Verkauf von Motorola an Lenovo:Googles Sinneswandel

GoogleâÄÖs Motorola Unveils Moto X Phone in Bid to Revive Business

Google gibt Motorola wieder aus der Hand

(Foto: Bloomberg)

Vor zwei Jahren war Motorola noch 12,5 Milliarden Dollar wert, jetzt verkauft Google seine Handy-Sparte für 2,9 Milliarden Dollar? Der Deal mit Lenovo hört sich nach einer Verzweiflungstat an - doch er könnte sich für Google auszahlen.

Von Pascal Paukner, San Francisco

Es ist noch gar nicht so lange her, zweieinhalb Jahre etwa, da veröffentlichte Google-Chef Larry Page im Blog seines Unternehmens einige Zeilen, die von ungewohnt euphorischer und persönlicher Natur waren. Er habe schon lange eine Vorliebe für Telefone von Motorola, schrieb Page. Er wusste von der langjährigen Erfahrung des amerikanischen Traditionsunternehmens zu berichten und dessen Innovationskraft zu preisen. Es schien der Höhepunkt einer großen Freundschaft zu sein, denn was Page in jenem Artikel ankündigte, war die Übernahme von Motorola. 12,5 Milliarden Dollar zahlte Google für das Unternehmen - die größte Übernahme in der Geschichte des Internetkonzerns.

Am Dienstag nun hat Page erneut einen Artikel im Blog seiner Firma veröffentlicht. Diesmal geht es weniger um Emotionen und Erfahrungen. Es geht ums Geschäft. "Wir haben soeben eine Vereinbarung unterzeichnet, Motorola für 2,91 Milliarden an Lenovo zu verkaufen", schreibt Page. Das klingt nicht nur wenig euphorisch. Das klingt dramatisch. Google stößt die Mobilfunksparte von Motorola wieder ab. 12,5 Milliarden im Einkauf, 2,9 Milliarden Verkauf - der Unterschied von 9,6 Milliarden lässt das erst einmal nach einem schlechten Geschäft klingen.

Hat sich Google verspekuliert? Jener Konzern, der in den vergangenen Monaten so aufgetrumpft hat? Der mit intelligenten Robotern, selbstfahrenden Autos und elektronischen Kontaktlinsen die Nachrichten bestimmte? Der längst zu etwas Größerem, über den Dingen Stehendem herangewachsen zu sein schien? Hatte ausgerechnet jener Konzern das Geschäft mit Smartphones falsch eingeschätzt? Antworten auf diese Fragen liefert Google - wenig überraschend - nicht.

Ausstieg aus dem Hardwaregeschäft?

Doch es gibt Anzeichen, dass das Geschäft nicht so schlecht war, wie es auf den ersten Blick scheint: Als Google Motorola im August 2011 übernahm, galt das Unternehmen zwar als in die Jahre gekommen und wenig attraktiv. Doch finanzkräftig war es. Drei Milliarden Dollar Kapitalreserven hatte Motorola in seinen Büchern stehen, hinzu kamen Steuergutschriften im Wert von einer Milliarde Dollar. Im Frühjahr 2013 verkaufte Google jenen Unternehmensbereich von Motorola, der Set-Top-Boxen für Fernsehgeräte entwickelt. Das brachte Einnahmen von 2,4 Milliarden Dollar. Hinzu kommt der Wert der Motorola-Patente, von denen Google nun offenbar die Filetstücke behält und sie nicht an Lenovo veräußert.

Spannender als die Finanzen ist bei einem Konzern wie Google, der mit schier unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestattet ist, aber die Frage, wie sich eine solche Entscheidung auf die Produktwelt auswirkt. Als Google vor zwei Jahren die Übernahme bekannt gab, deuteten viele Kommentatoren dies als Einstieg ins Geschäft mit Computerhardware. Google hatte zwar mit Android bereits ein aufstrebendes Betriebssystem für Mobilgeräte. Im Vergleich zu Apple verdiente der Konzern aus dem kalifornischen Mountain View damit aber nur bescheidenes Geld. Das, so dachten viele, sollte sich ändern. Doch zu einem bedeutenden Hardware-Produzenten hat Google es bis zum heutigen Tag nicht gebracht.

