Vergünstigungen vom Finanzminister:Schäuble macht wieder Steuergeschenke

The Davos World Economic Forum 2014

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (Archivbild) macht der deutschen Wirtschaft wieder Steuergeschenke.

(Foto: Jason Alden/Bloomberg)
  • Wirtschaftslobbyisten sind in Deutschland sehr erfolgreich, wenn es darum geht, das Schließen von Steuerschlupflöchern durch die Politik zu vermeiden.
  • Das Bundesfinanzministerium genehmigt jedes Jahr neue Ausnahmen.
  • Diese sind für sich genommen zwar nur Petitessen - aber sie gefährden das Ziel der Steuergerechtigkeit.

Von Cerstin Gammelin

Was hat eine Streuobstwiese mit einem Reeder oder einer Registrierkasse gemeinsam? Oder Pensionsrückstellungen mit Forschungsabteilungen, Reiseanbietern und sozialem Wohnungsbau? Erst einmal überhaupt nichts.

Das Kleingedruckte der aktuellen deutschen Steuerpolitik zeigt jedoch eine andere Wirklichkeit. Alle diese Fälle verbindet, dass sie von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seinen Mitarbeitern im Jahr 2015 Steuerschlupflöcher, Steuerbefreiungen oder Subventionen gefordert - und teilweise bereits bewilligt bekommen haben.

Während Schäuble europäisch und international für Steuergerechtigkeit unterwegs war, hat er in Deutschland neue Ausnahmen zugelassen. Das Gefährliche ist jedoch, dass sie das angebliche Bemühen um Steuergerechtigkeit konterkarieren - und neue Einfallstore für ausufernde Klientelpolitik öffnen.

Ausnahme 1: Kfz-Steuer

Schon jetzt, bestätigt das Bundesfinanzministerium, seien Fahrzeuge steuerbefreit, "die ausschließlich in oder für land- und forstwirtschaftliche Betriebe im Sinne des Steuerrechts zweckbestimmt verwendet werden". Damit diese Traktoren, Mähdrescher und sonstigen bäuerlichen Geräte fahren, verzichtet der Bund jährlich auf 260 Millionen Euro. Und die Landwirte wollen mehr. Weshalb Baden-Württemberg am 27. November beantragt hat, Schäuble möge das Deutsche Kraftfahrzeugsteuergesetz ändern lassen, um Fahrzeuge, die "zur Pflege von Streuobstwiesen und für andere landschaftspflegerische Maßnahmen" eingesetzt werden, von der Kfz-Steuer zu befreien.

Zur Begründung führt der zuständige Minister Peter Friedrich an, dass die Steuerbefreiung "einen wertvollen Beitrag zur Sicherstellung einer nachhaltigen Pflege (. . .) wertvoller Landschaftsbestandteile" leiste. Der Antrag wird inzwischen in Ausschüssen beraten. "Wird er beschlossen, werden bald alle Fahrzeuge in irgendeiner Weise Streuobstwiesen pflegen und steuerbefreit sein", warnt Binding.

Ausnahme 2: Einkommensteuer

Nicht erst seit der Griechenlandkrise stehen griechische Reeder in der Kritik, gesetzlich protegiert kaum Steuern zu zahlen. Weniger bekannt ist, dass auch die deutsche maritime Wirtschaft kaum Steuern zahlt. In diesem Jahr beschloss der Bundesrat, dass Reeder praktisch die gesamte von den Seeleuten gezahlte Lohnsteuer behalten dürfen. Arbeitgeber von Seeleuten auf deutsch geflaggten Schiffen dürfen bisher schon 40 Prozent der entstandenen Lohnsteuer behalten, wenn die Besatzung mehr als 183 Tage zusammenhängend angeheuert ist. Bis 2020 dürfen sie nun die gesamte Lohnsteuer einbehalten.

Das Steuergeschenk an die deutschen Reeder begründet die Bundesregierung damit, Jobs für europäische Seeleute und deren Know-how zu erhalten. Tatsache ist allerdings, dass die Vergünstigungen schon bisher nicht verhindert haben, dass deutsche Schiffseigentümer lieber unter anderer Flagge fahren. Entgegen früheren Versprechungen fahren heute nur noch rund 200 der 4000 Schiffe unter deutscher Flagge.

