Vermarktung im Fußball:Kampf um die Macht im Wohnzimmer

Lesezeit: 5 min

Weltweit empfangbar: das Premier-League-Spiel Arsenal London gegen Manchester City am Samstag (Foto: dpa)

1,8 Milliarden Zuschauer weltweit: Die Premier League verkauft ihre Übertragungsrechte teurer als jede andere Fußball-Liga in Europa - und das in 212 Länder. Was die Bundesliga von Großbritannien lernen kann.

Von Christopher Keil

Das Schild rechts neben der Eingangstür mit dem goldenen Knauf fällt kaum ins Auge. "Premier League" wurde in großen Buchstaben auf eine kleine Metallplatte graviert. Die wirtschaftlich erfolgreichste Fußball-Vereinigung der Welt spielt im Stadtzentrum Londons mit ihrem Image. Größe soll sich nicht an Äußerlichkeiten festmachen, sondern am Inhalt.

Das britische Understatement endet spätestens, wenn man sich mit Richard Scudamore eine Stunde unterhalten hat. Scudamore, 55, ist seit 1999 leitender Geschäftsführer der Premier League. Er hat einen weichen Händedruck, über den Begriff "Football competition" denkt er amüsiert und laut nach. "Fußball und Wettbewerb, das ist die Premier League." Dann wiederholt er die Wörter "Fußball", "Wettbewerb", trägt sie auf der Zunge wie einen Trüffel und sieht entzückt aus.

In Frankreich bestaunen viele die mit Scheichtumsschätzen gesponserte Equipe von Paris St. Germain. In Spanien drehen die TV-Geld-Oligarchen Barcelona und Real Madrid weiter ihre Titelrunden. Von Deutschland aus hat sich der FC Bayern München gerade zur erfolgreichsten europäischen Mannschaft erhoben. Die beste Liga? Richard Scudamore lächelt: "Das ist die Premier League."

"Kampf ums Wohnzimmer"

Sie hat auf jeden Fall das beste Geschäftsmodell bei der Vermarktung der Fernsehrechte und seit ihrer Gründung 1992 ein erstaunliches Timing. Vor zwanzig Jahren half sie BSkyB auf die Beine, dem kommerziellen Fernsehen Rupert Murdochs, und strich Hunderte Millionen ein, als die Globalisierung der Medien einsetzte. Nun, seit ein paar Monaten, schöpft sie auf dem digitalen TV- und Telekommunikationsmarkt bis 2016 beinahe 6,5 Milliarden Euro ab.

Anfänglich musste Murdoch für alle in Großbritannien live gezeigten Premier-League-Spiele 48 Millionen Euro jährlich aufbringen. Heute hat BSkyB zehn Millionen Abonnenten und setzte gerade für die Mehrheit (116) der angebotenen Live-Partien (154) einer Saison 950 Millionen Euro ein, etwa das Zwanzigfache. "Am Ende ist es immer ein Kampf ums Wohnzimmer", sagt Christian Seifert, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutsche Fußball Liga (DFL). "Nur kommen heute die Infrastrukturanbieter von der einen Seite, und von der anderen kommen die Inhalteproduzenten. Alle machen alles."

Noch nie verdiente eine Fußball-Liga deshalb so viel Geld an ihren TV-Lizenzen wie die Premier League. 3,8 Milliarden Euro nimmt sie durch die Vermarktung ihrer nationalen Fernsehrechte bis 2016 ein. 2,6 Milliarden fließen den 20 Klubs gleichzeitig aus der Auslandsverwertung zu. Die DFL, zum Vergleich, bezieht national derzeit 627 Millionen Euro und international 70 Millionen jährlich. Die Premier-League-Erträge wird sie in zehn Jahren nicht erzielen, und das nicht nur, weil die Bundesliga erst seit 2004 TV-Rechte im Ausland veräußert und die deutschen Vereine viel zu spät begonnen haben, durch die Welt zu reisen und für sich zu werben.

1,8 Milliarden Zuschauer weltweit

Spanier, Italiener, Franzosen: Sie alle ziehen aus ihren Fernsehrechte-Verhandlungen nicht annähernd die Ertragskraft der Premier League, die mit 80 TV-Partnern in 212 Ländern kooperiert. Richard Scudamore hebt Südamerika und Südafrika als Wachstumsgebiete heraus. Zusammen genommen schauen 1,8 Milliarden Menschen weltweit die Spiele der höchsten englischen Spielklasse über Kabel, Satellit oder im Livestream. Angeschlossen sind 804 Millionen Haushalte.

Vereine wie der FC Liverpool, Manchester United und Arsenal London touren seit 1980 in der Saison-Vorbereitung nach Hongkong, Singapur, durch Thailand. Es gibt eine koloniale Geschichte, die Großbritannien mit Regionen Asiens, mit Indien und Staaten Afrikas verbindet. Vor allem Englisch als Sprache wirkt sich wirtschaftlich zugunsten der britischen Klubs aus. Über die Premier League wird in englischsprachigen Sendern und Zeitungen Asiens wie Afrikas berichtet. Asiaten, Afrikaner sind Premier-League-Klub-Besitzer. Das ist kein Management-Fehler der DFL. Das sind ererbte Vorzüge der Briten.

Für jede Spielzeit steht den Teams der Premier League derzeit 2,1 Milliarden Euro aus der TV-Rechte-Vermarktung zur Verfügung - so viel, wie die Deutsche Fußball Liga mit Fernsehlizenzen gegenwärtig über drei Jahre erlöst. Premier-League-Chef Scudamore sorgte dafür, dass der zweitgrößte Telco-Konzern Großbritanniens, die British Telecom, vor ein paar Monaten 38 Premier League Live-Spiele für fast 900 Millionen Euro erwarb. Geholfen hat dabei auch die EU.

Weil BSkyB den Markt für Fußball-Live-Spiele in Großbritannien beherrscht, verlangte die Europäische Union 2005, dass bei Ausschreibungen immer ein zweiter Bieter berücksichtigt werden muss. Seither verdreifachte die Premier League ihre Abschlüsse, profitierte von dem kartellrechtlich erzwungenen Wettbewerb. Die in der Abschlusstabelle am höchsten platzierten Premier-League-Vereine bekommen vor Saisonstart etwa 95 Millionen Euro aus der TV-Vermarktung - dafür musste der FC Bayern 2013 in der Meisterschaft, im Pokal und in der Champions League siegen.

Es macht nicht den Eindruck, als ob die British Telekom kurzfristig Aufmerksamkeit sucht. In Großbritannien unterhält BT 28 Millionen Telefonanschlüsse. Für 2,5 Milliarden Euro hat die Gruppe neue Glasfasernetze ausgelegt, "Breitband ist ein wichtiger Teil unserer Geschäftsstrategie", teilt eine BT-Sprecherin mit. "Über das Breitband bringen wir Live-Sport auf die Geräte" (IP-TV).

Glaserfaserleitungen für das Triple Play, der digitale Anschluss für Telefon, Internet und Fernsehen, soll das Geschäftsmodell der Zukunft sein. Die schnelle, hochwertige Datenübertragung des Glasfasernetzes liefert ruckelfreie, scharfe Bilder in HD-Qualität und braucht Inhalte. So entstehen immer neue Produkte für Smartphones, Tablets, Flat-Screens. Fußball-Spiele bieten Netzverbreiter wie BT und Sender wie BSkyB an. Das treibt die Preise.

Die Telekom zockte und verlor

Auch in Deutschland gab es Infrastrukturanbieter, die Fußball-Fernsehrechte ersteigerten. Der Kabelnetzbetreiber Arena scheiterte 2007, weil der übertrumpfte Gegner Sky Deutschland (damals Premiere) seine Satellitenplattform sperrte - eine Weigerung, die in Großbritannien aus Gründen der Chancengleichheit untersagt ist. BSkyB ist verpflichtet, Rivalen wie BT einzuspeisen.

Sieben Jahre lang engagierte sich die Telekom (58,6 Milliarden Euro Umsatz) als Bundesliga-Kanal, um Triple Play voranzubringen. Sie investierte vielleicht 400 Millionen Euro in IP-TV und Web-Rechte. Als es 2012 darum ging, Sky Deutschland auszuschalten, zockte das siebtgrößte Telekommunikationsunternehmen der Welt erst, zögerte und schied aus. Fußball-Bundesliga bezieht die Telekom für ihr Internetfernsehen Entertain jetzt als Fertigware von Sky Deutschland. Exklusivitätsansprüche gibt es nicht mehr

Scudamore, Seifert - die Premier League oder die Bundesliga: Die Höhe der TV-Rechte-Abschlüsse und damit die finanzielle Grundausstattung der Mannschaften einer Liga hängen heute wesentlich von strategischen Entscheidungen in den Vorständen digitaler Industrien ab. René Obermann plante, aus der Telekom ein Medienunternehmen zu bauen. Sein Nachfolger Timotheus Höttges will wohl wieder auf klassischen Infrastrukturservice setzen - zurück in die Zukunft auf höchstem technologischen Niveau. Bei BT wurde anders gedacht, Breitband und TV-Produktionen werden integriert. Vodafone macht es so und auch Comcast in den USA.

Die höchsten Gagen für die besten Spieler

Im Geschäft mit Werbung (Sponsoring) und in der Vermarktung ihrer Stadien liegen die deutschen Bundesliga-Vereine in Europa vorne. Das zeigen Zahlen, die von der Consulting-Firma Deloitte jährlich veröffentlicht werden. Es sind die Gagen aus der Fernsehrechteverwertung, die den Premier-League-Klubs helfen, sich vom Rest zu distanzieren. An sieben der letzten zehn Endspiele in der Champions League waren englische Teams beteiligt, die Hälfte der zehn umsatzstärksten Klubs Europas stammen aus der Premier League.

Dass British Telecom auf Live-Fußball setzt, wird die Premier League auf Jahre in die Lage versetzen, die höchsten Gagen für die besten Spieler aufzubringen. 21,6 Milliarden Euro Umsatz machte BT 2012, erzielte 2,8 Milliarden Gewinn und ist in Großbritannien Marktführer beim Breitband mit 6,3 Millionen Abnehmern. Für 1,1 Milliarden Euro kaufte der Konzern vor vier Monaten auch die Champions League und die Euro League. BT Sport wird beides von 2015 bis 2018 in Großbritannien ausstrahlen. Verlierer ist erstmals Murdochs Pay TV, dem die für das Image wichtigen europäischen Spiele entrissen wurden.

Der Einstieg von BT ins Pay-TV mit Live-Sport ist auch eine Reaktion auf Murdochs Triple-Play-Interessen. 2006 gründete BSkyB den Ableger Sky Broadband. Für 239 Millionen Euro kam die britische Telefonica Mobilfunksparte dazu. Sky Broadband ist inzwischen drittgrößter Breitband-Anbieter Großbritanniens, 40 Prozent der 3,9 Millionen Anschlüsse laufen auf Triple Play. Fußball-Live-Spiele sind der Köder. Unter Briten funktioniert das.

Seit August 2013 registrierten sich 2,5 Millionen neue Abonnenten, der Umsatz im ersten Quartal stieg erstmals wieder im Vorjahresvergleich: um sechs Prozent. "Fußball soll uns helfen, Kunden zu binden und zu gewinnen", sagt Marc Watson. Watson, ein 45-jähriger Jurist, baute BT Sports in den vergangenen 24 Monaten auf, führte alle Rechteverhandlungen. Nun verlässt er den Konzern. Vor seinem Abschied gewährte er noch Einblick in seine Taktik: Auch Länderspiele der englischen Nationalelf seien interessant.

© SZ vom 29.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: