Vermögen:Abgehängt

Die reichsten zehn Prozent in der Euro-Zone besitzen mehr als die Hälfte des ganzen Vermögens. Die Deutschen, die kaum in Immobilien und Aktien anlegen, stehen besonders schlecht da.

Von Alexander Hagelüken und Markus Zydra

Seit der Ökonom Thomas Piketty 2014 seinen Bestseller über den Kapitalismus landete, diskutieren die Menschen wieder über Ungleichheiten. Werden Arm und Reich in Zukunft immer stärker auseinanderklaffen? Nähren stagnierende Löhne abgehängter Arbeitnehmer in Europa eine Unzufriedenheit, die Populisten Stimmen zutreibt?

Die Europäische Zentralbank (EZB) leistet nun auch einen Beitrag zu dieser Debatte. Das Ergebnis ihrer aktuellen Vermögensumfrage belegt, dass die Europäer zwischen 2010 und 2014 im Durchschnitt um zehn Prozent ärmer geworden sind. Ursache waren in erster Linie die vielerorts gesunkenen Preise für Wohnimmobilien. Das mittlere Vermögen (Median) eines Privathaushalts in der Euro-Zone beträgt demnach 104 000 Euro. Dieser Betrag entspricht rechnerisch sozusagen der Bevölkerungsmitte - er trennt also die Hälfte der Bevölkerung, die mehr als 104 000 Euro hat, von der, die weniger besitzt.

Die reichsten zehn Prozent der Haushalte in der Euro-Zone besitzen mehr als die Hälfte des europäischen Gesamtvermögens. Sie haben je Haushalt durchschnittlich ein Vermögen von knapp einer halben Million Euro. Die ärmsten zehn Prozent besitzen hingegen nur 1000 Euro, zeigt die Untersuchung. Besonders diejenigen, die im Vergleich sowieso schon wenig besaßen, haben zwischen 2010 und 2014 überdurchschnittlich viel verloren. Da kann es nicht verwundern, dass die EZB auch eine leicht zunehmende Ungleichheit der Vermögen in Europa attestiert.

Noch kontroverser wird es beim Vergleich der Vermögen zwischen den Einzelstaaten. Niemand würde bestreiten, dass Deutschland eines der wohlhabendsten Länder in Europa ist. Das mittlere Haushaltsvermögen (Median) beträgt hierzulande aber nur 60 000 Euro. Nur?

Ja, weil der Wert in Griechenland bei 65 000 Euro liegt, in Portugal bei 70 000 Euro, in Spanien bei 160 000 und in Zypern bei 170 000 Euro. Dieses Ergebnis ist ähnlich verstörend wie das Resultat vor drei Jahren bei der Publikation des ersten Vermögensberichts der EZB. Damals lagen die Deutschen sogar noch viel weiter hinten. Doch obwohl die Vermögen etwa in Portugal und Griechenland in den vergangenen Jahren schrumpften und in Deutschland stiegen, stehen die Deutschen immer noch ärmer da.

AUGSBURG: Constanze Jochemko - Studentin + ehrenamtliche Helferin beim Sozialkaufhaus

Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin in einem Sozialkaufhaus in München. Hier können Menschen mit sehr wenig Geld einkaufen.

(Foto: Johannes Simon)

Wie kann es sein, dass Euro-Krisenstaaten, die von Hilfsprogrammen profitiert haben, durchschnittlich mehr besitzen als Geberländer wie Deutschland?

Die Frage hat politischen Zündstoff, vor allem in der Bundesrepublik, wo manche europakritische Bürger sowieso der Ansicht sind, sie zahlten in der Euro-Zone nur drauf. Die AfD, die sich inzwischen vor allem gegen Flüchtlinge und den Islam profiliert, begann als Euro-kritische Partei. Für die EZB ist die Situation unbequem. Das Ergebnis der eigenen Studie könnte EU-Kritiker stärken. Daher dürfte es kein Zufall sein, dass die Veröffentlichung des Berichts still und leise auf den letzten Arbeitstag vor den Weihnachtsfeiertagen gelegt wurde. Eine Pressekonferenz gab es nicht.

Die Studie zeige erneut, "dass das Vermögen in Deutschland extrem ungleich verteilt ist", analysiert der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Nach Angaben der Organisation OECD sammeln die reichsten zehn Prozent der Deutschen mehr als 60 Prozent des ganzen Reichtums an, weit mehr als im Durchschnitt der Industrieländer. Damit ist die Bundesrepublik zwar als Ganzes gesehen ein sehr reiches Land. Bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung steht aber vergleichsweise wenig auf der Habenseite.