Vergünstigte Reisen und manipulierte Kassen

Ausnahme 3: Gewerbesteuer

Der Deutsche Reiseverband fordert steuerliche Vergünstigungen für seine Groß-Klientel. Er will Aufwendungen der Reiseveranstalter zur Anmietung von Hotelzimmern von der Hinzurechnung zur Gewerbesteuer ausnehmen. Die wirtschaftliche Belastung könne von der Branche nicht mehr getragen werden, so die überraschende Begründung - denn die Steuervergünstigung käme vor allem großen Reiseveranstaltern zugute, die wie TUI als Kapitalgesellschaften organisiert sind.

Finanzverwaltungen von Bund und Ländern argumentieren, dass die Anmietung als Anlagevermögen zu versteuern ist und im Zuge dieser Regelung die Körperschaftsteuer drastisch gesenkt wurde. Das Bundeswirtschaftsministerium schlug als Kompromiss vor, kurzfristige Anmietungen von der Hinzurechnung auszunehmen. Was wiederum durch Kettenmietverträge leicht zu umgehen ist.

Ausnahme 4: Gewinnbesteuerung

Die Wirtschaftslobby kritisiert die aus ihrer Sicht unzureichende Förderung von Wagniskapitalgebern. Sie fordert Steuervergünstigungen, damit innovative Kleinunternehmen leichter an Kapital kommen, und will deshalb Gewinne, die Unternehmen aus dem Verkauf von Anteilen an Start-ups erzielen, steuerfrei stellen. Die Lobby argumentiert, dass unversteuerte Gewinne in voller Höhe wieder als Wagniskapital eingesetzt werden könnten. Gegen die Forderung spricht, dass auch die steuerliche Freistellung von Veräußerungsgewinnen bei Start-ups ein breites Tor öffnen würde, weil plötzlich jedes beliebige Unternehmen als ein solcher Kapitalgeber auftreten könnte.

Ausnahme 5: Entstrickungsbesteuerung

Das ungewöhnliche Wort steht für die gängige Praxis von Steuerpflichtigen, abgeschriebene Wirtschaftsgüter ins Ausland zu verbringen und dort zu verkaufen, ohne den erzielten Erlös zu versteuern. Der Fiskus hat inzwischen die deutschen Besteuerungsrechte bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins Ausland gesichert. Die deutsche Wirtschaft fordert allerdings wieder Ausnahmeregeln, was von Steuerexperten wie Binding nicht zuletzt wegen der Gefahr europarechtlich unzulässiger Diskriminierung abgelehnt wird.

Ausnahme 6: Pensionsrückstellungen

Angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen sind Pensionszusagen von Unternehmen in Gefahr. Die Unternehmen sind angehalten, ihre rechnerischen Pensionsrückstellungen zu erhöhen, um die Zusagen einzuhalten. Die Wirtschaftsverbände laufen dagegen Sturm. Sie argumentieren, dass höhere Rückstellungen die Bilanz der Unternehmen und deren Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern würden.

Ausnahme 7: Sonderabschreibungen

Die Bauminister wollen für sozialen Mietwohnungsbau neue Sonderabschreibungen durchsetzen. Was angesichts von Niedrigzinsen und nahezu vollständiger Auslastung der Baufirmen eher zu steigenden Preisen führen wird und private Bauträger fördert. Steuerexperte Binding hält stattdessen direkte Wohnungsbausubventionen für "transparenter und zielgenauer".

Ausnahme 8: Forschungsbesteuerung

Schäuble mochte sie nie, im Ausland gibt es sie schon lange, nun fordern die Wirtschaftsverbände, die deutsche Patentbox einzuführen. Patentboxen werden genutzt, um Einnahmen/Lizenzen aus Forschung und Entwicklung sehr niedrig zu besteuern. Die deutsche Patentbox soll verhindern, dass Konzerne diese Abteilungen ins steuergünstige Ausland verlagern. Die Bundesregierung will 2016 entscheiden.

Ausnahme 9: Kassenmanipulation

Jährlich gehen dem Fiskus bis zu zehn Milliarden Euro an Steuern verloren, weil Registrierkassen in Restaurants, Geschäften und anderswo manipuliert werden. Erst kürzlich hat der Finanzminister Nordrhein-Westfalens, Norbert Walter-Borjans (SPD), seine Forderung an das Bundesfinanzministerium wiederholt, nicht manipulierbare Kassen mit elektronischer Signatur verpflichtend vorzuschreiben. Schäubles Ministerium lehnt das ab, weil es zu hohen bürokratischen Aufwand befürchtet, etwa bei Sommerfesten. Als Kompromiss schlagen die SPD-Länder nun vor, die Kassenpflicht an Umsatz oder Unternehmensstruktur zu koppeln.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: