Volkswagen:Der Untergang fällt aus

Auslieferungstürme Volkswagen

Autotürme der Volkswagen-Autostadt in Wolfsburg. Der Konzern macht gute Geschäfte. Das weckt Begehrlichkeiten bei geschädigten Kunden.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

Es hätte viel schlimmer kommen können: VW steht trotz Dieselkrise ganz gut da. Verbraucherschützer finden, dass der Konzern seine Kunden in Europa nun entschädigen sollte.

Von Daniel Brössler und Thomas Fromm, München/Brüssel

Es ist ein Quartalsbericht, den man so oder so sehen kann, je nachdem, welche Zahlen in der VW-Bilanz man sich anschaut. Schaut man zum Beispiel auf die Brot- und Buttermarke Volkswagen, dann sieht man in die tiefen Abgründe des Dieselskandals. Und einen Gewinn, der um 55 Prozent auf nur noch 363 Millionen Euro eingebrochen ist. VW spricht von "höheren Vermarktungskosten infolge der Abgasthematik". Man könnte aber auch sagen: Hier, bei der Hausmarke VW, kommt alles zusammen. Aufräumarbeiten, Umrüstungskosten, Rabatte - der ganze Dieselgate-Horror.

Blickt man dagegen auf den ganzen Konzern mit profitablen Töchtern wie Audi und Porsche, dann ergibt sich ein anderes Bild: Da verdiente der Autobauer wieder mehr Geld als vorher. Das bedeutet: Dieselgate mit seinen Milliardenkosten und Rückstellungen hinterlässt in der Bilanz zwar seine Spuren - aber der Konzern ist, anders als einige dachten, lange nicht am Ende. Im Gegenteil: 200 Milliarden Euro will der Konzern in diesem Jahr umsetzen. Ein Niedergang sieht anders aus.

Dass die Konzernzahlen nur einen Tag nach einem 15-Milliarden-Dollar-Vergleich in den USA auf den Markt kamen, ist daher irgendwie ein ganz schöner Zufall. Denn die US-Kunden bekommen für ihre alten Dieselautos mit manipulierter Motorensoftware bis zu 10 000 Dollar auf die Hand, während die Käufer in der alten Welt bis auf ein kleines Software-Update leer ausgehen. Weil, so die Rechnung der Wolfsburger: Übertrüge man das Modell USA auf die ganze Welt, wäre der Konzern ziemlich schnell pleite.

Mitnichten, findet Klaus Müller, Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Er sagt: "Es gibt in den USA nun die Gewissheit, dass VW hier tief in die Tasche greifen und seinen Kunden ein faires Angebot machen muss. Daraus folgt für mich, dass man die Kunden in Europa nicht mit Nullsummen abspeisen darf." Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung machte Müller klar: Es müssten nicht gleich Tausende von Euro pro Auto sein, das Unternehmen habe "Spielräume". So könne man betroffenen Kunden auch in zeitlichen Abständen zum Beispiel "drei mal 300 Euro zahlen" und ihnen zusätzlich freie Werkstattbesuche oder Gratis-Zubehör anbieten. "Es geht doch auch darum, etwas für die Kundenbindung zu tun", sagt der Verbraucherschützer. Genau das aber lehnt VW ab.

Doch der Druck auf VW steigt nach dem Milliardenkompromiss in den USA. Am Donnerstag reiste VW-Vorstand Francisco Javier Garcia Sanz nach Brüssel. Seine Gesprächspartnerin: EU-Justizkommissarin Věra Jourová, eine Frau, deren Standpunkt klar ist. Sie sieht nicht ein, warum knapp 500 000 Kunden in den USA bessergestellt werden sollen als die 8,5 Millionen Dieselkäufer in Europa und forderte jüngst von Wolfsburg eine "faire Behandlung" der Kunden. Die Kommissarin sprach im Vorfeld des Treffens in Brüssel von "europaweiten Schadenersatzregeln"; zu unterschiedlich sei die Behandlung von VW-Kunden in den einzelnen Ländern. Man brauche "kollektive Rechtswege in der EU", mahnte die Kommissarin an.

"Dem Konzern geht es überhaupt nicht schlecht"

Brüssel Seite an Seite mit den europäischen VW-Kunden - das hoffen auch Anwälte wie Christopher Rother von der Kanzlei Hausfeld, die Dieselkunden vertritt. "Der Vergleich in den USA hat politische Rückwirkungen auf Europa", sagt er. "Da Volkswagen vom Bundesverkehrsministerium und dem Kraftfahrtbundesamt Rückendeckung bekommt, ist nun die Europäische Kommission am Zuge."

Rothers Kanzlei hat bereits 100 000 VW-Halter auf ihrer Internetseite registriert; im nächsten Jahr will man vor das Landgericht Braunschweig ziehen. Erst recht, nachdem der US-Richter Charley Breyer am Dienstagabend den Milliardenkompromiss durchgewunken hatte. Und erst recht, nachdem VW mit seiner Quartalsbilanz bewiesen hat, dass man wirtschaftlich trotz Dieselgate ganz gut dasteht. "Die aktuellen Bilanzzahlen von VW zeigen doch: Dem Konzern geht es überhaupt nicht schlecht", sagt Rother. "Vor allem, weil er seine finanziellen Risiken aus dem Dieselskandal zurzeit auf die USA begrenzt."

Für den Anwalt ist klar: Die Autos, bei denen die Motoren mithilfe einer Software erkennen konnten, ob sie auf dem Prüfstand getestet wurden oder auf der Straße fuhren, "hätten gar nicht erst verkauft werden dürfen", da "VW gegenüber den Kunden in der Übereinstimmungsbescheinigung in Bezug auf die Fahrzeuge falsche Angaben gemacht" habe. Da in den Autos eine illegale Abschalteinrichtung verbaut gewesen und dies bei VW bekannt gewesen sei, sei klar, dass sich VW "schadenersatzpflichtig gemacht" habe.

Doch VW hat andere Pläne. Der Konzern will seine Milliarden in neue Technologien wie Elektroautos investieren, statt in die Vergangenheit. Man habe im Unternehmen derzeit einen großen Druck, Investitionen zu finanzieren und zur gleichen Zeit auf die Kosten achten, sagte Finanzchef Frank Witter am Donnerstag. Die Sache ist klar: Mit den 15 Milliarden Dollar in den USA würde man gerne einen Schlussstrich unter die Sache ziehen.

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