Zwar betont Page nun, der Verkauf sei nicht als Abschied aus dem Hardwaregeschäft zu verstehen. Er erklärt allerdings auch nicht, wie Google ohne Motorola zu einem bedeutenden Hersteller von Smartphones aufsteigen könnte. Auf diesem Markt herrscht schon jetzt ein harter Konkurrenzkampf. Abgesehen von einigen Smartphones und Tablets aus der Nexus-Reihe bleibt Google nichts. Dabei zeigt Google gerade mit dem Erfolg der Chromebook-Computer, dass der Konzern auch im Hardwaregeschäft erfolgreich sein kann. Nur eben nicht dort, wo es gerade besonders heiß hergeht: bei den Smartphones.

Lenovo drängt auf US-Markt

Dass es trotz großer Konkurrenz auch unter schlechten Bedingungen noch Möglichkeiten zum Geldverdienen gibt, zeigt der Käufer von Motorola: Lenovo ist innerhalb weniger Jahre zum weltgrößten Computerhersteller aufgestiegen. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres verkaufte das chinesische Unternehmen Berechnungen der Analysefirma Gartner zufolge 6,6 Prozent mehr PC als ein Jahr zuvor - während der Markt für die Geräte insgesamt um 6,9 Prozent schrumpfte. 2005 hat Lenovo die PC-Sparte von IBM gekauft - und vor allem aus der Marke Thinkpad eine auf dem Massenmarkt sehr erfolgreiche Laptop-Serie gemacht. Genau dieser Erfolg könnte nun die Blaupause für die Zukunft von Motorola sein.

Lenovo hat außerhalb Chinas noch immer ein Imageproblem. Als das Unternehmen im vergangenen Jahr den angeschlagenen Handyhersteller Blackberry aufkaufen wollte, scheiterte dies Medienberichten zufolge am Widerstand der kanadischen Regierung. Auch in den Vereinigten Staaten wachen die staatlichen Behörden sehr genau darüber, dass der Einfluss chinesischer Großkonzerne in der IT-Industrie nicht zu groß wird. Mit dem Kauf einer US-Traditionsmarke könnte Lenovo nun der Einstieg gelingen. Doch auch diesen Deal müssen erst noch die Aufsichtsbehörden genehmigen.

Lenovo ist bislang als Smartphonehersteller außerhalb Chinas kaum in Erscheinung getreten. Sollte sich das nun ändern, könnte davon ausgerechnet Google profitieren. Der Internetkonzern hadert mit dem Wildwuchs, den sein mobiles Betriebssystem Android produziert hat. Lange hatte Google den Geräteherstellern freie Hand gelassen, wie sie Android auf ihren Geräten adaptieren. Die Hersteller konnten selbst entscheiden, ob sie neuere Updates anbieten oder wie sie die Oberfläche anpassen. Dadurch ist Android zwar schnell gewachsen, doch es sind nun viele veraltete und schlecht nutzbare Versionen verbreitet. Das beschert Softwareentwicklern Probleme, die ihre Programme für zahllose, verschiedene Versionen von Android anpassen müssen. Das schädigt das Image von Android und stärkt indirekt den Erzrivalen Apple, dessen Betriebssystem iOS mit diesen Problemen nicht zu kämpfen hat.

Google braucht einen Samsung-Konkurrenten

Als Samsung auf der Elektronikmesse CES jüngst eine neue Benutzeroberfläche für eines seiner Android-Tablets vorstellte, die mit dem ursprünglichen Design von Android nur noch wenig zu hatte, sah sich Google gezwungen einzugreifen. Die beiden Unternehmen vereinbarten daraufhin, so wird es kolportiert, eine engere Zusammenarbeit. Die ist auch bitter nötig, denn die beiden Unternehmen sind stark voneinander abhängig: Verkauft Samsung keine Smartphones, verliert Google Marktanteile. Ein ernstzunehmender Samsung-Konkurrent, der ebenfalls auf Android setzt, käme Google sicher gelegen. Lenovo könnte dieser Rolle übernehmen.

Doch ein Selbstläufer wird das nicht. Für das vergangene Quartal hat Motorola einen Verlust von 248 Millionen Dollar gemeldet - und das obwohl die Firma mit dem Moto X und dem Moto G zwei Smartphones auf dem Markt hat, die von Testern ordentliche Noten bekommen. Offenbar war Google nicht bereit, noch mehr Geld in die Handysparte zu stecken, um die Trendwende zu schaffen. Diese Aufgabe übernimmt nun Lenovo. Sollten auch die Chinesen den Abwärtstrend von Motorola nicht in Wachstum umkehren können, sollten sie also Android nicht zu noch größerer Popularität verhelfen, könnte sich Google-Chef Larry Page immerhin noch damit trösten, dass er mit Motorola nicht noch mehr Geld verloren hat. Oder sich darüber ärgern, dass er dann noch abhängiger von Samsung ist.

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