Volkswagen:Abrechnung

Volkswagen Holds General Shareholders Meeting

Als VW-Vorstandschef Matthias Müller um Entschuldigung bittet, "dass auch Ihr Vertrauen in Volkswagen enttäuscht worden ist", schnauben einige Aktionäre verächtlich.

(Foto: Alexander Koerner/Getty Images)

Angenehm ist es nicht, als die Führungsriege von VW zum ersten Mal seit der Dieselaffäre auf die Aktionäre trifft.

Von Thomas Fromm und Angelika Slavik, Hannover

Vielleicht ist diese Frau, die da in der ersten Reihe ganz rechts sitzt, ja die Zukunft von VW. Die frühere Kommunikationsministerin Hessa al-Jaber soll bei dieser Hauptversammlung für den Großaktionär Katar in den VW-Aufsichtsrat gewählt werden, und auf die Frage, wie sie die Lage bei dem Autobauer sieht, sagt sie: "Probleme machen einen stärker." Später dann soll sie sich den VW-Aktionären vorstellen, dabei lobt sie die Strategie von Konzernchef Matthias Müller. Mehr Elektroautos, mehr Modernität, alles bis 2025. Hessa al- Jaber sagt, dass sie "in den letzten Monaten sehr viel über VW gelernt" habe. Der Konzern habe "die Fähigkeit zum Wandel".

Während die Frau aus dem fernen Katar spricht, steht Hans Dieter Pötsch schräg vor seinem Sprecherpult und hört zu, den Arm auf das hochgestellte Tischchen gestützt. Es ist einer der sehr wenigen Wortbeiträge, die ihm bei dieser Hauptversammlung gefallen dürften. Denn kurze Zeit später fordern erste Aktionärsvertreter auch schon, "den Herrn Pötsch als Versammlungsleiter abzulösen". Sie sprechen von "Bescheißen", von krimineller Energie, vom "blinden Wegseher", und von Pötsch als "personifiziertem Interessenkonflikt".

Natürlich wird der Aufsichtsrat nicht abgelöst, dafür haben die kleinen Aktionäre in diesem Konzern, bei dem die Familien Porsche und Piëch, das Land Niedersachsen und die Scheichs aus Katar eine überaus satte Stimmenmehrheit haben, auch viel zu wenig Macht. Später versuchen sie noch ein zweites Mal, Pötsch vom Podium zu holen. Es bleibt natürlich aussichtslos.

Aber darum geht es heute auch gar nicht. Die ersten Reden bei solchen Veranstaltungen sorgen für die richtige Stimmung. Gerade an einem Tag wie diesem. "Danke für das entgegengebrachte Vertrauen", sagt Pötsch betreten, als die Stimmen ausgezählt sind und er die Sitzung weiter leiten darf.

Draußen wird demonstriert, drinnen gibt sich Aufsichtsratschef Pötsch demütig

VW gehört nun mal mehrheitlich den Porsches und den Piëchs, und deshalb kann sich Pötsch seiner Sache sicher sein. Aber angenehm ist es trotzdem nicht, wenn VW zum ersten Mal seit Ausbruch der Dieselaffäre im vergangenen September auf seine Aktionäre trifft. Es hat sich einiges angestaut, und sie nutzen die Gelegenheit für ihre große Abrechnung. Es gibt so viele Wortmeldungen, dass die Redezeit gleich zu Beginn auf fünf Minuten begrenzt wird. Kaum jemand hält sich daran. Empörung kennt keine Regeln, und die Leute werden noch rabiater.

Draußen vor den Hallen der Hannover- Messe stehen Menschen mit Transparenten und Megafonen. Volkswagen habe nicht nur keine Skrupel gehabt, "die Natur zu vergiften, die Menschen zu vergiften", ruft einer. Es gebe in dem Konzern "ja nicht einmal ein Unrechtsbewusstsein". Warum sonst spreche man in Wolfsburg immer von der "Dieselthematik", wo es doch eigentlich um die Manipulationen von Abgaswerten geht. Draußen Demo, drinnen gibt sich der Aufsichtsratschef Pötsch vor den Aktionären demütig. Man habe das Vertrauen der Anteilseigner und der Öffentlichkeit enttäuscht. "Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen", sagt er.

Bedauern, um Verzeihung bitten, das ist für die Manager von VW eine zentrale Aufgabe geworden seit dem Bekanntwerden der Dieselaffäre im September. Pötsch hatte eigentlich gehofft, den Aktionären noch etwas anderes bieten zu können: einen detaillierten Bericht darüber, wie es eigentlich zu dem Desaster kommen konnte - und wer es verursacht hat. Dafür hatte VW die US-Kanzlei Jones Day mit der Aufklärung beauftragt; schon im April hätte es einen Zwischenbericht geben sollen. Es gab ihn aber nicht. Die Dinge ziehen sich hin; und auch bei der Hauptversammlung kann Pötsch keine neuen Ergebnisse präsentieren. Die Vergleichsverhandlungen in den USA laufen noch, erst in der vergangenen Woche hat der zuständige Richter Charles Breyer die Frist für eine Einigung verlängert. Bis dahin heißt es: schweigen. Pötsch sagt, VW halte sich daran - in der Hoffnung auf ein Entgegenkommen der Behörden. Er könne aber versichern, dass es "große Fortschritte" gebe bei der Aufklärung der Affäre.

Von der Zukunftsstrategie für das Jahr 2025 will hier niemand etwas hören

Milliardenklagen aus aller Welt, frustrierte Kunden, noch frustriertere Kleinaktionäre - eigentlich wollte VW diesen Tag nutzen, um über seine Zukunftsstrategien, um über das Jahr 2025 zu reden. Aber will das hier überhaupt jemand hören?

Kurz vor dem Aktionärstreffen wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig Ermittlungen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation eingeleitet hat gegen den langjährigen Ex-VW-Boss Martin Winterkorn und VW-Markenchef Herbert Diess. Die Frage, um die es geht: Hat der Konzern seine Aktionäre rechtzeitig über die Risiken der Dieselaffäre informiert? Da auch noch die Finanzaufsicht Bafin den kompletten früheren VW-Vorstand angezeigt hat, ist auch Pötsch ein Thema. Denn der amtierende Aufsichtsratschef war bis Herbst Finanzvorstand - und damit einer der wichtigsten Männer im Führungszirkel um Winterkorn.

Eine sehr besondere Konstellation ist das. Wie besonders, wird klar, als Pötsch über die vielen Personalien des vergangenen Jahres berichten muss. Da Pötsch hier ja nicht eine Pötsch-Personalie kommentieren kann, muss der Aufsichtsratsvize Jörg Hofmann von der IG Metall ran. Kritik? Nein. Pötsch genieße "in hohem Maße das Vertrauen", sei qualifiziert und müsse wiedergewählt werden. Pötsch schluckt und sagt: "Ich weiß dieses Vertrauen zu schätzen." Die Aktionäre, die hier sind, nehmen das unterschiedlich auf. Einer sagt, der Vortrag des Aufsichtsratschef sei gar nicht so schlecht. "Dass sie Mist gebaut haben, wissen sie ja selbst."

Als nach Pötsch dann auch Vorstandschef Matthias Müller sagt, er bitte "um Entschuldigung, dass auch Ihr Vertrauen in Volkswagen enttäuscht worden ist", geht ein Schnauben durch eine hintere Reihe. Und als Müller von den 600 000 Mitarbeitern spricht "die alles geben für unsere Kunden", schnaubt der Aktionär wieder. Und er sagt: "Irgendein Geschwafel, was soll mir das jetzt bringen?"

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