Versicherungen:Allianz-Vertreterin verklagt ihren eigenen Konzern

Allianz will Immobilien abgeben

Der Allianz droht Ärger. Stimmen die Behauptungen, geht es nicht nur um viel Geld, sondern auch um die Reputation des Konzerns.

(Foto: dpa)
  • Sollte sich die Vorwürfe bewahrheiten, droht dem Versicherungskonzern eine Klagewelle durch seine eigenen Leute.
  • Die Nachforderungen könnten dann im Höchstfall eine dreistellige Millionenhöhe erreichen.

Von Uwe Ritzer

Im Dr.-Hans-Heß-Club trifft sich die Elite der Allianz. Einmal im Jahr lädt der Versicherungskonzern unter dem Namen seines ehemaligen Chefs seine erfolgreichsten Vertreterinnen und Vertreter aus Deutschland ein.

Meist geht es in eine hübsche Großstadt, wo dann die Besten der Besten ausgezeichnet werden. Seit 2003 gehört Diana Vogler regelmäßig zu dem kleinen, aber feinen Kreis. Nun aber ist die elitäre Harmonie dahin. Vogler hat die Allianz verklagt, sie erhebt einen schweren Vorwurf: Der Konzern soll viele seiner mehr als 8000 Vertreter seit Jahren um Teile ihrer Rente bringen.

Sollte sich das bewahrheiten, drohen dem Versicherungskonzern eine Klagewelle durch seine eigenen Leute und finanzielle Nachforderungen, die nach Ansicht mit dem Fall vertrauter Kreise im Höchstfall einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen könnten.

Obendrein könnte Vorstandschef Oliver Bäte in Erklärungsnot geraten. Er kennt die brisanten Vorwürfe seit sieben Monaten. Wie er damit umgegangen ist, wollte er auf Anfrage nicht sagen. Eine Sprecherin erklärte lediglich allgemein, man werde die in der Klage "vorgebrachten Punkte prüfen und über unsere Rechtsanwälte in das Verfahren einbringen. Weiter werden wir uns zu dem laufenden Klageverfahren nicht äußern".

Allein die Umstände des Falles sind schon hochnotpeinlich

Gut möglich aber, dass Bäte sein Schweigen nicht lange durchhalten wird. Denn es geht nicht nur um viel Geld, sondern auch um die Reputation der Allianz. Allein die Umstände des Falles sind hochnotpeinlich für den deutschen Marktführer. Die Klageschrift und Allianz-interne Unterlagen, die der SZ vorliegen, zeigen Vorgänge, die nicht zum Bild eines Versicherers passen, der bei der Kundschaft mit Seriosität und Korrektheit wirbt.

Diana Vogler, die in Wirklichkeit anders heißt und ebenso wenig wie ihr Anwalt öffentlich Stellung beziehen will, betreibt eine Allianz-Generalvertretung in einer süddeutschen Großstadt. 2008 stellte sie erstmals Unregelmäßigkeiten bei der Berechnung ihrer Rente fest. Diese ist für die freiberuflichen, jedoch an die Allianz gebundenen Vertreter über ein konzerneigenes Versorgungswerk organisiert.

Als Grundlage für die Berechnung der späteren Alters-, bei Bedarf auch einer Berufsunfähigkeits- oder Hinterbliebenenrente, dienen die Bestände, die ein Vertreter aufbaut. Für jeden selbstvermittelten oder von einem anderen Agenten übernommenen und veränderten Vertrag fließt nicht nur eine Provision der Allianz, ein Teil wird auch für die Altersversorgung des Vertreters angerechnet. Die aufwendige Berechnung all dessen ist nicht Sache der Vertreter, sondern der Allianz.

"Zahllose Fehler"

Diana Vogler war jedoch misstrauisch geworden und stellte bei eigenen Nachprüfungen fest, dass es in ihrem Fall "zahllose Fehler" gab, wie es in der beim Landgericht München I eingereichten Klage heißt. Verträge seien nicht erfasst worden oder irgendwann einfach aus der Versorgungsberechnung gefallen. Etwa, wenn der Kunde den Agenten wechselte. Insgesamt sollen bei Vogler mehr als 1000 Verträge, hauptsächlich Lebens- und Sachversicherungen, bei der Altersvorsorge nicht korrekt verbucht worden sein.

