Verlierer des GDL-Streiks:Industrie rechnet mit Kosten in Millionenhöhe

Der Hamburger Hafen könnte aus dem Takt geraten, der Autohersteller Ford muss umdisponieren: Wenn die Bahn vier Tage bestreikt wird, kommt das die Unternehmen teuer zu stehen. Die Verbände warnen vor gravierenden Folgen.

Von Kirsten Bialdiga, Thomas Fromm, Max Hägler und Kristina Läsker

In Europas größter Kupferhütte sitzen die Strategen über Notfallplänen. An jedem Arbeitstag sorgen bei der Hamburger Aurubis AG 24 Züge für den Abtransport von Kupferprodukten und Schwefelsäure. Und das bringt jetzt Probleme mit sich. Die Chemikalie, die bei der Herstellung von Kupfer verwendet wird, wird üblicherweise in Kesselwagen über die Schiene abtransportiert. Wenn die Bahn streikt, lässt sich der Abtransport nicht mal eben verlagern.

"Wir können nicht alle Kunden per Lkw beliefern, weil sie auf Schienenanlieferung eingerichtet sind", erläutert eine Aurubis-Sprecherin. Auch die Beförderung von Kupferprodukten sei nur mit größerem Aufwand auf die Straße zu verlagern. "Jetzt versuchen doch gerade alle, Lkws zu bekommen." Lieferverzögerungen sind wahrscheinlich.

Wenn die Bahn streikt, geht die Furcht um, dass Unternehmen ihre Produktion einschränken müssen. Verbände warnen deshalb vor gravierenden Folgen des viertägigen Streiks. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks, sagte am Mittwoch in Berlin: "Was derzeit bei der Bahn passiert, ist Gift für den Standort Deutschland." Auch der Großhandelsverband BGA fürchtet die Auswirkungen des Streiks. Besonders betroffen sei der Chemiehandel. "Aber auch für die deutschen Stahl- und Metallhändler oder die Automobilzulieferer ist die Schiene wegen der zu transportierenden Masse unverzichtbar", sagte BGA-Präsident Anton Börner.

Stahlhersteller auf die Bahn angewiesen

Stark betroffen sein werden die Stahlhersteller, die sich beim Transport von Rohstoffen wie Erz, Kohle und Schrott, aber auch beim Endprodukt auf die Bahn verlassen. Pro Tag sind das allein 200 000 Tonnen. Über 50 Prozent davon werden nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl über die Schiene befördert. Ein Fünftagestreik im Schienengüterverkehr wäre von den Unternehmen nicht aufzufangen", heißt es beim Stahlverband. "Daher geben Streiks auf der Schiene Anlass zu größter Sorge." Auf die Branche könnten Zusatzkosten in Millionenhöhe zukommen.

Der Hamburger Hafen, wo täglich 25 000 Container umgeschlagen werden, könnte in den nächsten Tagen aus dem Takt geraten. Rund 5800 Stahlboxen werden jeden Tag per Bahn an- und abtransportiert. Die Hafenbetreiber HHLA und Eurogate sind besorgt. "Wir können die Entscheidung zum Streik nicht nachvollziehen", sagt ein HHLA-Sprecher. Keine Prognose wagt eine Sprecherin von Eurogate: "Wir können die Auswirkungen des Streiks nicht abschätzen."

Der Autohersteller Ford muss umdisponieren und den Abtransport seiner Autos umstellen. "Hält ein Streik mehrere Tage an, wird auf alternative Transportwege ausgewichen", heißt es in Köln. Vom geplanten Bahn-Streik sind am Werk Köln 1000 Fahrzeuge betroffen. Davon werden 200 Stück auf Lastwagen umgeleitet, die verbleibenden 800 Einheiten per Schiff auf dem Rhein befördert. Vom Werk Saarlouis werden rund 250 Einheiten in den kritischen Tagen auf Lkws umgelenkt. Weitere 500 Fahrzeuge werden zwischengelagert. "Diese Verlagerung geht mit zusätzlichen Kosten einher."

Daimler hat vorgesorgt

Viele Unternehmen versuchen, Gelassenheit zu zeigen. Beim Stuttgarter Autobauer Daimler heißt es: "Wir haben vorgesorgt und uns mit Verträgen mit Speditionsfirmen für solche Fälle abgesichert. Lkws stehen bereit." Auch der bayerische Wettbewerber BMW, der 60 Prozent seiner Autos per Bahn von Werken holt, sieht sich vom Bahn-Streik nicht betroffen. "Unsere Bahnen fahren, insbesondere die wichtigen Zubringer nach Cuxhaven und Bremerhaven. Die Lokführer sind nicht bei der GDL organisiert." VW will sich nicht in die Karten sehen lassen. Man beobachte die Entwicklung, sagt ein Sprecher. "Ziel ist, die Produktion aufrechtzuerhalten."

Der Stuttgarter Autobauer Porsche freut sich darüber, dass er viele Zulieferer in der näheren Umgebung hat. Schrauben, Getriebeteile, Schläuche, Aufhängungen, Elektronik und was man sonst so braucht, werden aus dem Umland mit Lastwagen herangeschafft. Die Karosserien für das Werk Leipzig kommen zwar aus Hannover und Bratislava per Eisenbahn, werden aber von einer DB-Tochter befördert, die nicht vom Streik betroffen ist. Der Transport der Autos in die Nordseehäfen soll komplett von Lastwagen übernommen werden. "Wahrscheinlich bekommen wir es reibungslos hin", hieß es bei Porsche.

Der Münchner Lkw-Bauer MAN ist dagegen vom Bahn-Streik gar nicht betroffen. Ein Sprecher kann das leicht erklären: "Unser Gleisanschluss ist abgebaut worden."

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