Verhandlungen zwischen USA und EU:Freihandel in Gefahr

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Das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA droht noch vor den ersten ernsthaften Verhandlungen zu scheitern. Frankreich droht mit einem Veto. Denn in Paris sieht man offenbar die kulturelle Vielfalt bedroht.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel, und Michael Kläsgen, Paris

Das transatlantische Freihandelsabkommen ist wenige Tage vor dem Besuch von US-Präsident Barack Obama in Europa vom Scheitern bedroht. Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault sagte am Mittwoch in einer Fragestunde des Parlaments, dass seine Regierung von ihrem Vetorecht Gebrauch machen werde, wenn die Forderungen seines Landes nicht erfüllt würden. Paris hält strikt an der Vorstellung fest, audiovisuelle Medien wie Internet, Video-on-Demand, Fernsehen oder Filme von den Gesprächen über ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA auszuklammern.

Am Dienstag waren die europäischen Unterhändler ohne Ergebnis auseinandergegangen, nachdem die französische Hartnäckigkeit eine britische Gegenreaktion ausgelöst hatte. Die Regierung von David Cameron, die ein Abkommen unterstützt, stellte ihre Unterschrift für den Fall in Frage, dass die Europäische Kommission in letzter Minute auf die französische Forderung eingehen sollte. "Wir sind sehr an dem Mandat interessiert, aber der Inhalt muss stimmen", hieß es aus Verhandlungskreisen. "Wir werden nicht jeden Preis zahlen, um das Mandat zu bekommen."

Bundesregierung sieht Chancen auf Abkommen zerstört

Der Zeitplan sah vor, dass die Europäer an diesem Freitag ein breit definiertes Verhandlungsmandat unterzeichnen sollten. Während des G-8-Gipfels Anfang kommender Woche in Nordirland hätten dann die EU und die USA das Mandat einvernehmlich beschließen können und damit die Verhandlungen eröffnet.

Es wird erwartet, dass es mindestens zwei Jahre dauert, bis ein Abkommen ausgehandelt sein könnte. Als wichtige Voraussetzung gilt aber, dass nicht bereits vor Verhandlungsbeginn Bedingungen gestellt werden. Auch aus der Bundesregierung heißt es, die französische Forderung habe die Chancen auf ein breites Abkommen zerstört.

Premier Ayrault unterstrich in der Nationalversammlung die harte Haltung seines Landes. Frankreich habe sich immer für kulturelle Vielfalt eingesetzt. "Wir haben dafür gekämpft und werden wieder dafür kämpfen", betonte Ayrault vor den Abgeordneten. Das Land stehe in der Frage nicht allein, werde sich aber notfalls allein behaupten. Die Chefunterhändlerin, Ministerin Nicole Bricq, habe entsprechende Anweisungen. Ausnahmeregelungen gebe es bereits in den Bereichen der Verteidigungsindustrie und der Agrarwirtschaft.

Unterhändler aus der Europäischen Kommission zeigten sich hingegen nicht ganz so pessimistisch und sprachen von einer Chance zur Unterzeichnung von "fünfzig zu fünfzig". Jedes Land hat ein Veto-recht. Das Mandat muss einstimmig verabschiedet werden.

Der US-Botschafter bei der EU warnte am Mittwoch davor, ein Mandat zu verabschieden, das von vornherein Bereiche aus den Verhandlungen ausschließe. "Wenn es kein sauberes Mandat ist, erhöht es auf unserer Seite den Druck, ebenfalls Bereiche auszuschließen", sagte William Kennard der Financial Times. Für die USA sei es "nicht logisch", Handelsgesprächen Grenzen zu setzen, bevor sie begonnen hätten. "Entweder setzt man sich an den Verhandlungstisch ohne Vorbedingungen und Ausnahmen, oder man lässt es bleiben."

Auch dem von der Europäischen Kommission vorgelegten Kompromiss wird Paris offenbar nicht zustimmen. Die Kommission hatte vorgeschlagen, statt des expliziten Gesprächsverbotes drei sogenannte rote Linien zu definieren, die alle bestehenden Regelungen der Europäer schützen sollen und die zugleich bei den Verhandlungen nicht übertreten werden dürfen. Diesem Kompromiss haben dem Vernehmen nach inzwischen alle Länder bis auf Frankreich und Belgien zugestimmt.

EU-Diplomaten äußern Verständnis für Franzosen

Am Mittwoch bemühten sich die Unterhändler weiter um ein Einlenken der Franzosen. Parallel dazu bereiteten sie allerdings einen Plan B vor. Demnach soll Anfang kommender Woche auf dem Treffen der G8 zwischen den vier europäischen Ländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien sowie US-Präsident Barack Obama eine Vereinbarung verhandelt werden. Gelingt dies, müssten dann alle 27 europäischen Länder dem Kompromiss auf dem nächsten EU-Gipfel zustimmen. Dieser beginnt am 27. Juni in Brüssel.

EU-Diplomaten äußerten am Mittwoch teilweise Verständnis für die französische Haltung. In Frankreich werde "ein emotionaler Tsunami" in der Öffentlichkeit losbrechen, sollte die Regierung auch nur in den Verdacht geraten, die französische Kultur zu verraten. An Frankreich und den USA manifestierten sich die großen Unterschiede im Lebensstil, in der Art des Denkens und des Verständnisses von Demokratie.

© SZ vom 13.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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