände geschasst werden und ein neuer Chef gesucht wird. Den ganzen Donnerstag über debattieren einflussreiche Aufsichtsräte über den Nachfolger von Martin Winterkorn. Und eigentlich gibt es seit Tagen nur den einen, ernsthaften Vorschlag: Matthias Müller, 62 Jahre alt und derzeit Porsche-Chef. "Er ist ein sehr überzeugender Mensch und Manager", heißt es aus dem Aufsichtsrat. Am Nachmittag fällt die Entscheidung im Aufsichtsratspräsidium: An diesem Freitag soll der Aufsichtsrat in Wolfsburg die Personalie offiziell machen.

Müller ist ein Konzern-Mann: Der Porsche-Chef ist seit Jahrzehnten an Bord, fing als Produktmanager bei Audi in Ingolstadt an. Er war lange bei VW, hat lange mit Ex-VW-Chef Winterkorn zusammengearbeitet und gilt als Vertrauter von Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch. Mehr geht nicht bei VW. Vor einigen Wochen machte er sich im SZ-Interview für mehr politisches Engagement von Managern in der Flüchtlingsfrage stark. Das konnte man durchaus auch als eine Art Bewerbung für einen der wichtigsten Chefposten in der deutschen Industrie verstehen. Die Frage ist nur: Kann man sich 100-prozentig sicher sein, dass einer, der schon so lange in der VW-Galaxie unterwegs ist, unbelastet ist? Nichts von den Manipulationen wusste, die am vergangenen Wochenende ans Tageslicht kamen?

Die Aufsichtsräte diskutieren einen Plan: Möglich wäre, dass der nächste VW-Chef vor seiner Ernennung eine schriftliche Erklärung unterzeichnen muss, eine Art eidesstattliche Erklärung. So hätte sich der Aufsichtsrat abgesichert - sollte doch irgendwann etwas Unangenehmes über den Winterkorn-Nachfolger durchsickern. Während Aufsichtsräte über die Konzernzukunft entscheiden, bricht am Donnerstag die Welt um VW herum zusammen.

Manager, die gestern noch als Superstars galten und die der Konzern bei jeder Gelegenheit hochleben ließ, stehen vor dem Abgang. Überall auf der Welt reden sie von Milliardenklagen, Anwaltskanzleien bringen sich in Stellung, und gleichzeitig weiß man gar nicht, wo dieser Skandal über manipulierte Abgaswerte überhaupt aufhört. Von den USA, wo es am Wochenende mit einer halben Million Autos anfing, bis ins alte Europa, bis nach Deutschland. Sogar bis zum Wettbewerber BMW, dem vorgeworfen wird, mit einem Dieselfahrzeug die europäische Abgasnorm um ein Vielfaches überholt zu haben, was die Münchner allerdings sofort dementierten. Und weil im VW-Konzern viele Marken die gleichen Teile benutzen, sollen auch Škoda und Seat mit der fraglichen Manipulations-Software ausgerüstet worden sein.

Das Schlimme aber ist: Keiner weiß, was noch alles passieren wird. Für VW, den riesigen Konzern mit 600 000 Mitarbeitern in der ganzen Welt, für die gesamte Autoindustrie sind es: Tage des Umbruchs.

Der Fall zieht immer weitere Kreise - bis in die Fiat-Stadt Turin, wo die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Volkswagen einleitete, um zu überprüfen, ob auch in Italien Abgaswerte manipuliert wurden. Bis nach Paris, wo die französische Regierung nun Stichproben bei Dieselautos durchführen will. Denn was jeder befürchtete, wurde schließlich zur Gewissheit: Nicht nur in den USA, auch in Europa sind, so Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), Dieselautos von Volkswagen mit manipulierten Abgaswerten auf der Straße. So das Ergebnis einer Untersuchungskommission, die das Ministerium nach Wolfsburg geschickt hatte, um den Fall zu prüfen. Wie viele und welche Autos betroffen sind? "Das wird sich in den nächsten Tagen klären", sagte Dobrindt.

Vieles wird gerade geklärt. Führende Manager, die sich mit der Entwicklung von Motoren beschäftigen, sollen das Unternehmen verlassen. Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg, Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und der VW-Techniker Heinz-Jakob Neußer. Vor ein paar Tagen standen sie bei der Frankfurter Automesse IAA noch auf der Bühne und sprachen über die richtigen Motoren. Hackenberg sagte vor einigen Tagen in einem Interview mit dem Stern: "Der Kunde kauft nichts, um Grenzwerte zu unterschreiten.

Der Kunde kauft, was attraktiv ist." In den USA soll der dortige Landeschef Michael Horn seinen Hut nehmen - er hatte erst vor wenigen Tagen eine Autopräsentation in New York geleitet und dabei vor allem über die Fehler des Konzerns gesprochen. Jetzt soll Škoda-Markenchef Winfried Vahland einen neuen Vorstandsposten bekommen: Vorstand für das USA-Geschäft. So verheerend sind die Folgen des Skandals, dass der Konzern die USA nun zur Chefsache erklärt.

Kann einer aus dem inneren Kreis wirklich unbelastet sein?

Am Donnerstag schickte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh eine Botschaft an die Mitarbeiter. Ein guter Tag für eine Botschaft, denn der eine Chef ist weg, der andere noch nicht da. Und so schreibt der Betriebsratschef, dass eine "überschaubare Menge an Menschen" Volkswagen "durch Manipulationen bei Abgaswerten von Dieselmodellen in eine große Krise gestürzt" habe.

Und er forderte eine neue Konzernkultur.

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