Vernachlässigtes Mitarbeiter-Know-how:Firmen vergeuden Milliarden

Weil Vorgesetzte gute Vorschläge ihrer Angestellten konsequent ignorieren, gehen den Firmen jährlich Milliardenbeträge durch die Lappen. Das Ideenmanagement ist in Deutschland völlig unzureichend.

Harald Schwarz

Deutsche Unternehmen vergeben jedes Jahr leichtfertig die Chance auf Kosteneinsparungen in Höhe mehrerer Milliarden Euro, weil sie das Wissen ihrer Mitarbeiter nur unzureichend oder gar nicht anzapfen. Die Schuld für mangelndes Ideenmanagement in Firmen liegt bei den Führungskräften.

Vernachlässigtes Mitarbeiter-Know-how: Topmanager ignorieren offenbar das Potential, das in den Vorschlägen von Mitarbeitern liegt.

Topmanager ignorieren offenbar das Potential, das in den Vorschlägen von Mitarbeitern liegt.

(Foto: Foto: dpa)

Einen mittleren Lottogewinn konnte ein Elektrotechniker im Kernkraftwerk Isar des Energiekonzerns Eon 2006 feiern: Sein Verbesserungsvorschlag zur Füllstandsmessung im Reaktordruckbehälter bescherte ihm eine Brutto-Prämie von 135.000 Euro. Für Eon bedeutete der Geistesblitz eine Einsparung von 670.000 Euro.

Dass es sich lohnt, Mitarbeiterideen umzusetzen, weiß auch Walter Scheurle, Personalvorstand der Deutschen Post. Mehr als 210.000 Verbesserungsvorschläge kamen bei dem Unternehmen zuletzt aus der Belegschaft. Der Nutzen: mehr als 271 Millionen Euro. Der Post-Manager sagt: "In Deutschland müssen wir noch mehr Unternehmen gewinnen und ermuntern, sich aktiv beim Thema Ideenmanagement einzubringen."

Mit dieser Sichtweise rennt Scheurle bei Christiane Kersting offene Türen ein. Sie ist Leiterin Ideenmanagement beim Deutschen Institut für Betriebswirtschaft (dib) in Frankfurt, der Dachorganisation für dieses Thema hierzulande. Die Expertin freut sich über Erfolge wie bei der Post oder bei Eon.

Doch kennt sie auch die Schattenseiten in der Wirtschaft. Viele Unternehmen vernachlässigten das Ideenmanagement und behandelten es "stiefmütterlich". Sie könne das nicht verstehen, denn bei einem funktionierenden Vorschlagswesen sei "der Return on Invest riesig", also der Nutzen erheblich größer als der Aufwand.

Kersting scheut sich nicht, eine Rechnung dazu anzustellen. An einer dib-Umfrage zum Ideenmanagement beteiligten sich 315 Firmen und öffentliche Körperschaften mit rund zwei Millionen Beschäftigten. Diese reichten knapp 1,3 Millionen Verbesserungsvorschläge ein. Der errechenbare Nutzen daraus belief sich auf gut 1,3 Milliarden Euro.

Kersting: "Es gibt in Deutschland aber 39 Millionen Beschäftigte. Es gibt also ein großes brachliegendes Potential.'' Die Expertin stellt weiter fest: "Da wird massiv Geld verschenkt.'' Selbst wenn man nur die Hälfte des brachliegenden Wissens anzapfen würde, summierten sich die Geldvorteile auf mehrere Milliarden Euro im Jahr. Das Geld werde aber "leichtfertig verschleudert", beklagt Kersting.

Vertane Chancen

Um den Missstand abzustellen, sieht sie vor allem die Top-Manager gefordert. "Der Fehler im System liegt ganz oben. Dort kümmert man sich zu wenig um das Thema. Das ist auch eine Frage der Führung von Mitarbeitern", sagt sie.

Es gehe darum, die Ideenvielfalt jedes einzelnen Mitarbeiters zu wecken und zu nutzen. Man dürfe nicht immer nur auf Ingenieure und gut ausgebildete Leute schauen, wenn es um Ideen und Innovationen gehe. Die Menschen an der Basis würden hingegen jedes Problem kennen. Kersting: "Trotzdem wird auf deren Meinung kein Wert gelegt. Die Folgen sind vertane Chancen." Deutschen Top-Managern hält sie vor: Keiner ist so klug wie alle. Doch die da oben akzeptieren das nicht."

Desinteresse von Politik und Gewerkschaften

Kritisch sieht die dib-Expertin auch die Rolle der Politik. Sie kümmere sich überhaupt nicht um das Thema Ideenmanagement. Politiker sollten es als Mittel zur Zukunftsgestaltung entdecken und fördern, fordert sie. Auch die Gewerkschaften interessierten sich dafür viel zu wenig. Dabei sei Ideenmanagement "ein Instrument für die Arbeitnehme".

In den Betrieben werde das Vorschlagswesen aber hin und wieder zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern als "machtpolitisches Instrument" missbraucht, bedauert sie.

Kersting rügt auch die Höhe der Besteuerung der Prämien für realisierte Ideen. Wer sich mit seinen Einkünften am oberen Rand einer Steuerstufe befinde, könne wegen der Prämie vom Fiskus stärker zur Kasse gebeten werden. Als "fair" empfände sie es, wenn Firmen die Steuer für die Prämie tragen würden.

Da dies selten der Fall sein wird, wünscht sich Kersting für Ideen-Honorare eine "pauschale und möglichst niedrige Besteuerung". Dies könne ein weiterer Anreiz für mehr Verbesserungsvorschläge im Unternehmen sein.

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