Schlichter in Tarifkonflikten:Schiedsrichter mit Autorität und Fingerspitzengefühl

Streik der Lokführer wird beendet

In Rage geredet: Erst nach Verhandlungen bis tief in die Nacht hat sich Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber mit der GDL verständigt.

(Foto: Lukas Schulze/dpa)
  • Eine staatlich vorgeschriebene Zwangsschlichtung mag einleuchtend klingen, ist aber in Deutschland unmöglich. Sie würde nicht nur gegen die Tarifautonomie verstoßen, sondern womöglich auch gegen die Verfassung.
  • Doch auch die freiwillige Schlichtung hat in Deutschland lange Tradition, beispielsweise in der Chemie-Industrie.
  • Als Schlichter kommen vor allen angesehene ehemalige Politiker infrage.

Überblick von Thomas Öchsner

Für den stellvertretenden Fraktionschef der Union, Michael Fuchs (CDU), ist die Sache ganz einfach: Wenn ein Gewerkschaftsboss mit "Hunderttausenden Bahnreisenden Katz und Maus" spiele, muss Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ran. Im Bahn- und Luftverkehr und anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsfürsorge müsse es ein gesetzliches Schlichtungsverfahren mit klaren Spielregeln geben. "Bevor gestreikt wird, sollen die Parteien miteinander reden - wie erwachsene Menschen", sagt Fuchs.

Was einleuchtend klingt und bei den Bürgern, die stundenlang in Flughäfen oder auf Bahnhöfen festhängen, sicherlich gut ankommt, lässt sich in der Praxis aber wohl kaum durchsetzen. Eine staatlich vorgeschriebene Zwangsschlichtung verstößt nicht nur gegen die in Deutschland hoch geachtete Tarifautonomie, sondern womöglich auch gegen die Verfassung: Der Gesetzgeber kann Gewerkschaften schlecht vorschreiben, mit wem sie wann zu verhandeln haben. Selbst die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält den Vorschlag aus den Reihen des Wirtschaftsflügels der Union deshalb für nicht "zielführend".

Freiwillige Schlichtung ist in Deutschland schon lange Tradition

Die BDA setzt darauf, dass sich Tarifparteien freiwillig auf eine Schlichtung samt unabhängiger Schlichter einigen. In der Bundesrepublik ist dies schon lange eine gute Tradition. In der Chemie-Industrie haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber sogar darauf verständigt, dass es vor einem Arbeitskampf stets ein Schlichtungsverfahren geben muss: Bevor die Räder stillstehen, wird noch einmal geredet und ein Schiedsrichter hinzugezogen. In anderen Branchen gibt es Schlichtungsordnungen, in denen zumindest geregelt ist, wie so ein Verfahren abzulaufen hat.

Schlichtungen kann es immer dann geben, wenn es bei Tarifverhandlungen klemmt und ein Kompromiss nicht in Sicht ist. Der oder die Schlichter müssen von beiden verfeindeten Parteien akzeptiert werden. Schließlich sollen sie helfen, einen Ausgleich der Interessen zu erreichen. Während einer Schlichtung gilt die Friedenspflicht: Die Arbeitnehmer dürfen nicht streiken, die Arbeitgeber nicht aussperren. Dies beruht auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach ist ein Arbeitskampf nur als Ultima Ratio erlaubt, nachdem alle Möglichkeiten zur friedlichen Einigung ausgeschöpft sind.

Was ein Schlichter am Ende vorschlägt, ist jedoch nicht bindend: Lehnt eine der beiden Seiten den Spruch des unabhängigen Dritten ab, endet die Friedenspflicht. Ein Arbeitskampf ist wieder möglich. Die Chancen von Schlichtungen "sind aber normalerweise gut", sagt Reinhard Bispinck, Tarifexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Schlichten ist etwas für gewiefte Taktiker

Schlichten heißt, beide Kontrahenten auf einen gemeinsamen Weg zu bringen, nach dem Prinzip: "Jeder bekommt etwas, und was er bekommt, kann der andere ertragen." Schlichten kommt daher vor allem für angesehene ehemalige Politiker infrage, die gewiefte Taktiker sind, zäh verhandeln, genau zuhören können - und den Ruf haben, über ihre Parteigrenzen hinaus zu denken.

So wurde für manche Polit-Pensionäre Schlichten zum Paradejob. Heiner Geißler, einst Generalsekretär der CDU und heute Aktivist beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac, beendete von 1997 bis 2002 als Vermittler gleich viermal Konflikte in der Bau-Industrie. 2004 half er der Fluggesellschaft LTU und den Piloten, sich zu einigen. 2010 gelang es ihm, dass sich Gegner und Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart 21 bei Butterbrezen und Obst an einen Tisch setzten. 2007 scheiterte Geißler aber dabei, Bahn und Lokführer zu einem Kompromiss zu bringen. Da half auch nicht, dass ihm der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf als Moderator assistierte, der vorher bei der Bahn schon vermittelt hatte.

"Ich verlange Bewegung, meine Herren"

Auch einige prominente Sozialdemokraten taten sich als Schlichter hervor, wie Bremens ehemaliger Bürgermeister Hans Koschnick, der frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, vor allem aber Ex-Verteidigungsminister Georg Leber. Er löste 1984 den festgefahrenen Tarifkonflikt in der Metallindustrie, indem er den Arbeitnehmern den Einstieg in die 38,5 Wochenstunden bescherte und gleichzeitig den Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnete, die Arbeitszeit flexibel zu regeln.

Leber, der bei solchen Gesprächen durchaus autoritär sein konnte ("Ich verlange Bewegung, meine Herren"), setzte schon damals auf ein bewährtes Druckmittel: Die letzte Verhandlungsrunde dauerte mehr als 21 Stunden - bis auch dem letzten Beteiligten der Sinn nur noch nach einem Ende stand. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Brandenburgs früherer Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) werden nun bei der Lokführer-Schlichtung vielleicht ähnlich viel Geduld brauchen.

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