Verfahren gegen mehrere Unternehmen:Das Kartoffel-Kartell

Aussaat von Kartoffeln in Niedersachsen

Aufzugskartell, Schienenkartell, Zementkartell - aber jetzt auch noch die Kartoffel? (Symbolbild) 

(Foto: dpa)

Erst Aufzüge, dann Schienen - und jetzt auch noch Hörnla, Linda und Quarta: Das mutmaßliche Kartoffel-Kartell, gegen das Ermittlungen laufen, soll nach SZ-Informationen Bauern und Verbraucher um mehr als 100 Millionen Euro geschädigt haben.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

Die gute fränkische "Bamberger Hörnla", die alte "Linda" oder die widerstandsfähige "Quarta", die Welt der Kartoffel kennt viele Namen (und auch echte Schicksale), aber alles in allem ist diese Welt immer schöner und attraktiver geworden.

In den großen Hallen der führenden Abpack-Betriebe des Landes stehen neumodische Apparate, in denen die vielen Tonnen Kartoffeln, die übers Fließband laufen, für wenige Sekunden verschwinden. Ein spezieller Apparat beispielsweise fotografiert jede Knolle 27 Mal. Er fahndet nach dunklen Flecken oder grünen Stellen, und das Ergebnis des Scannens bestimmt dann, in welche Box die Kartoffeln plumpsen: in die Kiste mit den guten Premiumkartoffeln oder in die Kiste mit der schlechteren Ware. Es gibt Kartoffel-Polieranlagen und richtig schicke Kartoffeln - die aber meist nicht so gut schmecken.

Die Männer, die am Dienstagmorgen in den großen Kartoffelbetrieben der Republik vorbeischauten, interessierten sich nicht für all die moderne Technik, sie suchten nach Unterlagen über heimliche Preisabsprachen von Händlern und Lieferanten. Das Bundeskartellamt hatte in den vergangenen Wochen in aller Stille ein Verfahren gegen die wichtigsten Unternehmen des Kartoffelmarktes vorbereitet.

Auch mit Zwiebeln lassen sich gute Geschäfte machen

Mehrere Unternehmen wurden am Dienstag an insgesamt neun Standorten von Kriminalbeamten und Mitarbeitern der Kartellbehörde heimgesucht, gegen fünf weitere Firmen wurden Bußgeldverfahren eingeleitet. Außerdem wurden das Büro und die Wohnung eines Hauptverdächtigen durchsucht. In den meisten Fällen geht es nicht nur um Kartoffeln, sondern auch um Zwiebeln, mit denen sich ebenfalls gute Geschäfte machen lassen. Und es geht auch um die Pflanzkartoffeln, die an die Bauern verkauft werden. Die Landwirte sollen also ebenso mit überhöhten Preisen betrogen worden sein wie die Verbraucher.

Aufzugskartell, Schienenkartell, Zementkartell; die Republik hat sich daran gewöhnt, dass der Wettbewerb immer wieder von den angeblichen Verfechtern der Wettbewerbswirtschaft außer Kraft gesetzt wird. Kein Fußbreit Boden, den man sicher betreten kann. Aber jetzt auch noch die Kartoffel?

Was ein bisschen skurril klingt, hat einen ernsten ökonomischen Hintergrund. Ein Insider der Branche schätzt, dass das Kartoffel-Kartell seit der Gründung vor etwa zehn Jahren auf Kosten der Verbraucher einen Gewinn in dreistelliger Millionenhöhe gemacht habe. Eine grobe Schätzung nur, aber sie markiert das Problem.

Für Außenstehende ist das eine eigene Welt mit eigenen Regeln, und es braucht eine Weile, um sie ungefähr zu begreifen. Etwa eine Million Tonnen Kartoffeln werden jährlich in Deutschland abgepackt. Die Erntemenge liegt bei rund 45 Tonnen pro Hektar, die meisten in Deutschland erzeugten Kartoffeln kommen aus Niedersachsen. Etwa siebzig Prozent der Gesamtmenge stammt aus Deutschland, der Rest wird importiert wie die Bio-Kartoffeln aus Ägypten, die prächtig glatt aussehen, weil sie in den Sandböden der Wüste angebaut werden. Sie werden oft von Kindern geerntet. Der leidenschaftliche Bio-Käufer lässt sich davon nicht abschrecken.

Wenig Papiere, viel Vertrauen

Seltsamerweise soll es beim Preis seit einer Weile nicht mehr darauf ankommen, wie das Wetter ist und wie die Ernte ausfällt oder wie sich Angebot und Nachfrage zueinander verhalten: Der Preis soll vergleichsweise hoch geblieben sein.

Die Ermittlungen des Bundeskartellamtes dürften zwar noch eine ganze Weile dauern, und die Details stehen noch lange nicht fest, aber ungefähr soll das Kartell so funktioniert haben: Vor etwa zehn Jahren sollen sich ein paar der Großen der Abpack-Branche darauf verständigt haben, dass weniger Wettbewerb mehr sei. Man müsse sich nur über den richtigen Preis verständigen. Schon nach kurzer Zeit sollen die meisten der anderen Betriebe sich dieser Einsicht angeschlossen haben.

Wenn Branchengerüchte stimmen, sollen sich am Ende zwischen achtzig und bis zu neunzig Prozent der großen und größeren Abpacker bei den Preisen verständigt haben. Und die restlichen, die nicht zum Kartell gehörten, sollen davon profitiert haben. Zeitweise soll die Gewinnmarge rasant in die Höhe gestiegen sein und sich mitunter verzehnfacht haben.

Das Kartell, berichtet ein Branchenkenner, habe ganz einfach funktioniert. Wenig Papiere, viel Vertrauen: Es soll eine Art Anführer gegeben haben, der beispielsweise vor den Bestellungen der großen Discounter-Ketten die Kollegen angerufen und den Wochenpreis ausgemacht habe. Die Angebote sollen sich dann nur um einen oder ein paar Cent unterschieden haben. Fällt das eigentlich keinem Großeinkäufer bei den Supermarktketten auf, wenn alle Angebote ungefähr gleich hoch sind?

Und was ist mit den Bauern?

Bei normalen Kartellen gibt es eine Art Täter-Opfer-Ausgleich. Betrogene Kunden können Schadenersatz verlangen. Aber wurden die Einzelhändler betrogen oder haben sie von hohen Preisen mitprofitiert, weil am Ende eh die Verbraucher zahlen? Und was ist mit den Bauern? Die mutmaßlichen Kartellbrüder sollen sogar festgelegt haben, welcher Landwirt an welche Abnehmer liefern darf.

Wenn Kartelle auffliegen, ist das oft einem Kronzeugen zu verdanken, der auspackt. Seit gut einem Jahrzehnt gilt in Europa eine sogenannte Kronzeugenregelung. Sie besagt, dass der Tippgeber ohne Sanktionen davonkommen kann, wenn er das Kartell anzeigt, bevor ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist oder der Täter mit einem solchen rechnen muss. Der Kronzeuge muss alles auf den Tisch legen. Gibt es so jemanden bei den Kartoffeln? Oder sind das alles nur falsche Anschuldigungen? Der Geschäftsführer einer der durchsuchten Firmen sagt, die Vorwürfe träfen nicht zu. "Wir haben kein schlechtes Gewissen, wir sind da relativ gelassen." Dass ein solches Kartell existiert habe, könne er sich auch gar nicht vorstellen.

Unvorstellbar? Das ist in solchen Fällen allerdings nichts Neues.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: