Versicherungen:Sie leben in unterschiedlichen Welten

Die deutschen Konzerne und ihre Versicherer verstehen sich nicht mehr: Während die Digitalisierung in der Industrie rasant voranschreitet, arbeiten die Assekuranzen intern noch immer oft mit Papier und von Hand.

Von Herbert Fromme und Patrick Hagen

Eigentlich kann die deutsche Industrie zufrieden sein mit den Spezialversicherern, die ihre Fabriken, Büros und Haftpflichtrisiken absichern. Denn die Preise sind auf einem Tiefpunkt. Mit Warren Buffetts Berkshire Hathaway und der italienischen Generali kommen neue Anbieter auf den Markt, der mit großen Namen von Allianz bis Zurich bereits gut besetzt ist. Das macht baldige Preiserhöhungen unwahrscheinlich.

Die Unternehmen verfügen über Informationen, die nicht genutzt werden

Dennoch: Stoff für hitzige Diskussionen zwischen Industrie und Versicherern gibt es genug. Da ist einmal die Schadenbearbeitung. Nach einem Feuer, einer Explosion oder einem Haftpflichtschaden dauere es heute länger als noch vor einigen Jahren, bis Geld fließt, beklagt die Industrie. "Wir als Verband sehen hier einen klaren Trend zu einer Verschlechterung und wollen verstehen, warum das so ist", sagt Alexander Mahnke, Versicherungschef bei Siemens und Vorsitzender des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW). Er vertritt Industrieunternehmen in Versicherungsfragen. Die Versicherer weisen den Vorwurf zurück. Von einer Verschlechterung könne keine Rede sein, finden sie.

Vor allem aber machen sich beide Seiten Sorgen, wie sie in Zukunft mit ihren Daten umgehen. Die Industrie krempelt Produktion und Verwaltung grundlegend um. Roboter, automatische Produktionsstraßen und mit Meldechips ausgestattete Werkstücke spielen eine immer größere Rolle. Sie produzieren gigantische Datenmengen, mit denen die Industrie selbst nur mit Mühe fertig wird. Sie wären auch für die Versicherer und ihre Risikoeinschätzung von großer Bedeutung. "Aber viele Anbieter können damit nicht viel anfangen, mancher Versicherer arbeitet vor allem mit Excel-Tabellen", beklagt Georg Bräuchle, Geschäftsführer des Maklers Marsh. Handgestrickte Excel-Tabellen - das ist aus Sicht der Industrie nicht zeitgemäß. Die Versicherungsbranche braucht mehr Informationen, wenn sie große Risiken wie die von Cyberangriffen, Terroranschlägen oder der Unterbrechung von Lieferketten absichern soll. Aber sie kann damit nicht wirklich etwas anfangen, sagen die Kritiker.

Rund 700 Experten aus beiden Lagern treffen sich in dieser Woche in München, darunter auch Makler und Anwälte. Eingeladen zu der Fachtagung hat der Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft, und die Prominenz aus dem Versicherungslager kommt gerne. Schließlich sitzen hier die Vertreter von Konzernen, die zusammen zweistellige Milliardenbeträge an Prämien pro Jahr zahlen. Für den französischen Versicherer Axa ist Thomas Buberl aus Paris angereist, frisch gekürter Chef des größten europäischen Versicherers.

Buberl ist selbstkritisch. "Vieles in der Industrieversicherung ist noch sehr manufakturartig." Die Kunden aus den Industriekonzernen seien aber anspruchsvoller geworden. "Sie akzeptieren kein Papier mehr und auch nicht die Fehlerquote, die aus den manuellen Prozessen kommt." Die Versicherer müssen sich mit den notwendigen Veränderungen beeilen. Denn branchenfremde Wettbewerber werden den etablierten Gesellschaften Konkurrenz machen, erwartet Buberl. "Wir werden neue Anbieter sehen, die massiv in unsere Bereiche eindringen werden", sagt er. Sie würden "schneller kommen, als wir glauben".

Der Axa-Chef sieht nicht nur Start-ups als mögliche Angreifer, sondern auch Internet-Konzerne wie Google und Unternehmen aus anderen Bereichen. Selbst manche Industriekonzerne könnten künftig als Versicherer auftreten.

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