Die umfangreichen Anlagen zur Klageschrift und interne Korrespondenz im Fall Vogler lesen sich wie ein Drehbuch für eine Bürokraten-Posse. In zahlreichen E-Mails und Briefen monierte die Vertreterin ab 2012 die Fehler bei der zuständigen Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG (ABV). Diese gehört zur Allianz Deutschland AG, einer Tochter der Allianz SE. Immer wieder wurden auf Voglers Drängen ihre Bestände überprüft, und tatsächlich fanden sich offenkundig immer wieder Fehler. Sie wurden zwar korrigiert und die Altersversorgung Voglers entsprechend neu berechnet. Doch auch danach stieß sie der Klage zufolge wieder auf neue Fehler, obwohl sogar ranghohe Allianz-Manager Besserung gelobt hatten.

In der Praxis allerdings wurde Vogler demnach häufig vertröstet und nicht selten monatelang hingehalten. Man habe die Fehler in ihrem Fall "jahrelang ignoriert, verleugnet und vertuscht", schrieb sie einmal wütend an den Konzern. Wie der Buchbinder Wanninger aus dem bekannten Sketch von Karl Valentin musste Vogler bisweilen mehrfach hintereinander verschiedenen Allianz-Hierarchen ihr Problem wieder und wieder schildern, weil eine Hand nicht zu wissen schien, was die andere tat.

"Es handelt sich nicht um Einzelfälle"

Manche Antworten aus der ABV-Zentrale klangen wenig vertrauenerweckend. "Leider lässt die angespannte Arbeitslage eine zeitnahe Erledigung nicht zu", schrieb etwa eine Gruppenleiterin im Oktober 2013 in einer E-Mail an Diana Vogler. Diese hegte längst einen Verdacht. "Passiert das nur bei mir, oder bin ich nur eine der wenigen, die darauf kommt?", schrieb sie Anfang 2013 an den Konzern. Inzwischen glaubt Vogler die Antwort zu kennen. "Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um systembedingte Fehler", so ihr Anwalt in der Klage. Recherchen hätten ergeben, dass seine Mandantin kein Einzelfall sei; auch andere Vertreter seien betroffen.

Doch einen (womöglich teuren) Systemfehler will die Allianz bei alledem nicht erkennen. Es habe sich um "manuelle Eingabefehler" gehandelt, heißt es, was im Zeitalter der Digitalisierung ein hübsches Argument für einen Milliardenkonzern ist. 2013 versicherte die Allianz Diana Vogler, ihre Bestände seien nun korrigiert und sämtliche Fehler ausgemerzt. Wenige Monate später monierte sie schon 400 neue.

Unter den Allianz-Managern, die von Vogler informiert wurden, ist auch Konzernchef Oliver Bäte. In einer E-Mail schilderte sie ihm am 10. Januar 2017 ihren Fall und bat um ein Gespräch. Schließlich habe er, Bäte, selbst die Heß-Club-Mitglieder bei einem Jahrestreffen in Barcelona aufgefordert, ihm "Missstände direkt aufzuzeigen". Und ihr Fall könne sich zum handfesten Problem für die Allianz auswachsen, warnte Vogler. Allein ihre Rente habe nach den erzwungenen Korrekturen bereits um mehrere Hundert Euro pro Monat angehoben werden müssen.

Was, wenn dies auch bei Tausenden anderen Vertretern notwendig wird? Und bei denen, die bereits Renten aus dem Versorgungswerk beziehen? "Man muss kein Mathematiker oder Genie sein, um zu wissen, um wie viel Geld es geht", schrieb Vogler einem anderen Manager. Sicher seien das dann "keine Peanuts".

Nun will sie mit einer Feststellungsklage vor dem Münchner Landgericht unter anderem korrekte Auskünfte über ihr zustehende Versorgungsleistungen und einhergehend damit eine lückenlose Überprüfung ihres kompletten Bestandes durchsetzen. Das hatte der Versicherungskonzern im Januar noch mit der Begründung mangelnder Kapazitäten abgelehnt. "Wir können eine Prüfung aller Verträge ihres Gesamtbestandes nicht leisten", schrieb der zuständige Fachbereichsleiter. Spätestens dann allerdings, wenn das Verfahren Vogler gegen Allianz zu einem Präzedenzfall werden sollte, dürfte dieses Argument kaum noch zählen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: