Verkehr:"Wir haben keine Chance"

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Noch immer ist kein Frieden zwischen der Lufthansa und ihren Piloten: Am Dienstag werden die Interkontinental-Flüge der Airline bestreikt, Mittwoch sollen die Kurz- und Mittelstreckenflüge betroffen sein.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Noch am Wochenende hatte es wieder Gespräche gegeben zwischen Lufthansa und der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), einen letzten Versuch des Unternehmens, um den dreizehnten Streik seit Anfang 2014 noch irgendwie zu verhindern. Am Ende ging es um die Forderung der Gewerkschaft, in der Zeit der Verhandlungen über neue Tarifverträge und Kostensenkungen die Vorbereitungen für den neuen Billigableger Eurowings Europe auszusetzen. Doch darauf wollte Lufthansa-Chef Carsten Spohr nicht eingehen.

So macht die Gewerkschaft nun Ernst mit ihrer Drohung. Wie sie am Montagabend mitteilte, sollen die Streiks am Mittwoch auf Kurz- und Mittelstreckenflüge ausgeweitet werden. Bereits am Dienstag werden zwischen acht und 24 Uhr alle Langstreckenflüge bestreikt, die Lufthansa will über einen Notflugplan aber zumindest die Hälfte der 170 Interkontinental-Verbindungen aufrecht erhalten. Andere Passagiere sollen auf Flüge der Lufthansa-Töchter Swiss und Austrian oder auf andere Airlines umgebucht werden. Klar ist jedoch, dass Tausende Passagiere nicht oder verspätet an ihr Ziel kommen werden.

Kern des Streits ist der Aufbau des Billigablegers Eurowings Europe. Die Vereinigung Cockpit sieht darin einen Angriff auf die Arbeitsplätze der Lufthansa-Piloten. Sie und viele Piloten sind der Überzeugung, die vom Lufthansa-Management geplanten Einsparungen seien überhaupt nicht oder zumindest nicht in dem vorgesehenen Ausmaß nötig. Die Forderungen des Unternehmens fielen "in die Zeit eines prognostizierten Rekordergebnisses von mehr als 1,75 Milliarden Euro im laufenden Geschäftsjahr und des wirtschaftlich besten Sommers der Unternehmensgeschichte", so die Gewerkschaft. Der Lufthansa geht es also, glaubt man den Piloten, so gut wie nie.

Die Realität sieht anders aus. Es stimmt zwar, dass Lufthansa anders als der deutsche Konkurrent Air Berlin nicht ums Überleben kämpft, aber das Unternehmen lebt derzeit von der Substanz, und für die aktuell relativ gute Lage sind auch Sondereffekte verantwortlich. Vor allem: Lufthansa erwirtschaftet derzeit weniger, als sie müsste, um auf Dauer die Investitionen in ihre neue Flotte zu finanzieren. Auf vielen Langstrecken, vor allem nach Asien, fliegt sie schon länger Verluste ein, über kurz oder lang wird es hier zu Streichungen kommen müssen. Der Bedeutungsverlust ist schleichend, aber spürbar. "Wir haben keine Chance, wenn wir im Gegensatz zu allen anderen stehen bleiben und in vergangenen Zeiten verharren", schrieb Lufthansa-Vorstand Karl-Ulrich Garnadt in einem offenen Brief an die Mitarbeiter.

Er übertreibt nicht, denn bei genauerer Betrachtung sind die Ergebnisse weit weniger glänzend, als sie aussehen: Der Konzern kam im ersten Halbjahr auf einen operativen Gewinn (Ebit) von 468 Millionen Euro. Lufthansa Passage, also das deutsche Fluggeschäft, trug mit 94 Millionen gerade mal rund 20 Prozent dazu bei, obwohl es mehr als 60 Prozent des Konzernumsatzes bestreitet. Die operative Marge lag bei mickrigen 1,1 Prozent.

Dass die Airline überhaupt einen Gewinn gemacht hat, verdankt sie in erster Linie den gesunkenen Treibstoffkosten - 309 Millionen hat die Gruppe insgesamt in den ersten sechs Monaten weniger ausgegeben als im Vorjahr, gut 200 Millionen dürften dabei auf die deutsche Sparte entfallen, der Rest auf Swiss und Austrian. Dass die Lufthansa pro verkauften Sitz 2,4 Prozent mehr einnehmen konnte und die Flugpreise nicht gesunken sind, ist auch pures Glück, denn dies liegt vor allem an der Entwicklung des US-Dollars. Ohne den Währungseffekt wären die Preise um 4,5 Prozent gefallen. Und schließlich hat auch eine Änderung in der Abschreibungspraxis das Ergebnis "künstlich" aufgebessert: Bis 2013 schrieb Lufthansa die Flugzeuge über 12 Jahre ab, seither über 20 Jahre. Im vergangenen Jahr machte das 351 Millionen Euro aus.

Das Geld verdienen im Konzern längst andere: Swiss, nach Umsatz nur ein Viertel so groß wie die deutsche Fluggesellschaft, macht einen doppelt so hohen Gewinn. Die Wartungssparte Lufthansa Technik erreicht den fast dreifachen Gewinn und etwa die zehnfache Marge.

Auch wenn Lufthansa das selbst gesteckte Ziel eines operativen Gewinns von mehr als 1,5 Milliarden Euro vor Streikkosten im laufenden Jahr deutlich überschreiten sollte, wonach es derzeit aussieht, ist dies immer noch nicht gut genug: 2014 gab sie 2,8 Milliarden Euro für neue Flugzeuge aus und auch in den nächsten Jahren werden die Investitionen wohl nicht unter 2,5 Milliarden fallen.

Das Kerngeschäft kriselt also deutlich, auf Dauer kann sich der Konzern diese Schieflage nicht leisten. Daher der Aufbau der Billigsparte Eurowings, die in Europa und auf der Langstrecke mit ihren deutlich niedrigeren Kosten Strecken übernehmen soll, die Lufthansa nicht mehr profitabel fliegen kann. "Nach zwei verlorenen Jahren wollen wir das Risiko nicht eingehen, unsere Zukunft durch Nichtstun noch mehr zu gefährden", so Garnadt. Ans Nichts-Tun denken aber auch die Piloten nicht. Sie wollen weiter streiken.

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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