Volkswagen in der Abgas-Affäre:Wie die VW-Spitze den Abgas-Skandal geheim halten wollte

Porsche SE - Bilanz PK

Triumvirat von damals: Hans Dieter Pötsch, Martin Winterkorn und Matthias Müller bei einer Pressekonferenz 2011.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Briefe, interne Treffen und Verhandlungen mit US-Behörden legen nahe, dass der VW-Vorstand bis zuletzt wenig Einsatz gezeigt hat, die Abgas-Affäre aufzuklären.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott

Matthias Müller wusste schon sehr früh, wer Volkswagen die Abgas-Affäre eingebrockt hatte. Es war der 1. Oktober 2015, und Müller war erst ein paar Tage als neuer Vorstandschef und oberster Krisenmanager bei VW im Amt, als er einen Brief an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schrieb. Das "Fehlverhalten einiger weniger Personen" habe "unserem ganzen Unternehmen schweren Schaden zugefügt". Bei dieser Sprachregelung beließ man es dann auch in den folgenden Monaten: Die Diesel-Affäre, bei der VW jahrelang in den USA und, wie sich anschließend herausstellte, auch in Europa bei elf Millionen Dieselfahrzeugen die Abgasmessungen manipuliert hatte, sei das Werk eines verschworenen Zirkels von Ingenieuren gewesen.

Dieser kleine Kreis habe jene geheime Software entwickelt, das sogenannte Defeat Device, mit der man die Abgasreinigung auf dem Prüfstand der Behörden ein- und im Straßenverkehr wieder ausschalteten. Diese Handvoll Spezialisten habe Behörden, Kunden und sogar die eigene Konzernführung hinters Licht geführt.

Die offizielle Version der Affäre, mit der VW bei der Politik und in der Öffentlichkeit hausieren geht, enthält allerdings einen groben Mangel. Eine große Lücke, die Müller auch in seinem Brief an Dobrindt offenließ, obwohl der neue VW-Chef dem zuständigen Minister "rückhaltlose Aufklärung" sowie "unsere volle Kooperationsbereitschaft und Transparenz" versprochen hatte. Volkswagen werde alles tun, um das "beschädigte Vertrauen wiederherzustellen". Mitunterzeichner des Schreibens war der im Konzern für die Marke VW zuständige Vorstand Herbert Diess; Kopien gingen an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Umweltministerin Barbara Hendricks.

Jetzt stellt sich heraus: Der Konzern-Vorstand war über die Gesetzesverstöße in den USA bereits im Bilde gewesen, als die dortige Umweltbehörde EPA am 18. September 2015 die Manipulationen bei fast 500 000 Diesel-Fahrzeugen enthüllte. Und nicht nur das. VW wollte die Gesetzesverstöße in den USA bewusst verborgen halten, um mit den dortigen Behörden leise, still und heimlich eine kostengünstige Lösung aushandeln zu können. Der damalige Finanzvorstand und heutige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hoffte, mit 100 Millionen Euro Strafe davonkommen zu können.

Es bestehe "überwiegendes Geheimhaltungsinteresse"

Das geht aus einem 111-seitigen Schriftsatz hervor, den VW vergangene Woche beim Landgericht Braunschweig eingereicht hat und mit dem sich der Konzern gegen Schadenersatzforderungen von Aktionären wehrt. In dem Papier ist wörtlich sogar von einem "überwiegenden Geheimhaltungsinteresse" die Rede, das VW vor dem Gang der EPA an die Öffentlichkeit gehabt habe. Der "Volkswagen-Vorstand" habe annehmen dürfen, mit den US-Behörden sei eine "konsensuale Lösung möglich". Von alledem steht nichts in Müllers Brief an Dobrindt, obwohl der heutige Konzernchef ja damals schon mit im VW-Vorstand saß.

Müller war bis September vergangenen Jahres Chef von Porsche gewesen und musste schließlich einspringen, als Volkswagen-Boss Martin Winterkorn wegen der Abgas-Affäre fünf Tage nach der EPA-Enthüllung sein Amt verlor. Da hatte sich die Affäre dramatisch ausgeweitet, da war plötzlich von mehr als elf Millionen Fahrzeugen mit manipulierten Abgasmessungen rund um den Globus die Rede. Winterkorns Rücktrittserklärung und andere Äußerungen erweckten den Eindruck, die Konzernspitze sei von der US-Affäre eiskalt erwischt worden; der Vorstand habe bis zuletzt nichts von den Gesetzesverstößen in Übersee gewusst. Doch jetzt weiß man es besser.

Manager haben das Problem massiv unterschätzt

Erst jetzt, nachdem der Tübinger Anleger-Anwalt Andreas Tilp und andere Kanzleien mit Schadenersatzklagen VW gezwungen haben, den Verlauf der US-Affäre offenzulegen. Tilp wirft dem Wolfsburger Autokonzern vor, "weiterhin nicht den Ernst der Lage zu erkennen". VW verstehe nicht, dass "es in den USA umso teurer wird, je länger man mauert". Über den Schriftsatz von VW schüttelt Tilp, der ein Musterverfahren anstrebt, nur den Kopf. Er hält vieles für Ausflüchte, aber an einer Stelle hat der Anwalt sich gefreut. Dass Volkswagen inzwischen selbst einen Musterprozess beim Oberlandesgericht Braunschweig beantrage, spiele den Aktionären in die Karten. Das erhöhe die Erfolgsaussichten für die Kläger.

Volkswagen drohen bis zu 18 Milliarden Euro Strafe

VW sieht das naturgemäß ganz anders, aber bevor es zum Prozess kommt, dürfte es ohnehin erst einmal um die Zukunft von Müller und Pötsch im Konzern gehen. Das Bild, das durch den bei Gericht eingereichten Schriftsatz entsteht, ist das eines Konzerns, der die Dieselaffäre in den USA unterschätzt hat. Dem es trotz aller Managergremien, Expertenrunden und interner Notizen nicht gelungen war, das Vermeidbare rechtzeitig zu verhindern und der die Probleme am Ende bewusst geheim hielt.

"Volkswagen hat durch das interne Informationsmanagement gesichert, dass die zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangten", heißt es in dem Schriftsatz über die Vorgänge im September 2015. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass die US-Behörden "die Verhandlungen unvermittelt abbrechen und eine hohe Strafzahlung in den Raum stellen würden". 18 Milliarden Euro könne die Strafe im für VW schlimmsten Fall betragen, lautete die Botschaft aus Übersee. Der deutsche Konzern stellt sich gewissermaßen als Opfer dar, überrumpelt von den US-Behörden. Eine verwegene Sicht der Dinge, nachdem es viele Abgastests, viele Treffen und viele Monate gedauert hatte, bis der Konzern die Manipulationen in Übersee endlich zugab.

"Wir arbeiten mit aller Konsequenz daran, die Dinge in Ordnung zu bringen"

Wäre die EPA anschließend nicht an die Öffentlichkeit gegangen, dann hätte VW wohl auch keinen Druck gehabt, intern nachzuforschen, wo sonst noch manipuliert worden war. Dann wäre das ganze Ausmaß der Affäre mit den mehr als elf Millionen Fahrzeugen wohl bis heute nicht bekannt. Dann hätte sich wohl nie herausgestellt, dass Winterkorn in seiner Wochenendpost, intern "Wikopost" genannt, schon im Mai 2014 auf die Abgas-Probleme in den USA hingewiesen worden war.

Im Dezember 2015 schrieb sein Nachfolger Müller wieder an die Bundesregierung, dieses Mal an Wirtschaftsminister Gabriel. Der Abgas-Skandal habe das Vertrauen von Kunden, Politik und Öffentlichkeit in VW erschüttert. "Wir arbeiten mit aller Konsequenz daran, die Dinge in Ordnung zu bringen". Man wolle "als anderes, als besseres Volkswagen" aus der Krise herausgehen.

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