"Vermutlich ist die Situation in Wahrheit noch viel schlimmer", befürchtet der Würzburger VWL-Professor Bofinger. "Denn nach allem, was bekannt ist, legen Gutverdiener ihr Vermögen in solchen Befragungen wohl nicht adäquat offen."

Die Suche nach Gründen für die deutsche Position führt auch zur Geldanlage. "In allen anderen EU-Staaten ist der Anteil der Bürger, die in der eigenen Immobilie leben, deutlich höher als in Deutschland", sagt der Münchner Anlageberater Gerd Kommer. So besitzen nur etwa 40 Prozent der Bundesbürger die Immobilie, in der sie wohnen. In Südeuropa liegt diese Quote oft bei mehr als 70 Prozent. Und Wohneigentum bedeutet, jedenfalls wenn der Kredit irgendwann abbezahlt ist, netto ein Vermögen, das ein Mieter nicht hat.

84 000 Haushalte

in 20 EU-Staaten haben der Europäischen Zentralbank ihre Vermögensverhältnisse offengelegt. Dazu muss man wissen, dass es sich um eine Umfrage handelt. Die Befragten schätzten beispielsweise den Wert ihrer Immobilie. Da mag mancher übertreiben, sei es aus Unkenntnis, sei es, weil er einen möglichen Wertverlust nicht wahrhaben möchte. Auf der anderen Seite basieren alle Vermögensstudien auf Umfragen. Denn es gibt keine amtlich festgestellten. Die würde etwa eine Vermögensteuer liefern, bei der der Staat das Besitztum seiner Bürger abschätzt und erfasst.

Der Wirtschaftsweise Bofinger fordert politische Konsequenzen aus diesem Befund. "Die Ergebnisse zeigen, dass die deutsche Vermögensbildungspolitik verfehlt ist. In Deutschland ist die Eigentumsquote bei Immobilien extrem gering. Der Staat hat das zu wenig gefördert. Stattdessen förderte der Staat Versicherungen zu stark. So haben viele Menschen die Chance verpasst, in den Immobilienmarkt einzusteigen."

Auch die Aktien-Skepsis der Deutschen könnte ein Problem sein. "Auf lange Sicht ist bei einem gut gestreuten Aktienportfolio die höchste Rendite zu erwarten", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Deutschen würden stattdessen von provisionsgetriebenen Finanzkonzernen in Lebensversicherungen oder Bausparverträge gedrängt, die häufig wenig abwerfen.

Die Rente ist in Deutschland im Vergleich zum letzten Gehalt gar nicht so hoch

Es gibt aber auch Warnungen, was die Interpretation der Zahlen anbetrifft. So leben in Südeuropa im Durchschnitt teilweise mehr Personen in einem Haushalt, was das Vermögen pro Haushalt leicht erhöht. Außerdem berücksichtige die Studie wesentliche Aspekte nicht, die den Lebensstandard der Bürger in den unterschiedlichen europäischen Staaten beeinflussen, kritisiert Anlageberater Kommer. "Zum Beispiel gilt das für das Humankapital, das Arbeitseinkommen ermöglicht, und für Rentenansprüche. In beiden Fällen liegen die Deutschen vermutlich besser als viele andere Nationen."

Auch ein EZB-Sprecher verweist darauf, dass die Leistungen aus öffentlichen Rentenkassen und Betriebsrenten in der Studie nicht berücksichtigt wurden. Dabei dürften die Deutschen in absoluten Zahlen der Rentenzahlungen besser gestellt sein als viele andere Nationen. So argumentierte auch die Bundesregierung, als 2013 die erste Studie herauskam. Relativ gesehen gilt der Vorsprung allerdings nicht, wenn man also die Rente in Prozent des letzten Arbeitseinkommens heranzieht. Das belegten damals Zahlen der OECD. Außerdem argumentieren Ökonomen, dass Rentenansprüche kein Vermögen wie etwa ein Haus sind, da sie von der Regierung gekürzt werden können.

Der Wirtschaftsweise Bofinger fordert die Bundesregierung auf, als Konsequenz aus der Studie die Einkommenssituation vieler Bürger zu verbessern. Haushalte, die netto weniger als 2000 Euro verdienen, verschuldeten sich unterm Strich. "Den Menschen fehlt Einkommen, um überhaupt Vermögen zu bilden."

Um das zu ändern, sei ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik nötig. "Anstelle einer generellen Senkung der Einkommensteuer könnten Bezieher niedriger Einkommen gezielt entlastet werden", sagt Bofinger. "So könnte das Wohngeld großzügiger ausgestaltet werden und man könnte an eine negative Einkommensteuer für Geringverdiener denken." Also Zuschüsse für Menschen, die wenig verdienen.

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