Volkswagen:Ein Verdacht gegen alle

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Können sie die Aktionäre an diesem Mittwoch in Hannover überzeugen? Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch (links) im Gespräch mit dem VW-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller.

(Foto: Thomas Kienzle/AFP)

Die Finanzaufsicht zeigte den gesamten VW-Vorstand an. Doch ermittelt wird nur gegen zwei Manager.

Von Thomas Fromm und Klaus Ott, Hannover

Wenn es hart auf hart kommt, dann kommt alles zusammen: Nicht nur, dass an diesem Mittwoch viele Aktionäre zur VW-Hauptversammlung in die Messehallen von Hannover kommen werden, um mit der alten und neuen Unternehmensführung abzurechnen. Auch die Behörden haben - pünktlich - noch kurz vor dem Treffen das Topmanagement schwer angeschossen und Ermittlungsverfahren gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und den amtierenden VW-Markenvorstand Herbert Diess wegen des Verdachts der Marktmanipulation eingeleitet. Diess, das war bisher nur ein Gerücht. Am Dienstagabend dann bestätigte VW: Ja, auch der Mann, der im vergangenen Sommer von BMW geholt wurde, um die Marke VW zu sanieren, ist ins Visier der Behörden geraten. Beide Manager müssen nun befürchten, am Mittwoch nicht für das vergangene Geschäftsjahr entlastet zu werden. Eine Entscheidung darüber sollte noch im Laufe einer Präsidiumssitzung des Kontrollgremiums am Dienstagabend fallen. Ein schwieriger Balanceakt: Winterkorn, der Ex-Chef, ist seit September nicht mehr im Amt. Aber was geschieht in einem solchen Fall mit Diess, dem Hoffnungsträger in Wolfsburg?

Winterkorn und Diess müssen damit rechnen, nicht entlastet zu werden

Und dann, kurz vor Schluss, noch der große Rundumschlag: Die Finanzaufsicht Bafin, die die Ermittlungen gegen Winterkorn und Diess in Gang brachte, hat bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig auch andere Manager angezeigt, genauer: den gesamten damaligen VW-Vorstand inklusive des damaligen Finanzchefs Hans Dieter Pötsch. Als Aufsichtsratschef muss Pötsch nun die Sitzung leiten. Er hat als Manager bei Volkswagen schon viele schwere Zeiten erlebt. Da war der Machtkampf zwischen dem Patriarchen Ferdinand Piëch und dem langjährigen Vorstandschef Martin Winterkorn, den Piëch verlor. Da war die Übernahmeschlacht mit Porsche, die VW gewann. Doch die schwersten Stunden in diesem Autokonzern, die stehen Pötsch erst noch bevor. Pötsch, der stets kontrollierte Zahlenmann des Unternehmens, der seit Jahren treue Konzernsoldat in Diensten der VW-Familien Porsche und Piëch, muss mit ansehen, wie der Konzern gerade von allen Seiten attackiert wird. Und vor allem auch: er selbst.

Denn am Mittwoch wird ein Aufsichtsratschef Pötsch eine Hauptversammlung leiten, der gerade als ehemaliger Finanzvorstand Pötsch angezeigt wurde - das allein ist schon eine sehr spezielle Situation.

Die eine wichtige Frage aufwirft: Warum gibt es derzeit nur Verfahren gegen Winterkorn und Diess? Pötsch war noch Finanzvorstand, als VW bei der Manipulation von Schadstoff-Messungen in den USA ertappt wurde und die eigenen Aktionäre - so sehen es viele Kritiker - zu spät informierte. Zu spät - das glaubt auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig.

Dem alten Vorstand inklusive Pötsch wollen die Familienaktionäre aber offenbar die Entlastung erteilen. Das weiß auch der zweitgrößte Anteilseigner, das Land Niedersachsen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wiederum könnte es politisch kaum rechtfertigen, würde man auch Winterkorn und Diess gewissermaßen Absolution erteilen, obwohl gegen beide nun ermittelt wird.

Der aus Österreich stammende Pötsch ist einer der engsten Vertrauten der Familien Porsche und Piëch, der Großaktionäre von VW. Als Finanzvorstand war er bis zu seinem Wechsel in den Aufsichtsrat im Oktober zuständig für Ad-hoc-Meldungen an die Börse. Also immer dann ran musste, wenn es Wichtiges zu berichten gab, das den Aktienkurs beeinflussen konnte. Nun hatte sich seit Langem nichts so sehr auf den Kurs der VW-Aktie ausgewirkt wie die Abgas-Affäre. Seit dem Auftakt am 18. September 2015 ist der Kurs von über 160 auf unter 125 Euro abgestürzt.

VW hielt im September 2015 erst einmal alles geheim, und Pötsch machte mit

Bei dem, was bisher an Ermittlungsergebnissen bekannt geworden ist, fällt zweierlei auf. Erstens: Winterkorn und Diess sollen früher als andere Vorstände Hinweise auf Probleme bei Diesel-Fahrzeugen in den USA bekommen haben, offenbar schon Ende Juli 2015. Und wenige Wochen später, am 24. August, sollen die beiden sogar von den manipulierten Abgas-Tests erfahren haben. In Konzernkreisen ist von einer Sitzung des VW-Markenvorstands die Rede, einem Gremium unterhalb der Konzernspitze. Dem Markenvorstand aber hat Pötsch nicht angehört.

Spätestens Anfang September 2015 soll die Konzernspitze von den Betrügereien in den USA gewusst haben. Anschließend entschieden sich die Manager für eine zumindest "vorübergehende Geheimhaltung" der Manipulationen, um in Ruhe einen Deal mit den US-Behörden aushandeln zu können. Sie gingen davon aus, "dass größerer Schaden von der VW-Gruppe abgewendet" werden könne. So hat VW die seinerzeitige Lage selbst bereits vor Monaten beschrieben; in einem Schriftsatz an das Landgericht Braunschweig, mit dem sich der Konzern gegen Schadenersatzklagen von Aktionären wehrt. Zahlreiche Anleger fordern nun insgesamt weit über drei Milliarden Euro von VW, als Ausgleich für ihre hohen Kursverluste.

Nun kommt Pötsch ins Spiel: In dem Schriftsatz geht es auch um seine Rolle: Der für Ad-hoc-Meldungen verantwortliche Vorstand und VW-Juristen seien davon ausgegangen, dass sich eine mögliche Geldbuße in den USA in einer Größenordnung von 100 Millionen Dollar bewegen würde. Das wäre "für Volkswagen finanziell ohne weiteres verkraftbar gewesen". Das Thema habe keinerlei Relevanz für den Aktienkurs gehabt, man habe die Anleger und die Börse nicht informieren müssen. VW hielt im September 2015 also erst einmal bewusst alles geheim - und Pötsch war offenbar dabei. Dumm nur, dass die Rechnung nicht aufging, weil die US-Umweltbehörde EPA die Manipulationen öffentlich machte. Erst danach ließ VW die Zahl von elf Millionen manipulierter Diesel-Fahrzeuge heraus - weltweit. So wurde aus Dieselgate die größte Krise in der Geschichte des VW-Konzerns. Pötsch wird am Mittwoch das tun, was er immer macht: Er wird versuchen, die Contenance zu bewahren.

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